Perfekter Diplomaten-Krimi

Das Buch mit dem umstrittenen Umschlag ist eine hervorragende Abhandlung über Banken, Diplomaten und den Holocaust.

Von Peter Hossli

Zur Rechten des Richters sassen die Klägeranwälte, links die Schweizer Juristen. Alle bestellten Hummer, ausser Israel Singer vom Jüdischen Weltkongress. Er isst strikte koscher, verzehrte bloss Früchte und trank dazu Coca-Cola. Am Ende des Dinners in einem vornehmen Restaurant in Brooklyn stand der Vergleich. Die Schweizer Banken würden 1,25 Milliarden Dollar bezahlen, die Kläger ihre Sammelklagen fallen lassen.

Das Abendessen am 10. August 1998 löste den gordischen Knoten im bitteren Streit um die namenlosen Schweizer Konten aus der Zeit des Holocausts. Eingefädelt hatte es der zuständige Richter, Edward Korman. Die Fäden zog allerdings Unterstaatsekretär Stuart Eizenstat, heute 59. Ihm hatte damals Präsident Clinton die Vermittlerrolle zugehalten.

Am 7. Januar erscheint Eizenstats 432 Seiten umfassendes, mit Fotos versehenes Buch «Imperfect Justice». Präzise schildert er darin, wie ein lange verdrängter Aspekt des Zweiten Weltkriegs aufgerollt wurde: das Geld. Wer hatte wie von den Nazi-Gräueln profitiert? Wer wurde wie bestohlen? Kann Gerechtigkeit überhaupt erzielt werden? Wenn ja, wie?

Abgeliefert hat Eizenstat ein hervorragendes Buch, verfasst und recherchiert in bester Tradition des angelsächsischen Journalismus’ – objektiv und ausgewogen, Fakten treu, Detail reich und hoch spannend geschrieben. Ein Krimi in der internationalen Banken-, Anwalts-, Politik- und Diplomatiewelt, bei dem es Eizenstat um eines ging: der Wahrheit nahe zu kommen. Er sieht sich als Reporter von Ereignissen, die er aus nächster Nähe verfolgt hatte. Einen Wulst komplexer Fakten verknüpft er zu einer eindringlichen Geschichte. Nie sucht Eizenstat, der mit allen Parteien verhandelte und sie nun nochmals befragte, billige Effekte.

Bei ihm gibt es keine Sieger. Nur gut oder nur schlecht kommt keiner weg, selbst er nicht. Das Vorwort seines ersten Berichtes hätte er diplomatischer verfassen sollen, gesteht er. Klägeranwalt Ed Fagan beschreibt er als «charmant, intelligent und freundlich.» Dessen Taktiken hingegen seien «unerträglich, verwirrend und spaltend». Fagan? Eine «konstante Ärgerquelle». Senator Al D’Amato hätte «Blut gerochen» – und die Debatte für eigene politische Zwecken führen wollen.

Die Nähe zu Clinton habe der Jüdische Weltkongress gezielt genutzt. Die rhetorische Frage, ob jüdische Gruppen auf höchster Ebene Druck gemacht hätten, beantwort er gleich selbst: «Yes».

Die Schweiz? Bitter vermisste er einen Gegenpart, eine Art Schweizer Eizenstat. Thomas Borer habe zu wenig Kompetenzen erhalten. Der Bundesrat? Nicht kooperativ. Die Banken? Im festen Fall «unsensibel», im schlechtesten «antagonistisch». Besonders tragisch sei, dass Populist Christoph Blocher den Antisemitismus schüren und die SVP zur zweitstärksten Partei katapultieren konnte.

Nicht perfekt sei die erzielte Gerechtigkeit nicht zuletzt wegen des amerikanischen Gerichtswesens, schreibt Eizenstat. Ein Schadenersatzprozess genüge für derart kolossale historische Ungerechtigkeiten nicht. Zumal die Sammelklagen juristisch auf dünnem Eis standen. Weil das die Anwälte wussten, hätten sie eine weit reichende PR-Kampagne inszeniert. Trotz Schweigevereinbarung spielte etwa Fagan der «New York Times» Brisantes zu. «Er hat sich später bei mir entschuldigt», so Eizenstat. Den Vorwurf, eine «Holocaust-Industrie» sei am Werk gewesen, entkräftet er. Etliche Anwälte hätten nämlich unentgeltlich gearbeitet, die anderen weit weniger als üblich erhalten.

Schneller und gerechter hätten die Verhandlungen bilateral auf Regierungsebene zum Ziel geführt, wohl auch billiger für die Schweiz. Die US-Regierung bot Hand, nicht die Schweizer. Deren Politiker taten die Kontroverse als Bankenproblem ab – trotz Vergehen der Nationalbank und der Gefahr fürs Image.

Zugegeben genüsslich lesen sich die Kapitel, in denen Eizenstat die zähen Verhandlungen beschreibt; wie nahe die Stadt New York war, Sanktionen zu verhängen; wie hart die Anwälte um jeden Dollar fochten; wie zerstritten sie selbst waren; wie kompromisslos der Präsident der Schweizer Nationalbank, Hans Meyer, der Debatte auswich; wie arrogant Schweizer Bankiers auftraten. Der Zwist ums Geld sei ein Boxkampf gewesen, «mit vielen Runden aber wenig Regeln».

Teure Krawatten umgeschnürt hatten sich die CEOs von Credit Suisse, UBS und Bankverein – Lukas Mühlemann, Mathis Cabiallavetta und Marcel Ospel – fürs einzige Treffen mit den US-Klägeranwälten in Zürich. Die Amerikaner, es war Sonntag, trugen cashual. Ein Mitarbeiter Eizenstats witzelte, ihm gefalle Cabiallavettas mit Dinosauriern bedruckter Schlips. «The Swiss were not amused.»

Mit solchen Anekdoten nähert sich Eizenstat dem Grundproblem der Kontroverse an – den enormen kulturellen Missverständnisse beidseits des Atlantiks.

Mitte der neunziger Jahre seien nur die USA bereit gewesen, das Tabu Opfergeld anzurühren. Da die Zeit drängte – die Überlebenden starben – wurde die Sache dort abgewickelt. Dabei skizziert er kein makelloses Amerika, nennt die Sklaverei und schämt sich selbst, wie er einst einer alten Schwarzen den Sitzplatz in einem Bus verweigert hatte. US-Präsident Roosevelt hätte Hunderttausende Juden retten können, «aber er tat es nicht».

Vor schmerzhafter Kritik an der Schweiz scheut er nicht zurück. Eizenstat sagt jedoch bloss, was er bereits früher gesagt hatte: Die isolierten Nazis suchten ein System, den Krieg weiter zu finanzieren. Sie fanden es in neutralen Ländern wie der Schweiz und tauschten gestohlenes Gold in harte Währung um. Andere Neutrale hörten auf Druck der Alliierten 1943 und 1944 auf. Die Schweizer hingegen hätten bis in «die letzen Wochen des Krieges» Gold mit den Nazis gehandelt.

«Nichts im Schweizer Gesetz oder in deren Neutralität zwang die Schweizer Nationalbank, das gestohlene Gold zu akzeptieren. Es war eine Wahl, die sie trafen», lautet Eizenstats härtestes Verdikt.

Nach Kriegsende zeigten sich Banken und Regierung nicht kooperativ. Nur der Ausbruch des Kaltes Krieges hätte sie vor einer Untersuchung bewahrt. Allerdings, betont Eizenstat, «die Schweizer waren nicht verantwortlich für den Holocaust».
Wer ihn trifft und länger mit ihm redet, erkennt, wie bescheiden Eizenstat ist, wie überlegt er Worte wählt, wie sehr es ihm um die Sache und wie wenig um ihn geht. Bescheiden, unpolemisch und der Sache verpflicht liest sich auch sein Buch.