«Sie klauen wegen Mätressen. Die Ehefrauen verpfeifen sie.»

Muss ein CEO von der Wall Street in den Knast, kippt dessen Leben um. Nicht mehr rohe Austern schlürft er zum Lunch, sondern dünne Suppen. Ein steifer Overall ersetzt den feinen Zwirn des Zweireihers. Statt jährlichen Boni in Millionenhöhe gibts 25 Cents die Stunde für Strafarbeit. Solche Ungemach zu bewältigen hilft ein Ex-Sträfling: David Novak, der Berater inhaftierter Weisskragenkrimineller.

Von Peter Hossli (Text) und Charly Kurz (Fotos)

david_novak1Sekunden nur braucht der Fahrstuhl, um David Novak in den 38. Stock zu heben, in eine Hotelsuite mit freier Sicht auf den Central Park. Zeit genug für eine saloppe Phrase mit Wahrheitsanspruch. «Sie stolpern fast immer über eine Frau», sagt der gross gewachsene, braun gebrannte 43-jährige mit perfekten Zahnkränzen. «Sie klauen wegen Mätressen. Ehefrauen verpfeifen sie.»

Sie, das sind Novaks Kunden. Allesamt Weisskragenkriminelle, jene Leute also, die trotz beachtlichen Vermögen Versicherungen betrügen, Schecks fälschen, Bilanzen frisieren. Es sind Manager, die mit Zahlenakrobatik Enron oder WorldCom knickten und Milliarden vernichteten.

Novak verteidigt sie nicht, seine Klienten sind alle schuldig. Er hilft ihnen, mit dem Gefängnis klar zu kommen. Namen nennt er keine. «Berufsgeheimnis», sagt er. Viele seiner Fälle sind ohnehin unbekannt, aber nicht minder spektakulär.

Ein Ehepaar etwa, das dem Pentagon 96000 Dollar pro Glühbirne verrechnet hatte. Oder zwei Cousins, die nicht gedeckte Schecks zwischen 296 verschiedenen Banken hin- und herschoben, so 5000 Dollar zu einem Millionenvermögen aufbliesen und Häuser kauften. Deren Wertsteigerung deckte sämtliche Konten ab. Ein brillanter Coup, wäre da nicht eine vergrämte Gattin gewesen. Sie fühlte sich bei der Scheidung benachteiligt – und rief das FBI an. «Wie gesagt, es scheitert oft an einer Frau», witzelt Novak, der sonst durchwegs sachlich redet und keiner Frage ausweicht.

david_novak2Ebenso behandelt er die illustre Kundschaft. Er bläut ihnen die Härte des Knasts ein. «Nur wer die Realität im Voraus kennt, überlebt sie.» Niemand wisse schliesslich, was einem erwartet, ob man «ein paar Monate Tennis spielt oder am ersten Tag von Drogenhändlern vergewaltigt» werde. Zwischen diesen Extremen liege der Alltag, überzeugt Novak die noblen Gauner.

Die zahlen ihm 165 Dollar die Stunde, weil sie weit mehr Mühe mit dem Knast bekunden als etwa Gewaltverbrecher. Freiheit bedeutet ihnen alles, sie sind sich viel Raum gewohnt, steigen in teuren Hotels ab, kontrollieren ihr Leben. «All das verschwindet am ersten Gefängnistag», so Novak. «Drinnen sind alle gleich.»

Er klärt die Klienten auf, was es zu essen gibt, wo sie pinkeln, wie sie schlafen werden – selten in Einzelnzellen, sondern in spärlich unterteilten Schlafsälen. «Besonders taff ist es», sagt Novak, «zu akzeptieren, dass sie keine CEOs mehr sind und nichts mehr zu sagen haben.»

Seine goldene Regel: «Falle nie auf.» Was lapidar tönt, sei für die entehrten Chefs schwierig. «In deren Leben wurde Individualität stets belohnt, im Gefängnis wird sie bestraft.» Des Weiteren rät Novak, hinter Gittern nie Fragen zu stellen und schon gar nicht mit Wärtern über Häftlinge zu reden. «Wer das tut, gilt als Ratte. Ungeziefer wird vernichtet.» Auf gar keinen Fall dürfe einer über die unpässliche Situation jammern. «Keiner will hören, dass man Dir die Versace-Unterhose weggenommen hat.»

Ist einem Delinquent mal bewusst, was ihn physisch erwarte, schlüpft Novak zusätzlich in die Rolle des Priesters. Stundenlang hört er zu. «Den Knast übersteht einer dann gut, wenn er seine Schuld anerkennt und niemand sonst verantwortlich macht.» Was Bankräubern einfacher gelinge, bereite Bilanzfälscher grösste Mühe. «Firmenbosse glauben an die eigene Hybris und erachten sich als unfehlbar.»

Novak rät deshalb, im Gefängnis die eigenen Werte zu überdenken. «Diese Menschen ordnen alles – Familie, Freunde, das Leben an sich – dem Profitstreben unter». Das, nicht kriminelle Adern treibe Weisskragendiebe meist an. «Nicht Gier, das Streben nach noch mehr Macht ist ihr Motor, der Glaube, sich alles erlauben zu können und über dem Gesetz zu stehen.»

Oft beginne es mit einer «Fünfe, die man gerade stehen lässt», sagt Novak, «dann noch eine und noch eine.» Liegt der Jahresgewinn ein paar Cents unter den Erwartungen, rundet man auf statt ab. Fallen die Verkaufszahlen zu knapp aus, rechnet man die erste Woche des nächsten Quartals noch hinzu. Rasch wird die Summe riesig, der Schaden enorm. Dahinter stünden Menschen, die stets «aggressiv und egoistisch» vorgehen müssten, um ihre Ziele zu erreichen. «Über Konsequenzen denken die nie nach.»

Novak weiss, wovon er spricht. 10 Monate und 19 Tage sass er selbst, wegen Versicherungsbetrug. Ihm gehörte eine Fluggesellschaft. Im Mai 1996 ging ein Motor einer seiner sieben Flieger kaputt. Statt ihn zu ersetzen, steuerte Novak die Piper Cherokee ein letztes Mal auf die Startbahn, hob ab und lenkte sie in einen See. Der Chuzpe zum Trotz flog der Schwindel auf.

Als «überwältigendes Erlebnis» beschreibt er das Zuchthaus. Plötzlich hatte er «Wärtern zu gehorchen, die weder den sozialen Rang noch das Geld hatten, in jenen Restaurants zu essen, die ich mir gewohnt war». Er verarbeitete den anfänglichen Schock mit Schreiben. Nach der Entlassung bat ihn der Bewährungshelfer, das Erlebte für künftige Häftlinge festzuhalten. Statt eines gewünschten Briefs lieferte Novak 80 Seiten ab, die er zu einem Buch ausbaute. Das Buch – «DownTime» – führte zu Vortragsreihen und ersten Kunden. Er hatte eine Marktlücke gefunden. Bis heute ist er der einzige auf seinem Gebiet.

Ohne Werbung kommt Novak aus. «Die Kunden finden mich», sagt er. Zumal viele Anwälte grosser Firmen ihn kennen. So arbeitet er für Häftlinge, die einst auf den Lohnlisten von Enron, Merrill Lynch, American Express, AOL oder AT&T standen. Nicht selten werde er aus der Firmenkasse bezahlt.

Keine Sorgen mache er sich um den Kundenstrom. Nur unmerklich hätte die Prozesswelle der letzten Jahre das Ansinnen an der Wall Street verändert. Die Firmen verknurrten nun halt untergeordnete Leute zur Prellerei. «Früher erledigte das der Chef noch selbst.»

Wenig nütze das unlängst verdreifachte Strafmass für Weisskragenkriminelle. «Man muss schon die Werte ändern», weg vom Hier und Jetzt, hin zur Nachhaltigkeit. «Trotz Skandalflut mangelt es an Einsicht.» Wirtschaftsschulen priesen weiterhin zuallererst Quartalsergebnisse und steile Aktienkurse. Und sie lassen analysieren, was Enron-Chairman Ken Lay hätte tun müssen, um eben nicht aufzufliegen.

Novak kanns Recht sein. Er kontrolliert sein Leben wieder, hat Geld, geniesst Annehmlichkeiten. Der Stoff der Bundfaltenhose ist so edel wie das Leder der Lackschuhe. Nach dem Interview fliegt er mit der Gattin im Helikopter über Manhattan. Abends speist er bei Nobu, dem exklusivsten Japaner New Yorks. Am nächsten Tag besteigt er den Luxusdampfer Queen Mary 2 für eine Atlantikkreuzfahrt.

Scham zeigt er nicht. Der Reporter soll wissen, es geht ihm gut. Zumal er sich als optimaler Werbeträger sieht. «Ich bin der lebende Beweis, wie man eine Haftstrafe unbescholten übersteht.»