Der schwarze Schatz

Jahrelang wurde die irakische Bevölkerung durch das Uno-Programm «Öl für Lebensmittel» ernährt. Weil nun private Firmen den lukrativen Handel übernehmen wollen, ist ein diplomatisches Gerangel um das irakische Erdöl entbrannt. Die Besatzermacht Amerika versucht die Kriegsgegner Frankreich und Russland auszubremsen. Die Uno wartet ab.

Von Peter Hossli

Der Krieg im Irak ist vorbei. Das verkündete US-Präsident George W. Bush diese Woche an Bord eines Flugzeugträgers. Begonnen hat nun der Zwist um die Kriegsbeute: das Erdöl.

Noch vor der Siegeserklärung forderte Bush die Uno auf, die Sanktionen gegen Irak aufzuheben. Das sei der beste Weg, um das Zweistromland zu demokratisieren. Es ist vorerst auch die beste Möglichkeit, das Öl Iraks anzuzapfen.

Den schwarzen Saft kontrolliert seit Mitte der neunziger Jahre nämlich die Weltorganisation. 1990, nach dem Einmarsch Iraks in Kuwait, verhängte sie strikte wirtschaftliche Sanktionen gegen das Regime von Saddam Hussein. Da vor allem die zivile Bevölkerung darunter litt, initiierte die Uno 1995 das «Öl für Lebensmittel»-Programm.

Demnach durfte Irak Erdöl an ausländische Kunden verkaufen. Allerdings floss das Geld auf ein von der Uno verwaltetes Konto der französischen Bank Paribas. Damit kaufte die Weltorganisation Lebensmittel und Medikamente und transportierte diese in den Irak.

Es ist ein kolossales Programm mit 900 internationalen und 3400 irakischen Angestellten. Seit Beginn im Dezember 1996 wurden gemäss dem Uno-Büro für Irak 63 Milliarden Dollar umgesetzt. Mit 2,2 Prozent des Umsatzes blieb der administrative Aufwand bescheiden. Nicht aber das Resultat: Das Programm ernährt alle 27 Millionen Einwohner Iraks und sorgt für eine verhältnismässig gute medizinische Versorgung. Täglich erhielt jeder Iraker 2200 Kalorien, sagt der Uno-Sprecher Ian Steele. «60 Prozent der irakischen Bevölkerung sind darauf angewiesen», so Steele.

Am 3. Juni läuft das letzte des jeweils sechs Monate lang laufenden Mandats aus. Was dann passiert, ist ungewiss. Zumal Pläne für Alternativen fehlen. Es müsse verhindert werden, dass das Programm einfach stoppt, sagt Steele. «Dramatisch» wären die Folgen für die Bevölkerung. Benno Laggner, der bei der Schweizer Uno-Mission zuständige Diplomat, hält deshalb «ein graduelles Auslaufen» des Programms für denkbar.
Darüber befinden wird der Uno-Sicherheitsrat. Die USA, so Uno-Diplomaten, würden derzeit eine Resolution vorbereiten, welche die Sanktionen gegen Irak ausser Kraft setzt. Ein Anliegen, das selbst USA kritische Diplomaten verstehen. Das Regime, gegen das die Sanktionen erhoben worden sind, ist, wenn auch unter zweifelhaften Umständen, entmachtet worden.

Selbst wenn die Sanktionen fallen und das «Öl für Lebensmittel»-Programm aufgehoben oder ersetzt wird, bleibt offen, mit wem Firmen wie ChevronTexaco oder ExxonMobil verhandeln. Je nach Rechtsauffassung sind die Amerikaner derzeit Besatzungsmacht, oder aber sie überwachen eine Übergangsphase. Das kreiert eine komplexe völkerrechtliche Situation. «Das Recht kann nicht alle Antworten geben», sagt Valentin Zellweger, Rechtsberater der Schweizer Uno-Mission. Am Schluss werden die Entscheide darüber, wer mit wem Verträge abschliessen darf, wohl politisch gefällt.»

Vieles hängt davon ab, ob die Uno direkter als bisher in die Bildung eines neuen Iraks eingreift. «Alle warten auf klare Vorstellungen der Amerikaner, wie diese die Rolle der Uno sehen», sagt dazu der Schweizer Diplomat Laggner.

Ähnlich wie beim Wiederaufbau des Landes, versuchen die USA auch bei der Vergabe der Ölförderung die Oberhand zu behalten. Zum Missfallen Frankreichs, vor allem aber Russlands.

Die Russen haben nämlich gute Karten. Irak schuldet ihnen nach wie vor 10 Milliarden Dollar. Überdies hat die grösste russische Ölfirma Lukoil Verträge mit Hussein über die Förderung des irakischen Öls abgeschlossen. Die USA sagen, mit dem Diktator getroffene Abmachungen seien ungültig. Lukoil hingegen besteht auf die Unterschrift und droht mit Klagen. Gleichzeitig soll die Firma mit US-Unternehmen Verhandlungen führen über den Verkauf der bestehenden Verträge.

Es geht um viel Öl. 112 Milliarden Fass in höchster Qualität liegen unter Wüste und Gebirge des Iraks. Das entspricht zehn Prozent der weltweit bekannten Reserven. Nur Saudi-Arabien hat mit 264 Milliarden Fass noch mehr. Allerdings sind die irakischen Vorkommen erst spärlich erforscht. Energie-Analysten schätzen den gesamten irakischen Schatz auf 300 Milliarden Fass.

Selbst wenn die Sanktionen fallen, dürften ihn US-Firmen nicht sofort heben. Zuerst muss Irak Schulden tilgen und den Wiederaufbau finanzieren. Mehr als 80 Milliarden Dollar fordert etwa Kuwait für Kriegsschäden von 1990. Darüber hinaus ist das Land mit etwa 100 Milliarden Dollar im Ausland verschuldet.

Jährlich 10 Milliarden, so Schätzungen, kostet zudem der Wiederaufbau, während mindestens fünf Jahren. Da haben die USA ebenfalls vorgesorgt. Die ersten Verträge gingen ausschliesslich an amerikanische Firmen. Zuerst werden sie mit 900 Millionen Dollar US-Entwicklungshilfe bezahlt. Danach mit dem Öl, das zuvor das irakische Volk ernährt hat. Die Erträge fliessen auf die Konten amerikanischer Baufirmen.
Box: Acht Dollar für ein Fass Öl

Vor Kriegsbeginn hatte der Irak täglich rund 2,5 Millionen Fass Rohöl produziert. Haben amerikanische Firmen die abgetakelten Ölanlagen einst in Stand gestellt, gehen Energie-Analysten von einer Fördermenge von täglich bis zu 9 Millionen Fass aus. Gefährden könnte ein solcher Ölsee das Kartell der OPEC. Die Organisation Öl exportierender Staaten peilt einen durchschnittlichen Ölpreis von 23 bis 28 Dollar pro Fass an. Auf bis zu acht Dollar, so Öl-Analysten, könnte Irak der Preis runter treiben. Allerdings sind zuerst Investitionen von bis zu 30 Milliarden Dollar nötig, damit das Öl in solchen Mengen sprudelt. In Anbetracht dessen wären allzu aggressive Förderung für den Irak wohl eher nachteilig.