Der grosse Schwindel

Mit diesen Tricks führten die Enron-Manager Analysten und Anleger hinters Licht. Vor Jahresfrist galt der Energiehändler Enron noch als innovativste Firma Amerikas. Jetzt ist er das abschreckende Lehrstück dafür, wie man ein Unternehmen dazu missbraucht, den Aktienmarkt und die Anleger zu melken.

Von Peter Hossli und Werner Vontobel

Enron ist Bankrott. Die Aktie des Gemischtwarenhändlers, vor Jahresfrist für 83 Dollar gehandelt, schloss am letzten Handelstag, dem 11. Januar, bei 67 Cents. Die ansonsten eher zurückhaltende «New York Times» spricht vom «vielleicht grössten Skandal der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte». Ihr Leitartikler Frank Rich taufte die USA «United States of Enron». Wirtschaft und Politik, das zeige die grandiose Pleite, seien derart eng miteinander verknüpft, dass niemand die Probleme sehen konnte oder wollte.

Im Nachhinein ist man schlauer: Wahrscheinlich basierte seit Januar 1997, als der ehemalige McKinsey-Mann Jeffrey Skilling zum CEO von Enron wurde, das Geschäftsmodell nur noch darauf, mit fantastischen (sprich getürkten) Gewinn- und Wachstumsaussichten den Aktienkurs in luftige Höhen zu treiben, um so mit Kapitalerhöhungen Geld vom Aktienmarkt abkassieren zu können. Dabei setzte man bewusst auf den (nun zerbrochenen) Irrglauben, es gebe eine Art neue Wirtschaft. Enron wurde zur Hybris der Internetgeneration, der Ausgeburt der New Economy.

Es begann 1985 damit, dass Houston Natural Gas und InterNorth Omaha zu einer der grössten Energiefirma der USA fusionierten. Mitte der Neunzigerjahre verwandelte sich das ehemalige Pipeline- in das weltweit grösste E-Commerce-Unternehmen. Selbst besass die Firma kaum noch Kraftwerke oder Ölleitungen. Statt dessen verknüpften ausgefeilte Computerprogramme Produzenten und Abnehmer von Öl und Strom. Hatte etwa eine Firma in Texas zu wenig billigen Strom, fand sie preiswerte Energie aus Vermont bei EnronOnline. Darüber hinaus half die Firma, das Risiko starker Preisunterschiede mit Derivatgeschäften auf Jahre hinaus abzufedern. Enron offerierte die gefährlichen Termingeschäfte nicht nur für Energie, sondern auch für Gummi, Plastik oder Wintermäntel.

Die «partnerschaftlichen Firmen» trugen «Star Wars»-Namen

Das Geschäftsgebaren verleitete zwar dazu, ein astronomisches Umsatzwachstum zu publizieren. Doch die «Gewinne» kamen nicht aus dem eigentlichen Geschäft, sondern bloss aus den Börsentransaktionen. Weil die Enron-Geschäfte so komplex und undurchsichtig waren, realisierten dies weder Analysten noch Journalisten. So führte «Fortune» Enron im Jahr 2000 noch als siebtgrösste US-Firma. Als Massstab nahm das US-Magazin allein den Umsatz. Wer genau rechnet, muss die Firma aber auf Platz 287 setzen. Denn Enron erzielte nicht mächtige 101 Milliarden, sondern nur magere 6,3 Milliarden Dollar Umsatz. Der Trick: Die Firma gab das Volumen aller Transaktionen und nicht bloss die Kommissionen als Umsatz an.

Die so vorgetäuschte Umsatzexplosion lockte Investoren an und trieb die Aktie in die Höhe. Für die Öffentlichkeit unbemerkt häuften sich satte Verluste an. Enron übertrug sie auf so genannt partnerschaftliche Firmen. Deren Namen – etwa Jedi, Jedi II oder Chewco – waren inspiriert vom Science-Fiction-Spektakel «Star Wars».

Auch aufs Schmieren verstand sich der Ölkonzern: 71 von 100 Senatoren standen auf Enrons Spenderliste. Präsident George W. Bush zählte Enron-Chef Kenneth Lay zu seinem engen Freundeskreis. Expräsident Bill Clinton spielte mit Lay Golf. US-Staatsanwalt John Ashcroft musste in Ausstand treten, denn Enron hatte auch ihn unterstützt. Kontrollorgane versagten, weil alle profitierten. Die Treuhandfirma kassierte eine Million wöchentlich an Gebühren, und die Investmentbanken verdienten an Enrons komplexen Deals.

Wie viel die Topmanager kassiert haben, wird wohl noch untersucht werden. Unsere Grafik zeigt nur gerade die Aktienoptionen, die im letzten halben Jahr vor der Pleite ins Trockene gebracht worden sind. Diese Phase ist besonders kritisch, weil die Topmanager spätestens damals die kommende Pleite mindestens geahnt haben. Dennoch riet die Firma ihrem Personal weiterhin, die billig gewordene Aktie zu kaufen. Sie änderte das Pensionskassenreglement und untersagte den Angestellten, Enron-Aktien zu verkaufen. Insgesamt sollen 29 Topmanager durch Aktienverkäufe 1,1 Milliarden Dollar abkassiert haben, 205 Millionen Dollar sackte allein Enron-Chairman und Bush-Buddy Kenneth Lay ein. Die Anleger haben hingegen rund 60 Milliarden Dollar verloren.