Als Raucher die Würde verloren

In New Yorker Bars und Restaurants darf seit Anfang April nicht mehr geraucht werden. Die Aufregung hält sich in Grenzen.

Von Peter Hossli (Text) und Robert Huber (Foto)

smoke.gif Die Türschwelle des Village Pub trennt Jeff Winter von Frank Smith. Winter trinkt, Smith raucht. Gemeinsam reden die beiden Dreissigjährigen über Politik. «Das Bier darf ich nicht auf die Strasse bringen», sagt Winter, «Frank darf drinnen nicht rauchen, also treffen wir uns im Niemandsland, hier beim Türvorleger.»

Kuriositäten wie diese gehören zum neuen New Yorker Alltag. Vor einem Monat trat in der 8-Millionen-Metropole eines der striktesten Anti-Rauchgesetze der USA in Kraft. Es soll das Personal in Restaurants und Bars vor den gesundheitlichen Folgen des Passivrauchens schützen. In fast allen Gaststätten ist das Rauchen nun untersagt.

Auf Tressen und Tischen stehen keine Aschenbecher mehr. Zündhölzer? Fehlanzeige. Glimmen Zigaretten, wird der Wirt zuerst mit 200 Dollar gebüsst. Bei Wiederholung schnellen die Bussen in die Höhe, bis zu 2000 Dollar. Zudem droht Lizenzentzug.
An diesem Dienstagabend Ende April fällt kühler Nieselregen im East Village, dem Bohème-Bezirk in Manhattan. Vor fast jeder Bar bilden sich kleine Gruppen. Es sind Raucher, die ihre Dosis Nikotin auf dem Trottoir inhalieren müssen.

Zuweilen rempelt sie ein hastiger Passant an. Auf dem Boden stehen, eher behelfsmässig, vor jedem Restaurant mit Sand gefüllte Plastikkübel. Da hinein statt auf die Strasse sollen die Raucher ihre Kippen werfen. Die wenigsten treffen. Als hätten Pocken den Asphalt befallen, liegen unzählige platt gedrückte Stummel auf dem Boden. Nicht einfach ist es da für junge Eltern, ihre Kinderwagen an den qualmenden Cliquen vorbei zu stossen.

«Viel dreckiger» hätte das Gesetz die Stadt gemacht, sagt Jeff Winter, der selbst nicht raucht, das Verbot aber ablehnt, «und ungemütlicher.» Es gehe einher mit einem nun schon seit zehn Jahren anhaltenden Trend in New York. Unter dem Vorwand «Verbesserung der Lebensqualität» würde mit ständig neuen Regeln die persönliche Freiheit vieler eingeschränkt. «Es wird wohl noch schlimmer», sagt er.

Als «richtig beschissen» beschreibt ein Raucher vor einer Bar im schicken Bezirk um den Fleischmarkt das Verbot. «Zum Drink gehört die Zigarette», sagt Laurie Demanche, eine Musikproduzentin, die beim Times Square raucht. Was als nächstes dran komme, fragt sie sich. «Dürfen wir bald kein Salz mehr auf Fritten streuen?» Mit «Nazi-Methoden» vergleicht der Internet-Unternehmer Mike Leo die neue Gesetzgebung. Schuld, da sind sich alle einig, ist Bürgermeister Michael Bloomberg. Er hatte das Gesetz vorgeschlagen und mit Vehemenz durchs Parlament gedrückt. «Bloomberg ist ein Ex-Raucher», sagt Leo, «Ex-Raucher sind oft die militantesten Anti-Raucher.»

So richtig in Aufruhr ist die Stadt allerdings nicht. Bereits einen Monat nach Einführung des Verbotes scheint Ruhe eingekehrt. «Wir haben uns daran gewöhnt», sagt Adrian Elzy, ein Student, der in der Lower East Side, draussen sitzend, einsam an einer Lucky Strike saugt. «Ich sollte ohnehin aufhören.» Es sei eh «lächerlich», dass Rauchern offenbar nur eines geblieben sei – «sich ständig über Rauchergesetze zu beklagen». New York, glaubt Elzy, verhalte sich jetzt wie stets: «Es passt sich an und schreitet voran.»

Zumal das Verbot den Qualmern durchaus Annehmlichkeiten beschert, etwa neue Balzgelegenheiten. Alles andere als cool und eher zaghaft zieht der Aktienhändler Tim Francis vor dem Restaurant Pastis an seiner Zigarette. «Ich rauche selten», sagt er. Er stehe in der Kälte, «um Hannah Gesellschaft zu leisten».

Während Hannah Clements – blond, dressig, derzeit arbeitslos – raucht, nutzt Tim die Gelegenheit, in Ruhe mit ihr zu flirten. Sie hat nichts dagegen. «Draussen sind tiefgründigere Gespräche möglich als in lauten Bars», sagt sie. «Mal sehen, wie das bei Minus 20 Grad wird.»

Auch andere Raucher gestehen Vorteile des Verbotes ein. «Ich rauche klar weniger», sagt Rob Smack, ein Broker an der Wall Street. Statt zehn Zigaretten habe er heute Abend nur zwei gepafft. Es nerve, ständig raus zu gehen, also verzichte er meist. «Meine Kleider und Haare riechen besser, wenn ich heim komme», sagt Smacks Freundin. Sie überlege es sich, mit dem Rauchen aufzuhören.

Ganz rauchfrei ist New York noch nicht. Eine kurze dicke sowie eine lange dünne Zigarre zünden Bob und Judy Falcone im Oak Room des Plaza Hotels an. Seit Jahren kommt das Ehepaar in die Zigarren-Bar des Luxushotels am Central Park. Solch traditionelle Orte können das Verbot umgehen, wenn sie seit mindestens zwei Jahren existieren und mehr als zehn Prozent ihres Umsatzes mit dem Verkauf von Zigarren erzielen. Gequalmt wird auch im Subway Inn, einem düsteren Schuppen wenige Strassen vom Plaza entfernt. Aus den Lautsprechern dröhnt alter Rock. Alle rauchen – weil hinter dem Tressen nicht Personal, sondern bloss die Barbesitzer Bier ausschenken.

Diese letzten Ausnahmen verschwinden Anfang Juli. Dann tritt ein strengeres Gesetz in Kraft. Es ist absolut und umfasst den gesamten Bundesstaat New York.

Solche Not macht erfinderisch. Statt zu grämen, wissen sich die Raucher zu helfen. So blühen etwa stadtweit die privaten Partys. Man trifft sich auf Terrassen und Stuben. Von manchem Dach leuchten nachts rote Punkte. Zum Missmut vieler Mieter. Jeden Abend werde in ihrem Haus gefeiert, sagt Clements. Es sei nicht nur lauter als früher, es glimme nun durch sämtliche Ritzen. Etliche Nachbarn hätten deshalb verlangt, das Haus müsse rauchfrei werden. Neu ist diese Idee nicht. Bereits jetzt gibt es in Manhattan etliche von Ausschüssen verwaltete Häuser, in denen Raucher keine Wohnungen mehr erstehen dürfen.

Währenddessen üben sich einige Barbesitzer in zivilem Ungehorsam – und lassen ihre Klientel rauchen. Sie teilen sich die Bussen. Das soll so lange andauern, bis die Stadt das Verbot aufhebt. «Das passiert nur, wenn die Steuereinnahmen aus den Erträgen der Bars fallen», glaubt ein Wirt im East Village, der gedenkt, eine illegale Bar zu eröffnen.
Kaum mehr höher besteuert werden können Zigaretten. Ein Päckchen kostet in New York rund sieben Dollar, fast zehn Franken. Bis anhin hatten sich viele Nikotinsüchtige deshalb im Internet eingedeckt. Dort fallen die Steuern weg. Wird das demnächst illegal, bleibt nur die zweistündige Schmuggelfahrt nach Delaware an der Grenze zu New Jersey. Dort gibts die Schachtel für 2 Dollar und 54 Cents.

Für Unruhe gesorgt hatte Mitte April die Meldung, ein Türsteher sei erstochen worden, weil er einem Gast befahl, die Zigarette auszumachen. Derzeit wird der Vorfall untersucht. Insgesamt, sagen alle an zwei Abenden befragten Bouncer, würden sich die meisten Bar- und Clubbesucher aber an die Richtlinien halten. Probleme seien selten. Jeden Abend gehen zudem 120 Beamte des New Yorker Gesundheitsamtes auf Patrouille. Sie kontrollieren die Einhaltung des Gesetzes, was nicht einfach ist. Es gibt in New York über 25000 Restaurants und Bars.

Anfänglich recht rüde hätten die Gäste reagiert, sagt eine Kellnerin im Restaurant Pastis beim Fleischmarkt. «Sie wiesen uns statt der Stadt die Schuld zu.» Mittlerweile hätten sich die meisten aber daran gewöhnt. Fürs Geschäft sei das Rauchverbot keineswegs schädlich. An der Bar werde nun mehr Alkohol bestellt.

Das Verbot habe die Umsätze generell angekurbelt, sagt auch Lucien Bahaj. Er betreibt je ein Restaurant mit Bar im East Village und in der Lower East Side. «Die Raucher haben keine Ausweichmöglichkeiten mehr», sagt er, «jene, die der Rauch gestört hatte, gehen öfters aus.» Eine Statistik belegt diese Einschätzung: Nur 20 Prozent der New Yorker raucht.

Einen Monat bevor das Verbot in Kraft trat, zündete Bahaj nach vierzig Jahren Sucht eine letzte Zigarette an und machte sein Restaurant Pink Pony rauchfrei. Ein Künstler malte ein amüsantes Stopp-Smoking-Schild aufs Schaufenster. Er denke nicht daran, je wieder zu rauchen. «Seit wir auf Flughäfen in Räumen eingepfercht, aus allen Bars verbannt und zu sozial Abtrünnigen gestempelt wurden, ist der Spass weg», sagt er. «Raucher haben jegliche Würde eingebüsst.»

Nicht so in der Mars Bars, einer abgetakelten Spelunke zwischen Lower East Side und East Village. Dort wünscht man sich die Paffer zurück. Die Säuferkneipe würde nun noch unangenehmer stinken, beschwert sich die Barfrau, Lydia Fandry. Zuvor hätten dicke Schwaden den Gestank ungewaschener Trinker übertüncht. «Jetzt wünschen sich sogar die Penner und Obdachlosen die Raucher wieder zurück», sagt sie. – «Damit sie ihren eigenen Dreck nicht riechen.»

Norwegen
Nicht nur in den USA stossen strikte Rauchverbote vermehrt auf Akzeptanz. Anfang April hat das norwegische Parlament das weltweit erste Gesetz verabschiedet, welches das Rauchen in Bars und Restaurants im ganzen Land verbietet. Ursprünglich hätte es am 1. Januar 2004 in Kraft treten sollen. Wegen den harschen norwegischen Wintern entschied sich das Parlament, mit der Einführung bis im Frühling zuzuwarten.