Ausgeschlachtet

Dem Popstar Michael Jackson wird Kindsmissbrauch vorgeworfen. Doch das Interesse am Fall verebbt in den USA bereits.

Von Peter Hossli

Die Truthähne schmorten noch, als die TV-Quoten in die Höhe schnellten. Nicht etwa Michael Jackson, dem Sänger, sondern George W. Bush, dem Politiker, gehörten an Thanksgiving die Augen Amerikas. Überraschend war Bush nach Irak geflogen. Popper Jackson, dem der Missbrauch eines Zwölfjährigen vorgeworfen wird, verschwand von den Mattscheiben.

Zurückgekehrt ist er bisher nicht. Nur eine Woche war das amerikanische Fernsehen «wacko about Jacko», verrückt nach Jackson.

Der Jackson-Prozess werde «niemals das Ausmass des O.-J.-Simpson-Falls» erreichen, sagt Stacy Koerner von der Medienforschungsfirma Initiative Media. Mitte der Neunzigerjahre, als der Ex-Footballer Simpson wegen Mordes angeklagt wurde, war die Welt noch in Ordnung. «Heute lebt Amerika in konstanter Angst», sagt Koerner, «Boulevard hat nicht mehr dieselbe Resonanz wie einst.»

Bei Jackson fehle überdies das überraschende Element. Simpson galt als dusseliger, netter Kerl. Und Basketball-Superstar Kobe Bryant, derzeit wegen Vergewaltigung angeklagt, war der Saubermann des Sports schlechthin. Aber «Jackson und Pädophilie? Das überrascht niemanden», sagt Koerner. Zumal im nächsten Jahr Spannenderes ansteht – die Wahl des Präsidenten.

Dagegen ist nicht einmal sicher, ob es überhaupt zum Strafprozess kommt und – für die Wirkung unabdingbar – ob Kameras dabei sein werden. Beides entscheidet der zuständige Richter in Santa Barbara. Am 9. Januar erscheint Jackson, derzeit gegen Kaution frei, zur ersten gerichtlichen Anhörung. Staatsanwalt Tom Sneddon muss «hinreichenden Verdacht» darlegen, Jackson habe die ihm angelasteten Verbrechen begangen.

Um dies zu verhindern, hat der gebleichte Popstar den besten Strafverteidiger engagiert, den es in der Glamour-Branche gibt: Mark Geragos. Geragos kennt nicht nur das Gesetz, er versteht die Medienmaschine, angesichts der Vermischung von Justiz und Unterhaltung ein immenser Vorteil. Jahrelang talkte er als Rechtsexperte in TV-Shows. Mal mit mehr, mal weniger Erfolg verteidigte Geragos Berühmtheiten, etwa die notorische Kleiderdiebin Winona Ryder oder den präsidialen Halbbruder Roger Clinton. Kollegen attestieren ihm hohe Professionalität. Er hasse es zu verlieren.

Genau wie seine Nemesis, Staatsanwalt Sneddon, ein Ex-Boxer mit dem Kosenamen «mad dog». Er hatte Jackson schon einmal in der Mangel. 1993 bezichtigte er den Sänger, einen 13-Jährigen sexuell ausgebeutet zu haben. Doch bevor es zum Prozess kam, bezahlte Jackson den Eltern 15 Millionen Dollar, Sneddon musste seine Untersuchungen einstellen.

Laut neuster Gesetzgebung müssen Minderjährige nun aber aussagen. Gerade deshalb werde der Prozess zum «juristischen Musterfall», sagt Strafrechtler Franklin Zimring von der University of Berkeley. Sneddon muss die Jury überzeugen, dass «keinerlei angemessene Zweifel» an Jacksons Schuld bestehen.

Allein mit Indizien lässt sich diese juristische Hürde nicht nehmen. Es braucht handfeste Beweise oder glaubhafte Zeugen. Zur Anwendung kommt die «hear say»-Regel. Demnach sind Aussagen von unbeteiligten Dritten als Beweismittel zugelassen. Zweitrangig wird für die Anklage somit, ob das angebliche Opfer, ein zwölfjähriger Krebspatient, selber aussagt – oder wie befürchtet vorzeitig stirbt.

Das berge «enorme juristische Probleme», sagt Professor Zimring. Bei Kindsmissbrauch würden Unbeteiligte oft emotional aussagen, was die Täter benachteilige und «wahrscheinlich verfassungswidrig» sei. Alle hätten in den USA das Recht auf einen fairen Prozess. «Gerüchte gehören nicht vor Gericht.»