Abrocken in Gottes Namen

Sie nennen sich positive Punks. Sie lassen sich Kreuze tätowieren. Sie huldigen George W. Bush wegen seiner Bibeltreue. Amerikas Jugend fährt auf christlichen Rock ab.

Von Peter Hossli (Text) und Robert Huber (Fotos)

Er boxt. Er kickt. Er schreit. Mit voller Wucht rammt Jeff Wallace seinen bulligen Oberleib in die johlende Menge. Die katapultiert ihn just weg. Damit nicht genug. Als hätte ihn die ganze Welt in rasende Wut versetzt, holt der 18-Jährige flugs zum nächsten Kung-Fu-Schlag aus.

Doch wütend ist Jeff nicht, er ist in Ekstase, tanzt zu schnellem und metallenem Rock – und lobpreist dabei Gott. Auf der Freiluftbühne rockt Losing All Hope, eine texanische Hardcore-Band. Drahtige Jugendliche hopsen trotz brennender Sonne unaufhörlich zum Takt des betörenden Sounds. «Der Herr setzt keine Grenzen, ihm zu huldigen», sagt Jeff Wallace. «Ich tue das mit Heavy Metal.»

Er ist high mit Jesus.

Während einer Woche. So lange dauerte das Cornerstone Festival, das grösste christliche Rockfestival der USA. Zum zwanzigsten Mal fand es Anfang Juli in Bushnell im Bundesstaat Illinois statt. Was einst als Happening begann, ist heute ein Grossereignis. 300 Bands traten auf. 30000 Besucher hörten zu. Sie schlugen Zelte auf und verehrten mit Gleichgesinnten Jesus. Weil die Musik nirgends härter sei, besuche er Cornerstone, sagt Jeff, der harte Rocker, und «weil alle sauber leben.» Ohne Sex und Drogen kommt christlicher Rock ‘n’ Roll aus.

Alkohol ist auf dem von Maisfeldern umgebenen Gelände verboten, Rauchen verpönt. Statt warmem Bier löscht kremige Limonade den Durst. Nicht wie an Openairs üblich Kondome, sondern Anleitungen für keusche Liebe liegen auf. Manch einer trägt ein «Ich warte»-T-Shirt und bekennt sich so zur sexuellen Abstinenz bis zur Ehe. Bikinis sieht man am Badesee kaum. Händchen haltende oder gar küssende junge Paare? Nein.

Das sei manchmal schon schwierig, sagt Jeff, ein schöner kräftiger Bursche, der von Testosteron nur so strotzt. Ihm helfe Jesus, «den Dämon zu besiegen». Als Vorbilder dienen ihm die christlichen Gitarristen und Schlagzeuger. Statt mit Groupies ins Motel, steigen die nach den Konzerten mit ihren Gattinnen ins Zelt.

Bis zur Ehe abstinent bleiben wollen auch die fünf Rocker von Losing All Hope. Heuer tritt die Band erstmal am Cornerstone Festival auf. Sie spielen Heavy Metal. Machen würden sie die Musik aber nicht, schränkt Bassist Luke Callender ein. «Gott macht die Musik.» Als Gegenleistung tragen sie dessen Botschaft in die Welt. Besonders gut klappe das mit «positivem Hardcore», sagt Callender. Das sei kein Widerspruch per se. «Die gute Musik gehört nicht allein dem Teufel.»

Inspirieren lasse er sich oft von George W. Bush, sagt der Bassist, der über den US-Präsidenten redet wie die meisten Jugendlichen in Bushnell: «Bush ist ein echter Christ, deshalb führt er unser Land in die richtige Richtung.»

Was das bedeutet, zeigen neuste Umfragen. Amerika wandelt sich – von den Medien grösstenteils ignoriert – zur radikal-christlichen Nation. Knapp die Hälfte aller Amerikaner – 46 Prozent – bezeichneten sich unlängst als Wiedergeborene Christen, Protestanten, die Jesus als ihren Retter akzeptiert haben. Sie verachten den Katholizismus als organisierte Religion ohne echten Glauben. Nur 28 Prozent halten die Evolutionstheorie für seriöse Wissenschaft. Hingegen glauben 68 Prozent an den Teufel. Radikale Christen wählen meist rechts. Allerdings verwehren sie konservativen Politikern ohne klare christliche Agenda die Stimme.

Das hat Bush begriffen. Unaufhörlich spricht der religiöseste US-Präsident aller Zeiten über seinen Glauben. Dessen bipolare Weltsicht – hier das Gute, dort das Böse – rührt von der fundamentalen Bibelgruppe, der er angehört. Dank Jesus, so der Präsident, hörte er auf zu trinken. Bushs Reden schreibt stets Michael Gerson, ein evangelistischer Christ.

Das explodierende Interesse an Jesus hatte Bush bereits Ende der achtziger Jahre erkannt. Erfolgreich bewarb er sich 1993 ums Gouverneursamt in Texas. Er zitierte Bibelverse, sprach über seinen Glauben und präsentierte eine Politik, die der religiösen Rechten gefiel. Dieselbe Taktik adoptierte er im Jahr 2000 für die nationale Bühne. Bushs damaliger Slogan «compassionate conservatism» – etwa: mitfühlender Konservatismus – gilt mittlerweile als versteckte, aber deutliche Botschaft an rechte Christen. Sie lautet: «Wählt mich, ich vergesse Euch nicht.»

Bush hielt Wort. Kaum im Weissen Haus, strich er die Entwicklungshilfe für Kliniken, die Kondome verteilen und Abtreibungen vornehmen. Einflussreiche Posten besetzte er mit Personen mit ultra-religiöser Gesinnung. Vor Sitzungen betet der Präsident zu seinem Kabinett.

Geht es nach ihm, hängen in öffentlichen Schulen bald wieder Kruzifixe. Abstinenz, nicht Safer Sex, müsse man als Geburtenkontrolle propagieren, sagt er.

Kein Wunder boomt in diesem Umfeld christlicher Rock. Der ist nicht mehr verpönt, sondern angesehen. Jährlich 800000 Eintritte verzeichnen US-Festivals wie Cornerstone. Es sind Brutstätten der christlichen Rechten, perfekt getarnt im Gewand der weltweit populären US-Kultur. Wobei der geschäftliche Ehrgeiz dazu gehört. Eine Band etwa, die eben einen Produzenten getroffen hat, legt ihre neue CD aufs Auto. Dann drücken die drei Musiker ihre Häupter auf die Motorhube. Sie beten für den Plattenvertrag.

Bewusst ein ärmelloses Leibchen trägt Greg Rossell, 20, ein Punk aus New Jersey. Alle sollen seine bunte Jesus-Tätowierung auf der rechten Schulter sehen. «Gott verlangt von uns den Gospel zu verbreiten», sagt Rossell, demnächst ein Marine-Soldat. «Ich mache das mit Tätowierungen.» Tim Burgess hingegen benutzt ein gezimmertes Kreuz, das er hinter sich her zieht. «An diesem Kreuz ist Jesus für uns gestorben», predigt er.

Es sei aber die Musik, die die Jungen wirklich reinziehe, sagt Gary Booth, 64, seit 1975 Mitglied der Jesus People USA, jener freikirchlichen Sippe, die Cornerstone gegründet hatte. «Sie lockt jene, die Jesus noch suchen.» Höchst erfolgreich.

Warum gerade jetzt so viele Jugendliche Christus finden, dafür hat Dave Alderman, ein Pastor aus Michigan, eine Antwort parat: «Weil sie Angst haben.» Sie würden sehen, wie destruktiv ein nicht christliches Leben sei. «Einmal Sex und Du bist tot», sagt er – und vertritt damit in den USA eine mehrheitsfähige Meinung. «Drogen töten, Alkohol tötet. Wer leben will, findet Halt beim Herrn.»

Dem stimmen hier sogar die vielen Punks zu, sonst die sozialen Rebellen schlechthin. «All das macht Dich krank», begründet Johnny Emmenheiser, 20 und Gitarrist der Punkband «Human Error» seine totale Enthaltsamkeit. Die dünnen Beine hat er in enge schwarze Hosen gezwängt. Die ziert ein lederner Patronengurt. «Ich bin ein positiver Punk, der nur eines Will: das Wort Gottes verbreiten.»

Die Gesinnung verkauft. Christenrock sei «das heisseste Genre der Musikindustrie», schrieb das Magazin «Newsweek» in einer Titelgeschichte. Knapp 50 Millionen Tonträger wurden im letzten Jahr abgesetzt und eine Milliarde Dollar Umsatz erzielt. Die fünf grossen Label haben C-Rocker unter Vertrag. Globale Konzerne wie Coca-Cola, Disney, Wal-Mart oder Nestlé treten als Sponsoren auf.

Es ist der Mainstream, der sich kaum mehr von sekulären Klängen unterscheidet, dargeboten in zeitgenössischer und frischer Ästhetik, meilenweit entfernt vom abgegriffenen Jesus-Freak-Klischee.

Auf den zwölf Bühnen des Cornerstone-Festivals toben wild die Punks, haben Reggae, Hip Hop wie Grunge Platz. Der 15-jähriger Rapper Bobby Williams nennt sich Double B. Dessen weisses Unterhemd, die schlaksige Gestalt und die bleiche Haut erinnern an Superstar Eminem. Seit der fünften Klasse dichtet Double B vom «Glück, das Jesus bringt». Warum rapt er? «Weil Gott das so will.» Die gängige und entwaffnende Antwort, wenn die griffigen Argumente fehlen.

Mittlerweile ziehe christlicher Rock das Publikum wegen der guten Musik an, beurteilte unlängst die «New York Times» den Wandel des Genre. Jahrelang hatten drei konservative Label in Nashville die christliche Musik kontrolliert. Nun gibt es hunderte unabhängiger Firmen, die Experimente geradezu fördern.

Geblieben sind die netten Lyrics. Die Songs handeln vom aufrichtigen Leben, nicht der freien Liebe. Christliche Radiostationen und Buchläden kontrollieren die Inhalte genau, bevor sie eine Platte vertreiben. Sie zählen die JPMs, die Jesus-Referenzen pro Minute. Sind die zu niedrig, läuft der Song am Radio nicht. Ungeschminkt verteufeln etliche Bands zudem den «amerikanischen Holocaust». Nicht etwa die Sklaverei, die 1973 legalisierte Abtreibung ist damit gemeint.

«Ein Drittel meiner Generation wurde ausgelöscht», sagt Jamie Polychronis, «herausgerissen aus Frauenbäuchen.»

Die 23-jährige Fotografin aus Buffalo – dunkle Haare, laszive Augen – tingelt diesen Sommer mit «Rock for Life» (RFL) durch die USA. Die Anti-Abtreibungs-Gruppe stellt auf Festivals Bühnen auf und lässt Bands grimmig gegen Abtreibung rocken. Das RFL-Logo zeigt ein wütendes Embryo, das mit der Gitarre in der Hand um sein Leben kreischt.

44 hölzerne Kreuze stehen neben der «Rock For Life»-Bühne. Sie symbolisieren 4400 Aborte, die täglich in den USA vorgenommen werden würden. Etwa drei Dutzende Gläubige knien daneben und beten für «die ermoderten Kinder und die Frauen, die dabei verletzt werden», sagt Jamie Polychronis. Sie lehnt jegliche Abtreibung ab, selbst nach einer Vergewaltigung oder bei Inzest. Die meisten ihrer Altersgenossinnen dächten gleich. Dass die Generation vor ihr den Frauen wichtige Freiheiten beschert hätten, streitet sie ab. «Welche? Dass sie ihre Kinder ermorden dürfen? Diese Sauerei der Feministinnen räumen wir nun auf.»

Mit der Rockmusik gegen Abtreibung wolle sie die «Herzen der Jugend» gewinnen. Nur so könne man die Politiker endlich zum nötigen Handeln bewegen. Sie habe Bush zwar gewählt, wisse aber nicht, ob sie es wieder tue. «Er muss zeigen, dass er gegen den Massenmord ist.»

Eine Stimme hat Bush bei den Wahlen im nächsten Jahr auf sicher, jene von Dan Bawinkel. «Gott hat ihn gesandt, um uns im heiligen Krieg gegen den Islam zu leiten», sagt der 50-jähriger Pastor aus Chicago, ein grosser, einnehmender Kerl, stets in Tarnhose. Ein grauer Schnurrbart teilt seinen ovalen Glatzkopf und das Doppelkinn in zwei identische Hälften. Bawinkel besitzt ein unabhängiges Plattenlabel. Am Cornerstone-Festival betreibt er eine populäre Bühne. Bei ihm rocken die besonders harten Burschen.

«Das hier ist die Sperrspitze des Christentums», nennt Bawinkel das Festival, «wir sitzen im Schützengraben und kämpfen um jede Seele.» Die 18 – 25-Jährigen seien besonders anfällig abzudriften. Dagegen tritt der Hardrock-Pastor an. Bevor er einen auf seine Bühne lässt, liest er dessen Texte genau durch. Zudem befragt er die Musiker nach deren persönlichen Verhältnis zu Gott. Wer obszön rockt oder Jesus nicht aufrichtig verehrt, tritt nicht auf. «Auf meiner Bühne schreit niemand f. u. c. k.» Fluche bringt Bawinkel nicht über die Lippen.

Jeden Morgen lädt er zum Gebetsfrühstück. «Wir bieten den Herrn, die Bands zu inspirieren», endet er heute. «Lasst uns nun noch für die Reporter beten. Soll ihr Magazin die Leser anregen.»