Volkes Stimme

Sie leben im gleichen Land, doch zwischen ihnen liegen Welten: Drei Amerikaner reden über ihre Hoffnungen und ihre Sorgen. Von der zweiten Amtszeit George W. Bushs und von der grossen Politik erwarten sie wenig.

Von Peter Hossli (Text) und Adrian Müller (fotos)

laurel_touby.gif«Ich will berühmt werden.»

Laurel Touby, 39, New York, Unternehmerin

«Ich heisse Laurel Touby, bin 39 Jahre alt und besitze die Internetfirma Mediabistro.com. Als New-Yorkerin geht es mir ähnlich wie den meisten urbanen Menschen dieses Landes – ich fühle mich isoliert von Amerika, weit weg vom Mainstream. Abgesehen von den Tagen unmittelbar nach 9/11 habe ich mich nie als Amerikanerin wahrgenommen.

Ich wurde in Hawaii geboren, wuchs in Miami auf und zog als junge Journalistin nach New York. Hier gibt es alles, was ich brauche. Ich bin Unternehmerin geworden, weil ich unabhängig arbeiten will. Mit einer Party in meiner Wohnung im East Village startete ich 1993 meine Firma, vier Jahre später kam die Website hinzu. Meine Firma Mediabistro bringt Medienleute zusammen. Mittlerweile habe ich 16 Angestellte, erziele einen Umsatz von 2,4 Millionen Dollar und eine Wachstumsrate von jährlich 50 Prozent. Ich schreibe schwarze Zahlen. Ich besitze eine der wenigen Internetfirmen, die vor dem Boom gestartet wurden und die es trotz Crash noch gibt. Darauf bin ich stolz. Mein Rezept: Gib Geld nur dann aus, wenn du damit auch Geld verdienst.

Ich will das Leben anderer kreativ beeinflussen. Und ich will berühmt werden. Die meisten US-Medienleute kennen mich. Nun möchte ich global bekannt werden, in jeder Metropole der Welt will ich Mediabistro-Partys feiern – mit gutem Käse und gutem Wein. Ich hoffe, als kreatives Genie in die Geschichte einzugehen. Ob mir das gelingt, ist offen, aber zumindest versuche ich es. Es ist leichter, das in den USA zu tun. Amerika erlaubt es mir, Verrücktes zu wagen. Es gibt hier nur wenige Regeln. Wir gestehen uns die Freiheit zu, Unvorstellbares und Unmögliches zu verwirklichen. Ich habe die Freiheit zu scheitern, und ich habe die Freiheit, Erfolg zu haben.

In Europa ist das anders. Zwar geben sich die Europäer stets weltgewandt, sie verhalten sich aber provinziell. Das Gebaren dort ist dörflich. Willst du in Europa ein Geschäft machen, braucht es stets die persönliche Ebene. Ein Eingeweihter muss dich einführen. Hier in New York geht das nicht. Alle sind einander fremd. Will ich etwas, drängle ich mich vor.

Für mich macht es keinen Unterschied, ob Republikaner oder Demokraten regieren. Die Politik bleibt ohnehin gleich. Klar, es war idiotisch, den Irak anzugreifen, aber innenpolitisch verändern sich die Dinge kaum. Trotzdem wähle ich stets demokratisch, weil die Demokraten längerfristige Aufgaben wie den Umweltschutz oder das Gesundheitswesen wenigstens ansatzweise anpacken.

Draussen in der Welt sind wir Amerikaner nicht beliebt. Neu ist das nicht. Europäer denken seit jeher, Amerikaner seien hässlich, laut und grob. Und wissen Sie was? Ich bin gleicher Meinung. Schliesslich bin ich nicht Amerikanerin, sondern New-Yorkerin.»

«Das Casino-Geld macht uns Indianer frei.»

Mark Brown, 47, Uncasville, Connecticut, Häuptling

«Ich heisse Mark Brown, bin 47-jährig, verheiratet und habe drei Söhne. Wie die meisten Indianer bin ich ein Patriot. Amerika ist nicht nur meine Heimat, es ist mein Land. Vor 800 Jahren haben meine Vorfahren im selben Wald gejagt, wo jetzt mein Haus steht und meine Buben spielen. Darauf bin ich mächtig stolz. Jederzeit würde ich dieses Land verteidigen. Seit dem Revolutionskrieg gegen die Engländer haben Mohegan-Indianer in jedem Krieg an Seiten der Amerikaner gekämpft. Hunderte Mohegan starben für die Freiheit Amerikas. Mein Vater war in Korea und in Vietnam, mein Bruder ist derzeit in Afghanistan stationiert. Der 11. September 2001 hat uns besonders zugesetzt. Erstmals seit der Ankunft der Kolonialisten wurde unser Land wieder von Fremden attackiert.

Der neunköpfige Stammesrat hat mich für eine fünfjährige Amtsperiode zum Vorsitzenden der Mohegan-Indianer gewählt. Meine Mutter drängte mich zur Kandidatur. Ich sollte das Erbe meines Urgrossvaters antreten, der letzte Häuptling aus meiner Familie. Bevor ich den Stamm übernahm, diente ich als Stadtpolizist. Meine Frau ist ebenfalls Polizistin. Ihre Vorfahren kamen im 17. Jahrhundert aus England nach Amerika. Sie hielten sich damals Mohegan-Indianer als Sklaven. Jetzt hat sie einen Sklaven geheiratet! Da unser Stamm nur 1650 Mitglieder zählt und ich mich in keine Mohegan-Frau verlieben konnte, heiratete ich ausserhalb.

Wir sind eine von 556 souveränen Nationen auf dem Gebiet der USA. Unser Stamm entscheidet, welche US-Gesetze wir akzeptieren. Seit 1996 betreiben wir auf unserem Reservat zwischen Boston und New York ein Casino mit 10000 Angestellten. Täglich ziehen zwischen 12000 und 45000 Leute an einarmigen Banditen oder stehen an Rouletttischen. 2003 erzielten wir einen Umsatz von 1,3 Milliarden Dollar. Es ist nun meine Pflicht, die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Mohegan weiter zu stärken und die Einnahmequellen zu diversifizieren. Jüngst haben wir eine Pferderennbahn in Pennsylvania gekauft, die wir jetzt zu einem Casino ausbauen. Die Gewinne investieren wir sofort wieder. Will ein Mohegan-Indianer studieren, zahlen wir ihm die Studiengebühren. Für die Zukunft der Kinder ist ebenfalls gesorgt. Bei der Geburt errichten wir allen einen Anlagefonds, auf den sie mit 18 Jahren Zugriff haben.

Natürlich, seit bei uns das Geld fliesst, will jeder ein Mohegan sein. Es klopfen Leute an, deren Vorfahren vor Jahrhunderten die Sippe verlassen hatten. Dagegen mussten wir etwas unternehmen. Vor zwei Jahren schlossen die Grenzen für Rückwanderer.
Geld macht uns frei. Dank dem Casino sind wir wirklich souverän. 600 Jahre lang haben wir ums Überleben gekämpft, jetzt können wir unsere Geschichte aufarbeiten. Wir schicken angesehene Historiker nach Europa, die niedergeschriebene Erlebnisberichte der Kolonialisten nach Begegnungen mit Mohegan-Indianer absuchen.

Lange Zeit waren wir Bittsteller in Washington und erhielten Sozialhilfe. Jetzt schicken wir überschüssiges Geld zurück in die Staatskasse; andere Stämme erhalten es. Mich fasziniert das politische Theater. Es ist ein Machtspiel, bei dem die Indianer nun mit am Tisch sitzen. Wir haben Einfluss, weil wir Geld haben. Gouverneure und Senatoren empfangen mich regelmässig, im Weissen Haus war ich oft. Bill Clinton kam zur Eröffnung des Casinos; mir ist kein Mensch begegnet, der so viel isst und so viel redet.

Die republikanische Partei hat in den letzten Jahren nichts getan für uns. Deshalb sind viele Republikaner in indianischen Gebieten abgewählt worden. Unserer Demokratie geht es nicht sonderlich gut. Schuld daran ist die Parteilichkeit. Parlamentarier stimmen nicht mehr aufgrund von Sachverstand sondern nur noch nach strikter Parteidoktrin ab. Amerika wird sich davon aber wieder erholen. Amerika ist ein starkes Land.»

«Die Welt hat wenig Ahnung von Amerika.»

Wayne Wyand, 53, Lebanon, Pennsylvania, arbeitslos

« Ich heisse Wayne Wyand, bin 53 Jahre alt, verheiratet und habe zwei erwachsene Kinder und zwei Grosskinder. Kürzlich hat mein Vater unser Autoersatzteilgeschäft verkauft, in dem ich zwanzig Jahre lang als Verkäufer gearbeitet habe. Momentan bin ich arbeitslos. Dafür male und fotografiere ich alles, was irgendwie mit Amerika zu tun hat. Deshalb ist es gut, dass ich hier in Pennsylvania lebe, wo unser Vaterland am schönsten, wo Amerika noch Amerika ist. Ich male Maisfelder, Bauernhöfe, kleine Geschäfte, sanfte Hügel. Das ist das echte Amerika, nicht New York oder Chicago. Die Städte sind alle zerfressen. Die guten Leute leben auf dem Land.

Die Welt hat wenig Ahnung von Amerika. Wegen Hollywood glauben alle, wir würden in Villen wohnen, Hummer verspeisen und Mercedes fahren. Dabei sind echte Amerikaner bescheidene, tüchtige Menschen. Ich zahle eine Hypothek ab, esse Hackbraten, lenke einen Chevy und gehe sonntags in die Kirche. Wegen uns ist Amerika das stärkste Land der Welt. Die Europäer? Die haben nach dem Zweiten Weltkrieg nur dank uns ihre Trümmer weggebracht. Ground Zero in New York war nach wenigen Monaten gesäubert. Würden sich die Architekten nicht streiten, stünden die Zwillingstürme bereits wieder. So etwas bringt sonst niemand auf der Welt zu Stande. Was wie ein Klischee klingt, ist für mich die reine Wahrheit: Amerika ist das einzige Land, in dem alles möglich ist. Am 11. September 2001 wurde mehr Geld vernichtet als während des Zweiten Weltkriegs. Und wo steht die Wirtschaft heute? Sie ist stärker denn je. Aus eigener Kraft haben wir uns aufgerafft. Amerika ist ein schlafender Riese, der unheimliche Kräfte freisetzen kann. Sind wir mal verwundet, rate ich: Geht uns aus dem Weg, ihr habt keine Chance. Al-Kaida hat uns aufgeweckt. Wir bekämpfen die Terroristen, bis sie zerquetscht sind. Und wir werden gewinnen, Amerika ist das Land der Sieger.

Mit uns kann niemand mithalten. Ich weiss, wovon ich spreche, ich habe die Welt gesehen. Jahrelang habe ich amerikanische und alliierte Nachtsichtgeräte-Spezialisten ausgebildet, in Europa, in Asien, im Nahen Osten. Beeindruckt hat mich dabei nur Israel. Die Israelis haben Disziplin, sind mutig und patriotisch. Sie können kämpfen. Als Kommandant von drei Brigaden israelischer Soldaten könnte ich jedes Drittweltland einnehmen. Israel weiss sich zu verteidigen. Etwas, das wir viel zu lange vernachlässigt haben. Sogar Reagan unternahm 1987 nach dem Anschlag auf die Marines im Libanon nichts. Damit ist jetzt endlich Schluss. Die Politiker handeln richtig und erklären dem Feind den Krieg. Das ist bitternötig. Wir leben in einer verdammt gefährlichen Zeit.

Jederzeit ist ein Angriff möglich. Ins Ausland reise ich nicht mehr. Wer einen US-Pass auf sich trägt, ist gefährdet. Nicht mal in die Schweiz würde ich mich wagen. Wir müssen den Krieg jetzt führen, so aggressiv wie möglich, nur schon wegen meiner Enkel. Verlieren wir, bleibt für sie nichts von dem übrig, worum uns alle beneiden – Freiheit.»