Zum knitterfreien Anzug das faltenfreie Gesicht

Falten im Gesicht bedeuten Sorgen. Sorgen kann sich aber ein erfolgreicher Manager nicht leisten. Deshalb greifen immer mehr US-Manager zu einem Wundermittel namens Botox.

Von Peter Hossli

Markige Pokerspieler spritzen sie vor wichtigen Partien. Ohne sie treten Fernsehansagerinnen über dreissig nicht mehr vor die Kamera. Reife Schauspieler tauschen sie in der Garderobe aus. Und auch Popstar Madonna kann angeblich nicht mehr ohne sie sein.

Die neue Wunderdroge kursiert in den USA seit bald zehn Jahren. Sie heisst Botox und glättet, wovor sich mancher Amerikaner weit mehr fürchtet als vor Terroristen – vor Falten im Gesicht. Demnächst soll die US-Nahrungsmittel- und Medikamentenbehörde FDA dem Mittelchen den Segen aussprechen. Höchstwahrscheinlich darf es ab Ende März offiziell für kosmetische Behandlungen eingesetzt werden. Überdies prüft die angeblich wohlgesinnte Europäische Kommission ebenfalls die Zulassung.

Die USA wären das elfte Botox-Land. Darüber freut sich besonders die kalifornische Herstellerfirma von Botox, Allergan Inc. – es vervielfacht deren Umsatz.

Der Jungbrunnen aus der Nadel dürfte mindestens so erfolgreich wie das Potenzmittel Viagra oder das Antidepressivum Prozac werden, prophezeien Analysten. Zwar hält sich die Firma noch bedeckt. «Solange die FDA-Zulassung nicht durch ist, ist es uns untersagt, darüber zu reden», sagt Allergan-Sprecherin Christine Cassiano. Treffen die ambitiösen Prognosen aber ein, spritzen sich Amerikas Businessmen zur Botox-Nation, zu einem Land mit Millionen von makellosen Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, mit der Visage Gefühle zu zeigen.

Echte Trauer erstarrt sogleich im Botox-Saft

Um krankhafte spastische Zuckungen der Augenmuskulatur zu behandeln, entwickelten die Forscher von Allergan vor zehn Jahren Botulinum toxin. Rasch erkannten Schönheitschirurgen in Los Angeles dessen Potenzial. Botox lähmt und strafft nicht nur kranke Muskeln, sondern auch Runzeln und Falten in der Augen- und Stirnpartie. «Botox ist grossartig», schwärmt der New Yorker Schönheitschirurg Joel Studin. Seit zehn Jahren setzt er es ein. «Bei Krähenfüssen und Stirnrunzeln wirkt es wahre Wunder.»

Das Medikament greift dort an, wo die Nerven die Muskeln berühren. Binnen drei bis vier Tagen nach einer Spritze verschwinden Falten. Die Stirn lässt sich nicht mehr spannen. Der Vorteil des Medikaments ist, dass es keine Betäubung der Sinne erzeugt. Es werden nicht die Nerven, sondern die Muskeln gelähmt. Nach wie vor spüren Patienten etwa Streicheleinheiten.

Eine einzige Spritze lasse ein erwachsenes Gesicht um Jahre jünger aussehen, sagt Doktor Studin. Manager freuen sich, dass ihre Haut nach der Behandlung glatt bleibt. Spontane Freudentänze drücken sich dann bei Botox-Nutzern nur noch durch ein müdes Lächeln aus. Echte Trauer? Erstarrt im Botox-Saft. Das habe nicht nur Nachteile, sagt Studin. «Ein Kniff in den Hintern erzeugt dank Botox keine hysterischen Zuckungen mehr.»

Das Medikament wurde im Jahr 2000 eine Million mal gespritzt. Nach dessen offizieller Zulassung für kosmetische Behandlungen dürfte sich die Nachfrage um mindestens 50 Prozent erhöhen. Dabei floriert das Geschäft mit der Gefallsucht schon heute. Lag der Botox-Umsatz 1992 noch bei rund 20 Millionen Dollar, erreichte er im letzten Jahr bereits 310 Millionen. In vier Jahren könnte sogar die Grenze von einer Milliarde Dollar überschritten werden. Diese magische Marke haben in den USA nur wenige Medikamente, etwa Viagra, erreicht. Die Zulassung soll deshalb von einer aufwändigen Werbekampagne begleitet werden. Was genau Allergan beabsichtigt, darf Sprecherin Cassino «leider noch nicht sagen». Werbefachleute rechnen mit einer Botox-Reklame im Bereich von 100 Millionen Dollar.

Bisher gibts keine Tests zur Langzeitbehandlung mit Botox

Der Vorteil der FDA-Absolution liegt nämlich beim Marketing. Wie etliche andere Medikamente konnten Ärzte Botox bereits bis anhin verschreiben. Nun darf Allergan mit dem FDA-Gütesiegel werben. «Das wird viele bisher skeptische Personen umstimmen», sagt Chirurg Studin, «alle werden jetzt nach Botox fragen.» Für ihn, den Arzt, verändere sich nichts. «Das Medikament ist so sicher wie zuvor schon.» Er werde es an denselben Stellen für dieselben Behandlungen einsetzen.

Herkömmlichen Schönheitschirurgen könnte Botox Konkurrenz machen. Während das an der New Yorker Börse kotierte Unternehmen Allergan mächtig verdienen dürfte, spart die in den USA rasant zunehmende Klasse der Eitlen. Ein traditionelles Facelifting kostet dort 25 000 Franken. Eine Botox-Injektion ist hingegen bereits für 500 Franken zu haben. Allerdings muss die Prozedur alle drei Monate wiederholt werden. Sonst fällt das Antlitz aus der Form.

Alle würden profitieren, die Pharmaindustrie wie die Chirurgen, sagt Studin, der sowohl mit dem Skalpell als auch mit der Spritze arbeitet. «Ich setze oft nach einer Operation Botox ein», sagt er. «Es sorgt dafür, dass meine Arbeit schöner aussieht.»

Kritiker warnen indes. Der Quell der Jugend mache psychisch abhängig. Wer einmal spritze, komme nicht mehr davon los. Keine Sorge, sagt Allergan. «Botox kann so lange wie nötig angewendet werden», heisst auf der Botox-Website. «Klinische Tests für Langzeitbehandlungen sind bisher nicht durchgeführt worden», schränkt Allergan ein. Allenfalls müsse im Laufe der Zeit die Dosis erhöht werden. Überdies würden weitere Anwendungen weniger dramatisch ausfallen als die erste.

Studin reagiert mit New Yorker Humor auf kritische Stimmen. «Hör mal, wer Botox nicht mag, hat echt Glück. Nach vier Monaten endet dessen Wirkung», sagt Studin. «Wer Botox mag, hat Pech. Nach vier Monaten endet dessen Wirkung.»

Pillen zur Erhöhung von Ego und Potenz

Xenical
Geht dicken Managern an den Speck. In der übergewichtigen USA eine Pille mit fetten Gewinnmargen? Nicht unbedingt. Analysten hatten prognostiziert, Roche würde im Jahr 2000 mit Xenical einen Umsatz von zwei Milliarden Dollar erzielen. 2001 war es weltweit eine Milliarde Franken. Die Anzahl neuer Rezepte ist in den USA ebenso rückläufig wie die Gesamtzahl der Verschreibungen. Xenical-Nutzer beschweren sich vornehmlich über den hohen Preis, den sich erst nach langer Zeit einstellenden Erfolg und über die Nebenwirkungen. Das ist nicht überraschend, denn traditionell wirken ausgewogenes Essen und Bewegung bei Dicken nachhaltiger als Diätpillen.

Viagra
Mehr als neun Millionen Männer haben gemäss Hersteller Pfizer die blaue Pille gegen Impotenz schon mal versucht. Für Pfizer ist sie zum kommerziellen Hit geworden, obwohl einige Fälle von Herzinfarkt bekannt sind. Nach wie vor wird in den USA kräftig dafür geworben. Derzeit können auf der offiziellen Website (www.viagra.com) Gratismuster bestellt werden. Der kulturelle Impakt ist nicht zu unterschätzen, denn seit es Viagra gibt, wird in den USA offen über ein für viele Männer peinliches Thema gesprochen.

Prozac
Das Antidepressivum Prozac veränderte Amerika nicht minder nachhaltig. Die Glückspille stellt einen beachtlichen Teil des Landes ruhig. Neben Depression behandelt es Bulimie und obsessiv-zwanghaftes Verhalten. Der Pharmakonzern Eli Lilly erzielte damit bis im August vergangenen Jahres jährlich gut drei Milliarden Dollar Umsatz und eine Milliarde Gewinn. Mittlerweile ist das Prozac-Patent abgelaufen. Etliche Generika sind auf dem Markt. Der Prozac-Umsatz ist um 66 Prozent eingebrochen.

Fen-Phen
Eine Pille, die dünn macht, sollte den Pharmariesen American Home Products (AHP) reich machen. Ab Mitte der Neunzigerjahre verschrieben Ärzte Fettleibigen und Übergewichtigen die Diätpille Fen-Phen. Das Medikament würde sowohl den Appetit zügeln als auch schneller Kalorieren verbrennen. 1997 musste AHP die Pillen vom Markt nehmen – sie hatten bei Patienten die Herzklappen angegriffen. Von den sechs Millionen Personen, die Fen-Phen nahmen, klagten vorerst 11 000. Im Oktober 1999 einigte man sich auf einen Vergleich. AHP werde während 15 Jahren insgesamt 3,75 Milliarden Dollar Schadenersatz zahlen. Mittlerweile stehen 200 000 Leute hinter der Klage.