Diamanten halten ewig

Im Juwelierladen der Zukunft fehlt die Theke. Die Käufer sitzen auf Sofas, umgeben von Kästen voller Preziosen. So will es Alyce Alston.

Von Peter Hossli

Ihren ersten Diamanten erhielt Alyce Alston auf der Skipiste. Fünf uniformierte Kerle der Pistenwache von Vail, Colorado, hatten sie umzingelt. Todesängste überkamen sie, bis ihr der grösste Kerl eine kleine Schachtel mit silberner Schleife in die Hand drückte. Dahinter warf sich ein dunkler Mann auf die Knie – und hielt um ihre Hand an. «Es war magisch.» Sie errötet. «Eine Magie, die nur ein Edelstein hinkriegt.»

Was sie durchaus ernst meint, ist zugleich ein vifer Slogan, den Alston jedem aufsagt, der sie nach der Faszination von Diamanten fragt. Denn die inzwischen dreifache Mutter amtet als Chefin des amerikanischen Arms von De Beers LV. Das Joint Venture zwischen dem südafrikanischen Diamantenproduzenten De Beers und dem französischen Luxuskonglomerat LVHM wurde 2001 gegründet, um weltweit 150 Schmuckgeschäfte zu eröffnen. Zusammen investieren die Teilhaber vorerst 500 Millionen Dollar.

Nach Japan und London wagt die Kette nun den Sprung in die USA, dem mit Abstand grössten Markt. Über die Hälfte des 60 Milliarden Dollar umfassenden Umsatzes mit Diamantschmuck wird hier erzielt. Die Models Paris Hilton und Naomi Campbell kamen, als Alyce Alston im Juli eine erste US-Boutique in Manhattan eröffnete, im Dezember folgt ein Geschäft am Rodeo Drive in Beverly Hills.

Als «meine persönliche Mission» bezeichnet Alston die Aufgabe, «De Beers LV zur führenden US-Ladenkette für Diamanten» zu trimmen. «Egal, wie ich es schaffe, Hauptsache ich schaffe es.» Schlecht stehen die Chancen trotz Konkurrenz von Traditionshäusern wie Tiffany oder Harry Winston nicht. Der 1948 von de Beers erstmals verwendete Slogan «A Diamond is Forever» gilt als bester Werbespruch aller Zeiten. Noch immer läuft er regelmässig am US-Fernsehen. Einen Erkennungswert von über 80 Prozent geniesst die Marke De Beers in den USA.

Das, obwohl die Firma während 50 Jahren keine Edelsteine direkt an amerikanische Kunden verkaufen durfte. Ihr war vorgeworfen worden, zusammen mit General Electric Preisabsprachen für Industriediamanten getroffen zu haben, ein Verstoss gegen das Kartellrecht. Erst letztes Jahr beglichen die Südafrikaner den Vorwurf mit einer Busse von 10 Millionen Dollar. Bis heute sehen die Bosse von De Beers allerdings von US-Reisen ab – aus Angst, verhaftet zu werden.

Das Joint Venture sei «rechtlich völlig abgekoppelt» von der Mutterfirma, betont Alyce Alston. «Deren Investition ist passiv.» Rasch entkräftet sie auch den Vorwurf, De Beers LV hätte als De-Beers-Tochter einen Preisvorteil. «Wir besorgen alle Steine auf dem freien Markt.» Beim Einkauf achte sie ohnehin nur auf Qualität. «Wir wählen Diamanten für ihre Schönheit aus, nicht für ihr Gewicht», sagt Alston. Der Schliff bestimme die Schönheit. Stolz sei sie auf den statistischen Fakt, die Hälfte der Steine nach deren Prüfung wegen «mangelnder Schönheit» zu retournieren.

Die blonde Managerin mit MBA-Abschluss trägt einen schwarzen eng anliegenden Hosenanzug, dazu schwarze Pumps. Sie sitzt auf einem weissen Ledersofa im zweiten Stock der Boutique an der Ecke 55. Strasse und Fifth Avenue in New York, der teuersten Einkaufsmeile der Welt. Ein Steinwurf entfernt von Gucci, Fendi, Rolex und Zegna. Sie war zu spät gekommen, wirkt jetzt gereizt, ist verschnupft.

Zu De Beers stiess sie erst im Frühjahr. Zuvor arbeitete die 41-jährige Südstaatlerin als Verlegerin. Für TV-Talkerin Oprah Winfrey gab sie das Magazin «O» heraus. Zuletzt stand sie an der Spitze des Mode- und Shopping-Magazins «W» und entwickelte das Schmuckmagazin «W Jewelry». Ein Heft, das Alston den De-Beers-Chefsessel bescherte. Erfolgreich hatte sie mit «W Jewlery» eine neue Marke in einem gesättigten Markt eingeführt.

Das soll ihr erneut gelingen. Dabei wolle sie mit den Schmuckläden wie einst mit Magazinen das «Produkt den Wünschen den Kunden anpassen». Sie positioniere die Juwel-Marke bewusst als «zeitgenössisch und luxuriös». Oft pausiert Alston vor Antworten, mehrmals streicht sie die Strähnen nach hinten, äugt auf den Blackberry, den sie nie loslässt.

Klar, das Design der Schmuckstücke sei einnehmend, die Qualität makellos. Vornehmlich will sie den Kunden aber mit einem zeitgemässen Kauferlebnis die Angst vor Edelsteinen nehmen. Das müsse «interaktiv sein, in einer entspannten ungezwungenen Atmosphäre». Daher sei das von Mahagoni und kariertem Glas bestimmte Ladeninnere «möglichst minimal aber schick» gehalten. Preisschilder legen offen, wie teuer jeder Stein ist, ob 600 oder 6 Millionen Dollar, wie sie die Preisspanne der edlen Ware beziffert. Wer anonym einkaufen wolle, findet indes Platz im fensterlosen VIP-Raum.

Liebespaare könnten «freimütig und ungestört auf bequemen Sofas turteln», bevor er ihr den Stein für die Ewigkeit kaufe. Ein auf Glas projizierter Film erklärt überdies die Qualitätsmerkmale von Diamanten. Nirgends trennt eine unüberwindliche Bar Verkäuferin von Kundin. Stattdessen liegt der Schmuck in gläsernen Kästen, die frei im Raum stehen. «Side-by-Side»-Shopping, nennt Alston das Konzept. «Damit zerschlagen wir die Hierarchie zwischen Personal und Kunde.» Bei der Konkurrenz müsse man eine Art Vorstellungsgespräch führen, um einen Diamanten zu erwerben. «Wir zelebrieren das Verkaufserlebnis», sagt sie.

Raubt der lockere Umgang den Diamanten nicht ihre Mystik? «Keineswegs, den Steinen allein gehört die Mystik, nicht arroganten Verkäufern.»

Zumindest mysteriös bleibt, warum De Beers überhaupt in den Detailhandel eingestiegen ist. Alston mag Gerüchte nicht kommentieren, die 1888 gegründete Bergbaufirma verliere Marktanteile und dränge daher näher zur Kundschaft. «Fragen Sie De Beers.» Fest steht, dass die Südafrikaner Ende der achtziger Jahre über 80 Prozent aller Rohdiamanten förderten. Heute ist es noch knapp die Hälfte. Minen in Russland und vor allem in Kanada graben zunehmend den Markt ab. Zudem setzte die asiatische Finanzkrise der neunziger Jahre der privat gehaltenen Firma arg zu.

Trotz teurem Bussgang kämpft De Beers in den USA mit Image-Problemen. Lauthals demonstrierten Menschenrechtler am Eröffnungstag im Juli vor der Boutique in Manhattan. De Beers soll in einer Mine in Botswana Buschmänner von ihrem Land vertrieben haben. Ende nächstes Jahr gelangt der Thriller «The Blood Diamonds» mit Leonardo DiCaprio in die Kinos. Wiederholt wird De Beers beschuldigt, ihre Rohdiamanten würden blutrünstige Rebellenkriege finanzieren. «Wer bei uns einkauft, erwirbt garantiert keine Konfliktdiamanten», sagt Alyce Alston. Sie sieht den DiCaprio-Film gar als «einmalige Chance, Kunden über die Massnahmen aufzuklären, wie wir Blutdiamanten stoppen.»

Es ist diese intuitive Qualität, Gefahren blitzschnell ins Positive zu wenden, die Alston auszeichnet. «Keinerlei Sorgen» bereite ihr etwa eine Meldung, wonach eine Firma in Boston perfekte künstliche Diamanten fertige, für einen Bruchteil des Preises echter Edelsteinen. «Der Preis eines Picasso-Gemäldes steigt mit jeder Kopie», sagt sie. «Jede Imitation erhöht das Bedürfnis nach der wahren Magie.»

Nie und Nimmer werde ein Kunstprodukt verkörpern, wofür Diamanten stünden. «Sie sind älter als die Sterne», schwärmt Alston. «Sie repräsentieren Liebe, Status, Macht, Leben.» Anekdotisch schildert sie, was sie damit meint. Unlängst sass sie spätabends allein in einer Pizzeria. Andächtig habe sie ihren nun zehn Jahre alten Diamantring betrachtet. «Da habe ich realisiert, wie sehr dieser Stein die Zeitspanne meiner Beziehung symbolisiert.» Von der Skipiste auf den Chefsessel.