Ein Western-Mythos fällt in den Staub

Wie die US-Waffenfirma Winchester in ausländische Hände überging - und nun vor dem Abgrund steht. Die Winchester-Flinte ist das legendäre Gewehr des Wilden Westens. Nun hat der belgische Konzern Herstal die Produktion gestoppt. Ein Finanzjongleur versucht die Rettung der Büchse von John Wayne.

Von Peter Hossli (Text) und Charly Kurz (Fotos)

winchesterSchrill zirpt die Sirene. Es ist halb vier. Zeit zu stempeln. Ein einziger Arbeiter nur schlendert aus der hell erleuchteten, kühl temperierten Fabrikhalle in die Schwüle von New Haven. «Ich mach hier noch ein bisschen sauber», sagt Paul DeMennato, 64, kahl und ein Brocken von Mann. Mit neunzehn trat er in die U.S. Repeating Arms Company ein, kämpfte zwischenzeitlich als Marine-Soldat in Vietnam, und hatte wie sein Vater und Schwiegervater ein Leben lang Winchester-Gewehre fabriziert. Jene legendäre Waffe, die Cowboys im Sattel trugen, die der Indianerhäuptling Sitting Bull gegen Siedler abfeuerte, die Akteur John Wayne zur Ikone hob.

lookat_00018725_preview.jpgSeit Ende März schüttet Vorarbeiter DeMennato nur noch Öle weg, stapelt Gewehrkolben, sortiert stählerne Läufe. Damals schloss der belgische Konzern Herstal die Fabrik, in der die Repetierbüchse produziert wird. Nun gleicht der Ort, wo während des Zweiten Weltkrieges 19000 Arbeiter für die US-Armee Flinten schmiedeten, einer Geisterstadt. Gabelstapler, die still stehen. Produktionsstrassen ohne Produktion. Surrende Klimaanlagen, die für keinen kühlen. «Ich vollstrecke meine eigene Beerdigung», sagt DeMennato, der selbst 15 Winchester-Flinten besitzt. Noch könne er das Ende «nicht akzeptieren».

Auch die Stadt New Haven nicht. «Wir unternehmen alles, damit Winchester bleibt», sagt die Vorsteherin des städtischen Wirtschaftsamtes, Kelly Murphy. Fast jeder Einwohner habe einen Vater oder einen Onkel, der hier einst Hinterlader fertigte, sagt sie. Neben der Yale University sei Winchester «das wichtigste Aushängeschild» der schmucken Stadt in Connecticut.

lookat_00018723_preview.jpgDeren Bürgermeister, John DeStefano, hat ein besonderes Interesse an der Rettung von rund 200 Arbeitsplätze: Der Demokrat bewirbt sich im Herbst um das Amt des Gouverneurs, mit dem Wahlspruch «Mehr Jobs für Connecticut». Dumm wäre da, wenn ausgerechnet im Wahljahr in seiner Stadt so traditionsreiche Jobs verloren gehen.
Prompt spannte DeStefano politische Freunde ein. Die beiden einflussreichen US-Senatoren von Connecticut – Joe Lieberman und Chris Dodd – übten massiven Druck auf Herstal aus. Sie drohten den Belgiern mit dem Entzug von Militäraufträgen. Für die US-Armee produziert Herstal in Südkarolina Sturmgewehre.

Ein lukrativer Auftrag – im Gegensatz zur Herstellung der Winchester. Die 1994 komplett erneuerte Fabrik in New Haven war angelegt für eine Jahresproduktion von 350’000 Flinten, der Break-Even lag bei 320’000. Fürs laufende Jahr gingen Bestellungen für nur 80’000 Stück ein. Die Politiker sahen ein: Die Fabrik ist unrentabel. Sie einigten sich mit Herstal auf ein Stillhalteabkommen, das noch bis Mitte Juli dauert. Bis dann lässt der Konzern die Maschinen stehen und prüft auf Übernahmeofferten.

kevin_tierneyDie holt Kevin Tierney ein, ein ehemaliger Banker aus New Haven, der seit zwanzig Jahren als unabhängiger Berater agiert. Als «Problemlöser», wie sich der ständig nervös wirkende 58-jährige Kahlkopf selbst bezeichnet. Er trägt ein rotes Hemd mit einer «Save Winchester»-Aufschrift. «Ich repariere kaputte Firmen», sagt er. Ständig klingelt das Telefon. Ein Restaurantbesitzer will wissen, wie er Geld für einen Anbau kriegt, ein Bauherr braucht eine neue Hypothek. Drei Milliarden Dollar hat er in seiner Karriere bisher vermittelt, meist für mittelständische Firmen.

Rund 50 Millionen Dollar braucht es für die Rettung von Winchester. So viel kosten Fabrik und das verbliebene Inventar. Tierney, der bisher keine Ahnung von Waffen hatte, heuerte einen Experten an, publizierte eine Webseite und mobilisierte Amerikas Waffennarren. Sechs Millionen Menschen haben www.savewinchester.com bisher besucht.

«Es gibt keinen Waffenliebhaber, der uns nicht kennt», sagt Tierney, der zwei Hüte trägt. Er arbeitet für Herstal und erhält dafür 150’000 Dollar – und 35’000 Dollar von der Stadt New Haven. Nicht allein wegen dem Geld mache er es, unterstreicht Tierney. «Ich will Winchester retten.» Nicht ganz uneigennützig. «Es bringt mir reichlich Publicity, ob es klappt oder nicht.»

Vom konzilianten Gebaren der Europäer war er überrascht. Bleiben bei einer US-Pleite oft ungedeckte Verpflichtungen übrig, hätten die Belgier alle ausbezahlt, die Lieferanten wie das Personal. Der Stadt New Haven überwiesen sie 850’000 Dollar – für eine Steuererleichterung, die sie vor zwölf Jahren erhalten hatten. Auf den Rettungsversuch in letzter Minuten hätte sich Herstal eingelassen, «weil sie positive PR erwarten», sagt deren Anwalt, Robert Berchem. «Sie hoffen zudem auf einen höheren Erlös.»

lookat_00018720_preview.jpgBis zu fünf Käufer könnte Tierney Herstal präsentieren. Die US-Waffenindustrie sei interessiert, aber auch Private-Equity-Gruppen. Leicht wird es für den Käufer nicht. Sechs Monate dauert es, bis die Fabrik wieder betriebsbereit ist. Etliche Modelle benötigen Revisionen. Griffige Marketingkonzepte und ein effizientes Vertriebssystem fehlen. Herstal hat das vernachlässigt. Statt auf Connaisseure und Sammler zu setzen, verkauften die Belgier bei Wal-Mart. «Herstal hat sich emotional nicht um Winchester gekümmert», sagt ein Eingeweihter. Zwei Jahre negativen Cashflow müsse der Käufer verkraften, schätzt Tierney.

Wenn er die schwerste Hürde schafft – und das Markenrecht an Winchester erhält. Die Marke gehört nämlich nicht Herstal, sondern der börsenkotierten Olin Corporation, die Messing, Munition und Chemikalien fabriziert. Als Olin die Winchester-Fabrik in den achtziger Jahren abstiess, behielt sie die Marke und kassierte von Herstal Lizenzgebühren.

Nun braucht es einen Käufer, dem Olin die Lizenz ebenfalls gibt. «Es muss jemand sein, der dem edlen Namen würdig ist», sagt Tierney. Oder jemand, der die Marke gänzlich übernähme, was teuer wird. Olin verkauft für jährlich 360 Millionen Dollar Winchester-Munition, dazu Merchandising-Artikel, Messer oder Kleider mit dem famosen Logo.

«Alle Wegen führen zu Olin», sagt Tierney. Der Konzern kann jeden Käufer per Veto verhindern. Umso wichtiger sei die kräftige Unterstützung durch die National Rifle Association NRA, die konservative Lobby-Organisation der Waffennarren. Würde Olin die Lizenz einem Käufern verweigern, könnte die NRA mächtig Druck ausüben – und beispielsweise zum Boykott der Olin-Munition aufrufen.