Dem Sturm folgt die Abrechnung

Naturkatastrophen und Krisen verändern stets die politische Landschaft: George Bush zittert. Erst die Flut, dann die Krise der ganzen Wirtschaft. Was folgt, ist ein Regierungswechsel und das grosse Reinemachen. So ist es in den USA schon einmal gewesen: 1929. Jetzt wieder?

Von Peter Hossli

Amerika ist schockiert. Ein Orkan hat New Orleans zerstört. Hilfe kam erst spät. Reiche wurden gerettet, Arme zurück gelassen. Tausende starben. Politiker, allen voran Präsident George W. Bush, versagten.

Offenbart haben schreckliche Fernsehbilder, was in US-Medien selten Thema ist: Im reichsten Land der Welt grassieren Armut und sozial Ungerechtigkeit. Betroffen sind vornehmlich Schwarze. Katrina entblösste eine überforderte Supermacht. Was Umweltschützer seit Jahren predigen – Erderwärmung und die Zerstörung der Sümpfe im Mississippi-Delta hätten fatale Folgen – ist eingetroffen.

Nach dem Totalausfall misstraut die selbstsichere Nation plötzlich den Institutionen. Bush, ängstlich und überfordert, gilt als Emblem des Versagens. «Wenn der Präsident derart keine Ahnung hat», schrieb «New York Times»-Kolumnist Bob Herbert, «steckt das gesamte Land, genau wie die zurück gelassenen Menschen in New Orleans, in grossen, sehr grossen Schwierigkeiten.»

Schwierigkeiten, zeigt die US-Geschichte, ziehen meist Umwälzungen nach sich. Etwa in den Siebzigerjahren, als der Vietnamkrieg tobte, Städte und Staaten Pleite gingen, die Infrastruktur bröckelte und Richard Nixon aus dem Weissen Haus flüchtete. Amerika stürzte in eine Depression. Polit-Analysten sehen nun Parallelen. Damals wie heute ist das Benzin horrend teuer, hat der Präsident das Vertrauen der Mehrheit verloren, explodieren Sozialkonflikte, herrscht Krieg.

Dabei bilden Katrina und deren Folgen bloss den Höhepunkt einer Serie von Skandalen, die in den letzten fünf Jahren das Vertrauen beim Volk erschüttert haben. Der Wirbelsturm folgt auf Folterungen im Abu-Ghuraib-Gefängnis, die miserabel geplante Irak-Invasion, unzugängliche Geheimdienste, aber auch auf Fälschungen in den Medien, in den Wahllokalen, an der Wall Street.

Nach solch gigantischen Krisen bäumen sich in den USA traditionell die Verlierer gegen die Gewinner auf. So verlangten die Amerikaner nach der grossen Südstaaten-Flut von 1927 und der Rezession nach 1929 erstmals mehr Staat. Die Antwort: Der New Deal, der bisher grösste Sozialplan der Geschichte.

Auf Katrina dürften ebenfalls «radikale Änderungen folgen», prophezeit der konservative Kommentator David Brooks. Durchaus möglich scheint etwa, dass die Demokraten die Mehrheit in den Südstaaten zurückerobern. Diese hatten sie nach der Bürgerrechtsbewegung, ebenfalls ein radikales Ereignis, in den Sechzigerjahren an die Republikaner verloren.

Ohnehin spüren die Republikaner nach dem Sturm Gegenwind. In den letzten Jahren haben sie die Steuern der Reichen gesenkt, soziale Leistungen gestrichen und den Umweltschutz ignoriert. Vorerst besiegeln dürfte das Katrina-Fiasko die Reagan-Revolution, die Absage an den starken Staat. Nur ein bisschen mehr Staat – drei Milliarden Dollar für die Deiche um New Orleans – hätte Desasterkosten von weit über 100 Milliarden Dollar abwenden können – und Tausende vor dem Tod bewahrt.
Eine höhere Staatsquote bedingt wohl die Rücknahme von Bushs Steuergeschenken. Sind Rasse und Klasse in den USA selten ein Thema, haben Fernsehbilder wütender Schwarzen das Bewusstsein der Amerikaner dafür wieder geschärft. Prominente Schwarze sprechen plötzlich Klartext. «Bush hasst Schwarze», sagte etwa der Rapper Kayne West live am Fernsehen. Los getreten hat Katrina auch die lange unterdrückte Debatte über Erderwärmung.

Zusätzlich unter Druck geraten dürfte der kostspielige Irakkrieg. Nationalgardisten, die in Amerikas Süden hätten helfen sollen, stehen in Bagdad. Wie viele Helikopter, die manche Einwohner in New Orleans hätten vor dem Ertrinken bewahren können. Eine Mehrzahl der Amerikaner glaubt indes nicht mehr, der Irak-Feldzug mache sie sicherer. Grössere Gefahren als im Nahen Osten sehen sie im Landesinnern. Weg geblasen hat Katrina das zentrale politische Thema der Bush-Regierung: Den globalen Krieg gegen den Terror.

Schmerzen dürfte das die republikanischen Parlamentarier und ihr Präsident bei den Parlamentswahlen im Herbst 2006. Erobern die Demokraten eine Mehrheit im Kongress, wird wohl manche Ungereimtheit der Bush-Regierung zu Tage treten. Es wird sogar spekuliert, Bush drohe dann ein Amtsenthebungsverfahren – wegen der Iraklüge.

Auf Seiten der Republikaner gibt es aber auch Gewinner. Allen voran Rudolph Giuliani, der Ex-Bürgermeister von New York. Heldenhaft hatte er am 11. September 2001 vorgeführt, wie ein Politiker eine Krise zu bewältigen hat. Chancen aufs Weisse Haus wurden dem sozial Liberalen nachher jedoch nicht eingeräumt. Giuliani steht für das Recht auf Abtreibung und für Homosexuelle ein. Christliche Fundamentalisten, die Bush die Wiederwahl bescherten, verachteten ihn daher.

Katrina hat Amerika nun vorgeführt, dass grösseres Übel droht als Eheschliessungen unter Schwulen. Das wiederum dürfte den Einfluss der Frommen minimieren und den heroisch-kernigen Giuliani zum republikanischen Spitzenkandidat fürs Präsidentenamt im Jahr 2008 katapultieren.

Durcheinander gewirbelt hat der Sturm auch die Opposition. Zähneknirschend schweigen die Demokraten seit 9/11 – zum Krieg im Irak, zu den laschen Umweltgesetzen, zu dürftigen Sozialprogrammen. Die vermeintliche Spitze der Demokraten, die Senatoren John Kerry und Hillary Clinton, stehen nun als Verlierer da. Kerry, ein Multimillionär aus Boston und letztes Jahr Präsidentschaftskandidat, sprach im Wahlkampf selten über Armut. Clinton, eine Multimillionärin mit Wohnsitz in New York, wirbt seit Monaten opportunistisch um die christliche Rechte. Eine Strategie, die sich als wertlos erweisen dürfte.

Ausgraben kann seine Strategie hingegen John Edwards, vormals Kerrys Kandidat fürs Vize-Amt. Der einstige Anwalt spricht seit langem von den «two Americas», einem Land also, in dem extrem Arme neben extrem Reichen leben. Katrina untermauert die These des Südstaatlers. Ein idealer Vize-Kandidat für Edwards wäre Barack Obama, Senator von Illinois. Er gilt als redebewandter, emphatischer und brillanter als Bill Clinton. Er redet über Umweltschutz – und er ist schwarz.