Vortritt für Rechtsabbieger

George W. Bush nutzt den Anti-Terror-Krieg geschickt, um die USA auf einen ultrakonservativen Kurs einzuschwören.Während die Öffentlichkeit gebannt auf Bin Laden und Afghanistan starrt, schiebt Präsident George W. Bush die USA zielstrebig nach rechts.

Von Peter Hossli

Normalerweise wäre die Kündigung des 1972 mit Russland geschlossenen Rüstungskontrollvertrags ABM eine politische Bombe, zumal George W. Bush gleichzeitig auch das ebenso teure wie umstrittene neue Raketenabwehrsystem puschen will. Doch das Ereignis machte keine Schlagzeilen. Dass dies mit der fast zur gleichen Zeit stattfindenden Veröffentlichung des Bin-Laden-Videos zusammenhänge, wurde von einem Regierungssprecher bestritten.

Von der Öffentlichkeit weit gehend unbemerkt, führt der US-Präsident innenpolitisch den im Januar eingeschlagenen konservativen Kurs nämlich beharrlich fort. «Unterhalb des Radarschirms», so der Politanalyst Bill Schneider, bringe der Präsident durch, was vor dem 11. September noch zu wüsten Proteststürmen und öffentlichen Debatten geführt hätte.

Bush habe die Uhr um 30 Jahre zurückgedreht, klagte unlängst der kalifornische Parlamentarier Henry Waxman. Es sei dem Präsidenten gelungen, die Öffentlichkeit von der Diskussion auszuschliessen.

Unbemerkt werden die Steuern der höchsten Einkommensklassen gesenkt, Umweltschutzgesetze gekippt, Bürgerrechte beschnitten. Kurz: Firmen, die Bushs Wahlkampf kräftig unterstützt hatten, finden ein freundliches Umfeld vor.

Während Milzbrand, Krieg und Terror die hiesigen Schlagzeilen schrieben, rutschte die amerikanische Wirtschaft in eine Rezession. Monatelang debattierte der Kongress über ein stimulierendes Gesetzespaket. Anfänglich sollten Unternehmen Steuerermässigungen in der Höhe von rund 60 Milliarden Dollar erhalten. Im Verborgenen bearbeiteten Lobbyisten die Parlamentarier – und stemmten den Steuerschnitt auf satte 212 Milliarden Dollar hoch.

Kaum ein Journalist hatte Zeit, das im Repräsentantenhaus verabschiedete Gesetz eingehend zu studieren. Danach erhalten grosse Firmen massive Rückvergütungen für Steuern, die sie seit 1986 entrichtet hatten. Neue Investitionen können rascher denn je abgeschrieben werden.

In Naturschutzgebieten werden wieder Strassen gebaut

Kritik ist in Kriegszeiten ohnehin verpönt. Erlebte die Umweltbewegung Amerikas früher in diesem Jahr eine regelrechte Renaissance, ist sie seit dem 11. September bereits wieder auf Tauchstation. Prompt nutzte Bush die Gunst der Stunde. So lockerte etwa Innenministerin Gail Norton die strengen Umweltverordnungen für das Hüttenwesen. Hatte Bush-Vorgänger Bill Clinton die Arrastra Mountain Wilderness in Arizona noch zum Naturschutzgebiet erklärt, so bewilligte Norton dort jüngst den Bau neuer Strassen. Stinkende Schneemobile dürfen erneut durch den Yellowstone-Nationalpark brausen. Für Firmen ists einfacher geworden, geschützte Sumpfgebiete trockenzulegen.

Durch die Hintertür versuchte der republikanische Senator Trent Lott, ein bereits vom Repräsentantenhaus verabschiedetes Energiegesetz im Senat durchzubringen, das die umstrittenen Ölbohrungen im Naturschutzgebiet Alaskas erlaubt hätte. Als der demokratische Mehrheitsführer Tom Daschle dies verhinderte, wurde er von Vize Dick Cheney der «Obstruktion» bezichtigt. Ein diffamierendes Zeitungsinserat in seinem Heimatstaat South Dakota zeigt Daschle an der Seite von Saddam Hussein. Sperre sich der Senator gegen die Bohrungen in Alaska, so die Anzeige, stütze er den irakischen Diktator.

Etliche Firmen, die Bush kräftig unterstützten, machen derweil die hohle Hand. Aggressiv lobbyiert etwa der arg gebeutelte Flugzeugbauer Boeing. Die Nachfrage nach Passagierflugzeugen ist nach den vier Entführungen eingebrochen. Stattdessen kauft nun die amerikanische Luftwaffe 100 Modelle des Jets Boeing 767 – für 20 Milliarden Dollar. Gleichzeitig versucht das Hightechunternehmen, sich Aufträge für Kampfflugzeuge, Helikopter sowie Laserwaffen zu sichern. Während Regierungsaufträge in Friedenszeiten genau unter die Lupe genommen werden, schaut jetzt kaum jemand hin.

Ausländische Terroristen kommen vors Militärgericht

Viel Aufmerksamkeit bekam dagegen die umstrittene Zulassung von Militärgerichten für ausländische Terroristen. Doch nicht nur das Strafrecht, auch das Privatrecht wird unterwandert. Als «Opportunismus der Business-Lobby» bezeichnete die «New York Times» die erfolgreichen Versuche von Firmen, sich vor finanzieller Verantwortung für Terrorismusattacken zu drücken.

Ein bereits im US-Repräsentantenhaus verabschiedetes Versicherungsgesetz beschneidet die Anwaltshonorare bei Terrorattacken, eliminiert strafende Bussen und mindert die Möglichkeit der Terroropfer, Geld für Schmerz, Leid und den Verlust von Angehörigen einzufordern.

Hellhörig geworden ist da die Pharmaindustrie. Sie will alle Medikamente, die gegen Biowaffen eingesetzt werden, künftig von Schadenersatzklagen befreien. Die Chancen stehen nicht schlecht. Betroffenheit macht bekanntlich blind.