Neuer Hüftschuss aus dem Wilden Westen

Der US-Aktionär Robert Chapman lanciert eine neue Attacke auf Sulzer Medica. Das Sulzer-Medica-Management hat sich wohl zu früh gefreut: Eine Gruppe von Aktionären aus den USA plant eine neue Serie von Klagen. Sie wollen, dass das Medizinaltechnik-Unternehmen freiwillig Konkurs anmeldet, statt einen teuren Vergleich vorzuschlagen.

Von Peter Hossli und Victor Weber

«Wir werden das Management von Sulzer Medica (SM) einklagen, unter anderem wegen Verschleuderung von Firmengeldern», sagt Robert Chapman, der Chef der kalifornischen Investmentfirma Chapman Capital, «und zwar in der Schweiz und in den USA.»

Das klingt nach Ärger. Zusammen mit zwei anderen US-Firmen kontrolliert Chapman – sein Briefkopf trägt die Unterzeile «Takeovers & Turnarounds» – seit Anfang November knapp fünf Prozent der Aktien von Sulzer Medica. Er habe bereits einen bekannten Schweizer Anwalt angeheuert, der eine Klage gegen die Medica-Führung vorbereite, behauptet Chapman: «Wir müssen das eindeutig naive und ziemlich plumpe Management über die Idiotie des Scrubbs-Plans aufklären.»

Chapman erachtet den Vergleich, den US-Staranwalt Richard Scrubbs für Sulzer Orthopedics, die texanische Tochterfirma von Sulzer Medica AG, ausgehandelt hat, als Idiotie. Danach will das beklagte Unternehmen 783 Millionen Dollar an die klagenden Empfänger der fehlerhaften und ölverschmierten Hüftgelenke bezahlen. «Mindestens 2000 Patienten werden sich von diesem Vergleich zurückziehen und stattdessen Einzelklagen einreichen», vermutet Chapman.

Einige Aktionäre sähen Sulzer Medica lieber in Konkurs

Was Chapman noch wütender macht, schreibt er in einem vom 9. November datierten Brief an Stefan Rietiker, CEO von Sulzer Medica: Gemäss seinen Schätzungen käme der Vergleich über 100 Prozent teurer zu stehen als die Kosten eines hypothetischen Worst-Case-Szenarios. Dieses würde dann eintreten, falls alle 26’000 Implantate ersetzt werden müssten.

«Es macht für Sulzer Medica und die Aktionäre weit mehr Sinn, wenn Sulzer Orthopedics Konkurs anmeldet.» Fälschlicherweise hafte in Europa dem Wort Bankrott das Attribut Versager an, sagt Chapman: «Dabei ist es oft das Beste, um die gesunden Teile zu retten.» Ins gleiche Horn bläst auch der Schweizer Investor René Braginsky: «Wenn sich SM freiwillig unter den US-Gläubigerschutz – Chapter 11 – stellen würde, stiege der Aktienkurs mittelfristig massiv.»

Der Vergleichsvorschlag sei nur zu Stande gekommen, weil das Sulzer-Medica-Management verantwortungslos agiere, meint Chapman weiter. Er gibt auch vor zu wissen, warum: «Die Medica-Manager selbst besitzen kaum Aktien.»

Ausserdem unterstellt Chapman sogar Anwalt Scrubbs Befangenheit. Normalerweise vertrete der Starjurist Opfer, nicht Firmen. SM-Geschäftsleitung und -Verwaltungsrat hätten es sträflich unterlassen, den Interessenkonflikt zu erkennen.

Die grosse Klappe hat Prinzip: Robert Chapman hat in den USA den Ruf eines skrupellosen «corporate raider». Er ist eine Figur wie Gordon Gekko in Oliver Stones Filmklassiker «Wall Street» – einer also, der sich in angeschlagene Firmen einkauft, deren Managements öffentlich angreift, Unternehmen zerstückelt oder verkauft und versucht, möglichst viel für die verbliebenen Aktionäre und sich selbst rauszuschlagen. Chapman geht stets gleich vor. Nachdem er fünf bis zehn Prozent einer kriselnden Firma übernommen hat, schreibt er einem CEO einen kritischen Brief und setzt ihn unter Druck. Seine Sulzer-Medica-Aktien kaufte der Investor nach eigenen Angaben zwischen dem 31. Oktober und dem 5. November, «für unter 40 Franken pro Aktie», so Chapman. Diese Investition hat sich schon gelohnt: Seit dem Kauf ist das Wertpapier auf über 60 Franken angestiegen.

Bei Sulzer Medica gibt man sich angesichts der Angriffe Chapmans gelassen. «Er ist ein Investor, der sich an uns gewandt hat, wir prüfen jetzt sein Anliegen», sagt SM-Sprecher Andy Bantel. Solche Avancen bezeichnet er als Teil des Sperrfeuers, das auf dem Weg zu einem Abschluss eines Vergleichs zu erwarten sei.

René Braginsky, über die Zürcher Incentive Capital grösster Einzelaktionär von Sulzer und von Sulzer Medica, erwägt, Verantwortlichkeitsklagen einzureichen und eine Sonderprüfung zu beantragen. «Wir lassen das sehr ernsthaft von Anwaltskanzleien in der Schweiz wie auch in den USA abklären.»

Im Visier hat er vor allem das ehemalige Mutterhaus Sulzer AG. «Sulzer schätzt die Situation völlig falsch ein», sagt Braginsky. «In Sachen Organhaftung hat sie einiges zu befürchten.» Bisher diskutierte man die Situation nur unter dem Aspekt des so genannten Durchgriffsrechts. Diesbezüglich geht das Sulzer-Management nicht davon aus, dass es für die Verfehlungen der Ex-Tochter geradestehen muss.

Der Frage der Organhaftung nach Art. 55 ZGB ist bis anhin dagegen noch zu wenig Beachtung geschenkt worden. Insbesondere gilt es abzuklären, ob die Leitung von Sulzer beim Spin-off des Medizinalgeschäftes schon wusste, dass die ehemalige Tochtergesellschaft Medica in des Teufels Küche geraten könnte, dies aber verschwieg.

Zwischen Sulzer und Incentive besteht kein Kontakt: «Sulzer behandelt ihre Aktionäre wie Feinde», klagt der Financier, der vergeblich versucht hatte, den Technologiekonzern zu übernehmen.