Eine Auktion für alle

Das IPO der Internet-Legende Google lässt Anleger hoffen und die Banken in der Nebenrolle. Der Google-Börsengang über eine «elektronische Auktion» irritiert die Investmentbanken und entzückt die Kleinanleger. Übertriebene Hoffnungen und allzu grosse Furcht scheinen dennoch fehl am Platz.

Von Peter Hossli

Das freche Vorwort eines Börsenprospektes verbreitete letzte Woche an der Wallstreet eitel Freude wie existenzielle Furcht. «Google ist keine konventionelle Firma», schrieben die Gründer Sergey Brin und Larry Page. «Es ist nicht unsere Absicht, eine zu werden.»

Als börsenkotierte Firma werde sich Google nicht dem Diktat der Analysten beugen und bloss Quartalsergebnissen hinterherhecheln, schrieben sie. «Wir haben uns als private Firma auf langfristige Ziele ausgerichtet. Das tun wir weiterhin.»

Die rebellische Haltung war schockierend und gefiel zugleich vielen. Endlich wage wieder einmal ein Hoffnungsträger den Börsengang – mit phänomenalen Aussichten. Einige Analysten bejubelten das IPO historischen Ausmasses euphorisch und verglichen es mit Netscape in den Neunzigern. Die ausgegebenen Aktien mit einem Nominalwert von 2,7 Milliarden Dollar könnten einen Börsenwert von 50 Milliarden Dollar erzielen, so verwegene Schätzungen. Realisten rechnen mit 25 Milliarden.

Wie einst Netscape löse Google eine neue Welle von Börsengängen aus, freute sich die Finanzindustrie, die seit vier Jahren auf genau das wartet. Seit Anfang März haben nicht weniger als 22 Firmen aus der Informationstechnologie eine offizielle Eingabe zur Ausgabe von Aktien gemacht. Bringt das Börsendebüt von Google den erhofften Erfolg, könnten weitere IPO folgen. Zumal sich das Unternehmen in einem von jenen Firmen unterscheidet, die in den Neunzigerjahren an die Börse gingen: Das Unternehmen weist steile Wachstumskurven auf und verdient vor allem richtig Geld.

Die 1998 gegründete Firma ist seit 2001 profitabel. Im Jahr 2003 erzielte sie bei einem Umsatz von 962 Millionen Dollar einen Reingewinn von 106 Millionen. Google habe bewusst ausserordentliche Abschreibungen vorgenommen, um den Profit zu schmälern. Im ersten Quartal 2004 lag der ausgewiesene Gewinn bei bereits 64 Millionen Dollar. Die Firma hat aktuell 455 Millionen in Cash und ist schuldenfrei.

Online-Versteigerung soll demokratisch sein

Während solch eindrückliche Zahlen die Investoren entzücken, sorgen sich die Investmentbanken um das Google-IPO. Sie wissen: Die Bedingungen diktiert jene Firma, die an die Börse geht, und nicht die Banken, die sie dorthin führen. Google habe das Internet transformiert, schrieb dazu das «Wall Street Journal», jetzt wolle die Firma die Wallstreet auf den Kopf stellen.

Brin und Page verabscheuen die fein betuchten Investmentbanker regelrecht. Die Banken mussten sich einzeln um den Zuschlag als Konsortialführer bewerben. Den besten Eindruck hinterliessen Credit Suisse First Boston und Morgan Stanley. Sie waren aber vor allem bereit, das IPO billig abzuwickeln. Sie geben sich mit drei statt der üblichen sieben Prozent Kommission zufrieden. Macht dieses Prinzip Schule, schmälert sich für die Banken jenes Geschäft, das die höchsten Margen abwirft.

Bei der Zuteilung der Neuemissionen gewährt Google ihnen ebenfalls wenig Spielraum. Normalerweise weisen Konsortialbanken die lukrativen Papiere ihren besten Kunden zu. Die Kleinanleger haben jeweils kaum Chancen. Während der New Yorker Staatsanwalt die Banken deswegen vor Gericht zerrt, offeriert Google eine Alternative – und versteigert alle Aktien online.

Mit einer in Anlehnung an den Tulpenhandel «holländisch» genannten Auktion gelangen die Aktien unters Volk. Jene Personen, die Google gross gemacht haben, sollen zum Zug kommen: die Internetnutzer, die täglich 200 Millionen Mal nach Informationen suchen.

Das geht so: Google legt in Absprache mit den Banken eine Preisspanne fest. Wer bieten will, eröffnet bei einer Konsortialbank ein Konto. Möchtegern-Aktionäre geben an, wie viele Papiere sie wie teuer kaufen wollen. Auf Grund der Angebote ermitteln Google und die Banken den Ausgabepreis. Wessen Angebot den Preis trifft oder darüber liegt, wird berücksichtigt.

Schlägt der Ausgabepreis zu weit nach oben aus, kann Google weitere Aktien ausgeben und den Preis drücken. Die Firma hat zudem die Möglichkeit, jene Bieter zuerst zu berücksichtigen, die eine geringe Anzahl Anteilscheine erstehen können. Grossanleger kämen erst in einer zweiten Runde in den Genuss eines Kaufes.

«Bewundernswerter Börsengang»

Zur Überraschung vieler trug der naive wie rebellische Ansatz den Google-Gründern Lob an prominenter Stelle ein. So pries ein Leitartikel im «Wall Street Journal» den Börsengang als «bewundernswert» und «perfekt auf das Geschäftsmodell von Google zugeschnitten».

Noch steht nicht fest, wann das IPO über die Bühne geht, wie breit die Preisspanne sein wird und an welcher Börse Google kotiert wird. Da der Markt theoretisch mehr Zeit hat, einen angemessenen Kurs zu ermitteln, sollten am Emissionstag Kursausschläge aber ausbleiben. Google könnte es demnach gelingen, ein globales Heer von Kleinaktionären zu formen. Dass sich deren Investition innert Kürze vervielfacht, ist zu bezweifeln. «Der Hype im Voraus war dafür zu gross», warnt Michael Baldinger von Bear Stearns. Er glaubt, die Kapitalisierung werde bei zwölf Milliarden Dollar zu liegen kommen.

Institutionelle Investoren dürfte die ungewöhnliche Prozedur des Börsenganges abschrecken. Viele stören sich zudem an den zwei Aktienklassen, die Google kreiert. So bündelt eine dem Management vorbehaltene Aktie zehnmal mehr Stimmen als die ausgegebenen Papiere. Während diese Struktur den Gründern die Kontrolle sichert, könnte sie die Nachfrage in aktiven Investorenzirkeln hemmen und den Kurs drücken. Ähnliches gilt für die Gesinnung der Google-Gründer. Brin und Page «beabsichtigen, aus Google eine Institution zu formen, die aus der Welt einen besseren Ort macht». Weltverbesserer sind jedoch allzu selten wirklich gute Kapitalisten.

Gegen Microsoft?

Zwar lüftete Google letzte Woche das bestgehütete Geheimnis im Silicon Valley: die Geschäftszahlen. Was die Internetfirma aber neben Suche und Werbung künftig tun will, bleibt weiterhin geheim. Spekuliert wird etwa, Google wehre sich nicht gegen die Angriffe von Yahoo und Microsoft im Suchbereich, sondern greife Microsoft im Kerngeschäft an. Gemäss Gerüchten soll die Firma über 100 000 Server betreiben, auf denen eine Art Internet-Betriebssystem für alle installiert werden könnte. Nicht mehr Windows, sondern Google würde dann den Grossteil der Computer steuern. Über dieses und andere Projekte denkt ein Heer von supersmarten Ingenieuren nach.

Damit deren Ideen sprühen, dürfen alle Google-Angestellten einen Tag pro Woche tun und lassen, was sie oder er will. Dabei sollen sie Risiken eingehen und ausserhalb der berühmten Box denken. Gerade dort weist Konkurrent Microsoft bekanntlich Schwächen auf.