Der wahre Architekt von Ground Zero

Der Architekt David Childs ersetzt Daniel Libeskind als federführender Bauherr am Ground Zero. Der Wechsel zeigt: In New York befiehlt, wer zahlt.

Von Peter Hossli

davidchilds05-01.gifDavid Childs mag Geschichte. An der Wand seines engen Büros hängen – säuberlich gerahmt – Dankesschreiben zweier US-Präsidenten und die Bleistiftzeichnung einer römischen Basilika. Schaut der New Yorker Architekt aus dem Fenster mit der Adresse 14 Wall Street, erblickt er die grünliche Freiheitsstatue oder das Haus, wo George Washington einst die USA ausgerufen hatte.

Er liebe diese Gegend, die Südspitze Manhattans, sagt Childs. Ein schlaksiger Kerl mit grauem Haar, dessen dunkelblaue Krawatte nicht so recht zu den dünnen roten Streifen seines weissen Hemdes passt. «Hier fing alles an.» Mit allem meint Childs New York, die Stadt, die er schwärmerisch als «das Grossartigste, das Menschen je geschaffen haben» preist.

«Exzellent in jeder Hinsicht» soll hier werden, woran er derzeit arbeitet. Unter seiner Federführung entstehen die Häuser, die das World Trade Center ersetzen. Childs ist der Architekt am Ground Zero.

Und Daniel Libeskind, der als «Bauherr von Ground Zero» endlos durch die Weltpresse gezehrte US-Architekt polnischen Ursprungs? Das war mehrheitlich Hype. Jetzt geht es darum, aus Steinen, Stahl und Glas endlich etwas zu bauen. Da hat David Childs das Sagen. Denn sein Klient kontrolliert den Bauplatz.

Klar, Libeskind obsiegte im dubiosen Wettbewerb. Nicht, weil sein Plan herausragend wäre; er belastet die Kassen von Stadt und Staat am wenigsten. Doch mit öffentlichen Geldern werden bloss die Strassen gepflastert, Schienen gelegt, das Denkmal finanziert. Das überwacht Libeskind. Den kommerziellen Rest, Bürotürme und Läden, erledigen Private.

Da sprechen Markt und Vertrag eine klare Sprache – gegen Libeskind und für Childs. Neue Büros braucht es nicht. 1,5 Millionen Quadratmeter Fläche stehen im Süden Manhattans leer. Nur einer will, kann und darf in dieser Marktlage bauen – Larry Silverstein, der New Yorker Immobilienmagnat, der kurz vor dem 11. September 2001 die silbernen Zwillingstürme für 99 Jahren gemietet hatte.

Er muss die zerstörte Bürofläche wieder lückenlos herstellen, heisst es im Mietvertrag ausdrücklich. Überdies steht ihm alleine das Recht zu, das Design des Neubaus festzulegen. Zudem hat Silverstein, was derzeit keiner hat: das nötige Kapital, in Cash von den Versicherungen. «Wir haben das Geld, wir bestimmen», sagt Silversteins Anwalt Marc Wolinsky.

David Childs gibt sich moderater. Seine Firma Skidmore Owings & Merrill helfe Silverstein derzeit, die «unmittelbaren Probleme» zu lösen. «Wenn er unserem Können weiterhin vertraut, werden wir ihm auch künftig zur Seite stehen.»

Darüber besteht kein Zweifel. Silverstein hatte Childs bereits Monate vor den Terroranschlägen beauftragt, das World Trade Center mit Um- und Anbauten attraktiver zu gestalten. «Es war ein schreckliches Gebilde», sagt Childs, «ein unfreundlicher Superblock, windig und kalt.» Am 11. September schaute er vom Bürofenster zu, wie ein Jet in den Südturm raste. Einer seiner Angestellten starb im Nordturm. Am 12. September rief ihn Silverstein an und sagte nur: «Es sieht so aus, als ob wir nun ein grösseres und komplexeres Projekt realisieren.»

Am gleichen Tag fing Childs damit an. Zwei Dinge legte er fest. Die neuen Gebäude sollten auf Strassenhöhe und nicht wie zuvor auf einem Sockel stehen. Überdies filetierte er den Superblock und stellte das ursprüngliche Strassennetz wieder her. Zwei einst zerhackte Achsen – die Greenwich Street und die Fulton Street – würden als durchgehendes Strassenkreuz das Projekt bündeln. «Sie bilden das stabile Schweizer Kreuz des Platzes.» Libeskind, sagt Childs, übernahm das alles.

«Dannys Plan entspricht dem Plan, den wir schon lange präsentiert hatten», sagt Childs, der stets leicht herablassend von «Danny» spricht wenn er Libeskind meint. In Ton und Wortwahl mahnt das eher an ein Schosshündchen als den derzeit berühmtesten Architekten der Welt.

«Danny ist verantwortlich für den Masterplan», sagt Childs. «Er legt nach unseren Ideen die Zonen fest und sagt, wo was hinkommt. Natürlich beraten wir ihn dabei.» Was das Design der fünf geplanten kommerziellen Wolkenkratzer betrifft, betont Childs, müsse Libeskind in den Hintergrund treten. «Für so etwas fehlt Danny schlicht die Erfahrung.»

Die hat Childs, 62. Jüngst verwirklichte er den Sitz des Medienriesen Bertelsmann am Times Square. Im Herbst ist das AOL Time Warner Center am Columbus Circle fertig. In Toronto und Tel Aviv entwarf er je einen neuen Flughafen.

Jetzt will er am Ground Zero architektonische Meilensteine setzen. «Was hier gebaut wird, ist der Standard für Jahrzehnte», sagt Childs, «da kommen nur die weltbesten Designer in Frage.» Zusammen mit ihm wähle Silverstein pro Turm einen Architekt aus.

«Das gibt dem ganzen Projekt die nötige Textur», sagt Childs. Er nennt den Franzosen Jean Nouvel, den Briten Norman Foster und den Amerikaner Peter Eisenman als Kandidaten. «Wenn Larry mich fragt, werde ich auch einen bauen», sagt er. Details hält er noch bedeckt. Nur so viel: Ihm schwebe ein möglichst sicheres Gebäude vor, ein umweltfreundliches dazu. Baureif ist sein Design für World Trade Center 7, ein Ersatz für einen erst am Nachmittag des 11. Septembers gefallenen Turm.

Problemlos sei es, die zuvor abgeblitzten Architekten nochmals an einen Tisch zu bringen. «Der Tisch ist ja gross», sagt Childs, der in Yale Architektur studiert hatte. Der Ort biete genügend Raum für «eigensinniges Design und riesige Egos». Das sei wichtig. Im Gegensatz zum monolithischen World Trade Center entstehe so kein einheitliches Konzept mehr.

Und Libeskind, der darauf laut pocht, den höchsten Turm selbst zu realisieren? «Vielleicht lässt ihn Silverstein einen der kleineren bauen», sagt Childs, als ob man für den Praktikanten noch kein Pult fand.

Bewunderer hat Libeskind nicht mehr viele. Zuerst hinter vorgehaltener Hand, nun öfters öffentlich werden seine Vorschläge regelrecht zersaust. Besonders umstritten ist die so genannte Badewanne, eine zehn Meter tiefe Gruft, welche er auf der Westseite als Teil des Memorials belassen will. Sie schneidet wie zuvor die Bewohner von Battery Park City vom Rest der Stadt ab. Was denkt Childs darüber? «Das sage ich Ihnen bei einem Drink, Off-the-Record.» Was wohl heisst: Silverstein wird das nimmer zulassen.

Der Zeitplan steht. Im nächsten Jahr legt Silverstein den Grundstein für das erste und höchste Gebäude in der nordwestlichen Ecke. Im Abstand von zwölf Monaten gibt er vier weitere in Auftrag. Bereits im Jahr 2008 sollen Mieter den ersten, 2012 den letzten Turm beziehen.

Bis dahin ähnelt Ground Zero wohl Babylon. Nie zuvor sei ein komplexeres Bauprojekt realisiert worden, hätten mehr starrköpfigere Leute mitgeredet, sagt Childs. Als würden drei Flughäfen, zwei Staudämme und zehn Spitäler auf einmal errichtet, dazu die Emotionen.

«Wie all das zustande kam, verstehen wir erst im Rückblick», sagt er. Anhand des Ergebnisses aber würden nachfolgende Generationen die kulturelle Leistung unserer Zeit beurteilen. «Ground Zero wird zeigen, ob wir etwas geleistet oder nur mit Schaum geschlagen haben.»