Erst schmieren, dann klagen

Wegen Bestechung droht der US-Kanzlei Milberg Weiss das Ende. Ein beliebtes Ziel von ihr waren Schweizer Firmen wie CS und UBS.

Von Peter Hossli

Sorgfältig gebündelt lag das Geld in einem diskreten Kassenschrank. Nur zwei Anwälte kannten die Kombination zu dessen Stahltür. Nachts holten sie die frisch gedruckten Dollarnoten jeweils aus dem Tresor und trugen sie in braunen Papiertüten unbeachtet weg.

Was an einen billigen Finanzkrimi gemahnt, ist die unterhaltsamste Passage einer Anklageschrift, die in der US-Geschäftswelt derzeit Wellen wirft. Die Staatsanwältin von Kalifornien klagte Mitte Mai die amerikanische Anwaltskanzlei Milberg Weiss sowie zwei ihrer Partner wegen Betrugs und Bestechung ein. Zwanzig Jahre lang soll die Firma systematisch Kläger geschmiert haben. Auch in Klagen gegen Genentech, eine börsenkotierte Biotechfirma, die zu 58 Prozent der Schweizer Roche gehört.

Die Klage dürfte fatale Folgen haben für die einflussreichste Kanzlei Amerikas. «Milberg Weiss wird untergehen», sagt Daniel Becnell, ein prominenter Anwalt aus Louisiana, der etwa die Vioxx-Klagen gegen Merck koordiniert. «Kein US-Richter wird die Firma jemals wieder als Vertreterin einer Klägerklasse akzeptieren.» Zudem dürfte Milberg Weiss hohe Summen an Honoraren zurückerstatten müssen, glaubt Becnell.

Eine Pleite droht ausgerechnet Milberg Weiss, der Gigant des juristisch-industriellen Komplexes der USA. Niemand hat in den letzten vierzig Jahren das Rechtswesen nachhaltiger geprägt. Mehr als die Hälfte aller amerikanischen Aktionärsklagen gingen über deren Tische. Die Kanzlei trieb die Vergleichssumme in diesem lukrativen Bereich von 145 Millionen Dollar im Jahr 1997 auf über 20 Milliarden Dollar im Jahr 2005. Umso grösser fällt nun die Schadenfreude in Chefetagen kotierter Konzerne aus. Dort waren die 125 Milberg-Weiss-Juristen so sehr gefürchtet wie bei Graf Dracula der geriebene Knoblauch.

Horrende Beträge rang ihnen die Firma ab. Allein 2004 und 2005 amtete Milberg Weiss als führende Kanzlei bei Vergleichen im Umfang von 1,5 Milliarden Dollar. Fast ebenso viel – 1,4 Milliarden – umfasst ein einziger Vergleich mit Investmentbanken, die beschuldigt werden, die Internet-Blase widerrechtlich angeheizt zu haben. Die Busse – unter anderem beglichen von Credit Suisse – soll heuer ausbezahlt werden. Im März war ein weiterer Schweizer Konzern betroffen: Die Versicherungsgesellschaft Zurich North America zahlte 100 Millionen Dollar in einem Vergleich, den Milberg Weiss angestrengt hatte. Weltweit berühmt wurde die Kanzlei durch die Holocaust-Klage gegen Schweizer Banken. Gründungspartner Melvyn Weiss agierte damals als einer der führenden Klägeranwälte – und zwar unentgeltlich.

Weniger generös springen seine Anwälte mit Firmen um, deren Aktienkurse rasant fallen. Wie hungrige Geier stürzen sie sich auf jedes erdenkliche Fehlverhalten, sei es ein Mangel in der Buchführung, eine aufgeblähte Gewinnprognose, eine nicht ausgesprochene Warnung. «Niemand geht aggressiver vor als Milberg Weiss», sagt der Sprecher einer grossen Bank hinter vorgehaltener Hand. «Ihre Beweislage ist aber meist sehr dünn.»

Nicht nur das. Oft fehlen anfänglich die Kläger. Die Anwälte warten nämlich nicht darauf, bis ein Geschädigter um Hilfe nachsucht. Viel eher, so die kalifornische Klageschrift, sucht die Kanzlei aktiv nach möglichst aussichts- und ertragsreichen Zielen. Um Kläger sorgt sie sich dann später.

Zumal die nicht immer einfach zu finden sind. Investoren, die ihre eigene Firma verklagen, profitieren selten. Klagen und Vergleich trüben den Kurs ihrer Aktien. Klägern bleibt meist nur ein Bruchteil der Verdikt-Summe, während das Gros an die Anwälte geht.

Den Mangel an Geschädigten behob Milberg Weiss schamlos mit dem gezielten Griff in den geheimen Tresor – und kaufte sich welche. Rund elf Millionen Dollar gab die Kanzlei dafür zwischen 1984 und 2005 aus. Eine happige Investition, die sich aber auszahlte, sicherte sich die Firma damit doch 216 Millionen Dollar an Honoraren.

Oft ging das Schmiergeld an dieselben Personen. Etwa an Howard Vogel aus New Jersey, seine Frau oder dessen Stiefsohn. Zusammen gezählt erschienen sie vierzig Mal zuoberst auf Klageschriften von Milberg Weiss. Gar siebzig Mal klagte die Familie von Seymour Lazar aus Palm Springs in Kalifornien. Betroffen waren namhafte Konzerne wie British Petroleum, United Airlines oder die Waffenschmiede Lockheed.

Keineswegs zufällig besassen Vogel und Lazar Aktien derart vieler Firmen, deren Kurse einbrachen. Gezielt kauften sie gefährdete Wertschriften, angewiesen von Milberg Weiss’ vifen Anwälten. Ein klarer Verstoss. Ebenso strafbar sind die saftigen Schmiergelder, die Vogel – zusammengezählt 2,4 Millionen Dollar – jahrelang bezog.

Insgesamt 210’000 Dollar Bargeld erhielt der pensionierte Anwalt Seymour Lazar, um Genentech zu verklagen. Die in San Francisco ansässige Biotechfirma schloss 1991 einen Vergleich in der Höhe von 29 Millionen Dollar. Eine Genentech-Sprecherin bestätigt zwar die Klage, hält sich sonst aber bedeckt: «Angesichts der Tatsache, dass der Fall vor mehr als zehn Jahren abgeschlossen wurde, erachten wir es als nicht angebracht, Details zu kommentieren», teilt sie per E-Mail mit. Allzu gross dürfte der Schaden nicht ausgefallen sein. Genentech ist heute die weltweit profitabelste Biotechfirma. Roches Anteil hat einen Börsenwert von fast 50 Milliarden Dollar.

Mit der Milberg-Weiss-Anzeige werde der Klage-Kuchen nun neu verteilt, schätzt der Aktienrechtsprofessor der Duke University, James Cox. «Fünf bis sechs potente Firmen halten sich bereit, die Lücke zu schliessen.» Nicht abnehmen werde die Anzahl neuer Klagen, sagt Cox. «Richter werden die finanziellen Beziehungen zwischen Kläger und Kanzleien nun aber besser überwachen.»

Von Aktionärsklagen betroffene Firmen hoffen indes auf striktere Regeln, seit Jahren ein politisches Ziel der Republikaner. US-Präsident George W. Bush hatte im Wahlkampf einst versprochen, gegen die Klageindustrie vorzugehen. Diese fürchtet sich nicht. «Milberg Weiss ist ein Einzelfall», betont Anwalt Becnell. «Zudem verlieren die Republikaner im Herbst die Mehrheit im Parlament an die Demokraten.» An jene Partei also, deren Spendenkonten hauptsächlich von Klagefabriken wie Milberg Weiss gefüllt werden.

Milberg Weiss
Melvyn Weiss und der 1989 verstorbene Lawrence Milberg gründeten 1965 in New York eine Anwaltskanzlei. Rasch konzentrieren sie sich auf Aktionärsklagen, als deren Pioniere sie gelten. Anfänglich zogen sie etliche Prozesse durch und erstellten wichtige Präzedenzfälle. Die kommen nun in Klagen zur Anwendung, die meistens in Vergleichen enden. Insgesamt schloss Milberg Weiss solche Settlements in der Höhe von 45 Milliarden Dollar ab. Wegweisend war die Aktionärsklage gegen Washington Public Power Supply System in den achtziger Jahren. Fast zehn Jahre lang führten Milberg und Weiss den hoch komplexen Fall, der in einem Vergleich in der Höhe von 775 Millionen Dollar endete. Im Jahr 2000 rang die Firma in einem Kartellfall Nasdaq-Tradern über eine Milliarde Dollar ab. Diesen Frühling besiegelte die Firma einen Vergleich in der Höhe von 2,4 Milliarden Dollar mit dem Telekom-Riesen Nortel. International berühmt wurde Milberg Weiss, als sie in den neunziger Jahren unentgeltlich zusammen mit anderen Anwälten die Holocaust-Klagen gegen Schweizer und deutsche Firmen führte – und Vergleiche im Umfang von sechs Milliarden Dollar erzielte.