Eine Branche steht unter Verdacht

Das Kartellamt der USA ermittelt wegen Behinderung günstiger Nachahmerprodukte - auch bei Novartis und Roche. Das amerikanische Kartellamt macht mobil gegen die Pharmaindustrie. Es untersucht, wie die Hersteller von Markenpräparaten die Ausbreitung günstiger Nachfolgeprodukte behindern. Die Patienten werden um Milliarden geneppt. Eine Novartis-Tochter ist bereits mit Sammelklagen konfrontiert.

Von Peter Hossli und Victor Weber

«Wir gehen gegen jeglichen Missbrauch vor. Wenns sein muss, untersuchen wir alle angebotenen Medikamente», sagt Kim Shellenberger, Präsidentin der Konsumentenschutzorganisation Prescription Access Litigation Project (PAL). Pharmakonzerne würden mit zuweilen illegalen Methoden so genannte Generika vom Markt fernhalten. Statt günstig Kopien zu erstehen, seien US-Patienten allzu oft gezwungen, teure Markenpillen zu kaufen.

Ihre Organisation hat eine regelrechte Flut von Klagen auf diverse Pharmariesen in den USA losgelassen. Derzeit vertritt sie über 50 Kläger.

Zugleich untersucht das Kartellamt, die Federal Trade Commission (FTC), das zwielichtige Gebahren der Branche. 75 Firmen – darunter auch die Schweizer Pharmakonzerne Roche und Novartis – haben einen Fragenkatalog zugeschickt bekommen, der im Verhörton gehalten ist. Die FTC hat die Untersuchung eingeleitet, weil die Machenschaften der Novartis-Tochter Geneva an den Tag gekommen sind und sich in der Folge die Klagen gehäuft haben.

Geneva liess sich dafür zahlen, die günstige Hytrin-Kopie nicht auf den Markt zu bringen. Hytrin senkt hohen Blutdruck, ein verbreitetes Problem bei Geniessern von Pommes frites und Hamburgern. Das Medikament ist ein profitables Geschäft für den US-Pharmakonzern Abbott Laboratories, der damit jährlich rund 500 Millionen Dollar einnimmt. In den Neunzigerjahren lief das Hytrin-Patent aus. Damit war der Weg frei, das Generikum anzubieten. Laut einer CASH vorliegenden FTC-Akte (File No. 981-0395) ging Geneva auf Abbott zu und drohte, das Generikum auf den Markt zu bringen («Geneva threatened to launch that product unless Abbott paid it not to do so»). Da Abbott in den USA 20 Prozent des Pharma-Umsatzes mit Hytrin erzielte, war der Druck gross: Der Konzern verpflichtete sich, Geneva unter anderem monatlich 4,5 Millionen Dollar zu zahlen. Abbott hätte sonst riskiert, innert nur sechs Monaten 185 Millionen Dollar Umsatz einzubüssen.

Novartis geht in den USA selber gegen Generika-Firmen vor

Die FTC schritt 1999 ein und forderte im Mai letzten Jahres Abbott und Geneva schliesslich auf, den «ungesetzlichen» (FTC) Handel sofort einzustellen. «Geneva geht in Zukunft keine solchen Arrangements mehr ein», versichert Novartis-Sprecherin Marie-Françoise Rütimeyer, «Novartis ebenfalls nicht.» Gleichzeitig betont sie, es sei sehr wichtig, dass der Patentschutz eingehalten werde.

Da Novartis primär ein Originalhersteller ist, geht sie in den USA selber auch gegen Generika-Firmen vor, zum Beispiel im Fall von Aredia (Krebsmittel) oder Sandimmun (zur Unterdrückung der Immunabwehr). Auch in der Schweiz spielt sie ein doppeltes Spiel (CASH vom 23. Februar 2001).

Die Versicherungsdeckung von Novartis könnte nicht genügen

Der Hytrin-Fall hat landesweit dutzende von Klagen ausgelöst. So sind in Florida verschiedene Sammelklagen gegen Geneva hängig. Die Folgen der zahlreichen Verfahren (Antitrust- und andere) könnten die Versicherungsdeckung des Konzerns übersteigen. Dies geht aus einem von Novartis der US-Börsenaufsicht SEC am 4. April «confidentially» eingereichten Dokument (No. 1-15024) hervor.

Inzwischen sind auch einflussreiche Politiker aktiv geworden. Geht es nach dem demokratischen Senator Charles Schumer (New York) und dem republikanischen Senator John McCain (Arizona), ist es Herstellern von Markenpräparaten künftig verboten, unbedeutende Änderungen vorzunehmen, allein um ein Patent zu verlängern. Politauguren räumen dem Vorschlag gute Chancen ein. Laut McCain liegt das Sparpotenzial bei 71 Milliarden Dollar innert 10 Jahren.

Das Prescription Access Litigation Project hat unter anderen das britische Unternehmen Astra Zeneca und den amerikanischen Generika-Hersteller Barr Laboratories in 20 Bundesstaaten eingeklagt. Die beiden hatten untereinander vereinbart, den Preis für das Krebsmittel Tamoxifen hochzuhalten. Im Juni reichte das PAL sechs weitere Sammelklagen gegen die drei Pharmaunternehmen Schering-Plough, Upsher-Smith Laboratories und American Home Products ein, weil sie gemeinsam den Preis für K-Dur 20 hochhalten würden. Dieses Medikament wird bei älteren Patienten gegen Bluthochdruck eingesetzt. Laut Klage bezahlte Schering-Plough den beiden anderen Firmen 80 Millionen Dollar, damit sie keine Generika auf den Markt bringen.

In der Schweiz liegt der Generika-Anteil bei 3,2 Prozent

Die Markenhersteller haben allen Grund, um ihre Umsätze zu bangen. Bis ins Jahr 2005 verlieren Medikamente, die derzeit insgesamt 30 Milliarden Dollar jährlich umsetzen, den US-Patentschutz. 40 Prozent des 360 Milliarden Dollar schweren weltweiten Geschäfts mit rezeptpflichtigen Medikamenten werden in den USA erwirtschaftet.

So sehr die Generika in den USA auch behindert werden, Schweizer Krankenkassen und Patienten würden sich glücklich schätzen, wenn der Generika-Anteil so hoch wäre wie dort: Bei uns liegt er bei 3,2 Prozent, in Amerika bei zwölf.

Die Pharmatricks
Um die Verbreitung günstiger Nachfolgeprodukte zu behindern, greifen in den USA die Hersteller von Originalmedikamenten zu legalen und illegalen Methoden. Eine Übersicht:

· Aus Prinzip gegen Generika-Hersteller Klage auf Patentverletzung einreichen. Das bewirkt automatisch eine 30-monatige Verzögerung.

· Bürgerbeschwerde (citizen petition) gegen die Zulassung eines Generikums einreichen und Sicherheitsbedenken vorbringen. Das verunsichert die Behörden.

· Auch die nicht wirksamen Komponenten eines Medikaments (Kapselhülle usw.) schützen lassen und das Patent auf Biegen und Brechen verteidigen.

· Verabreichungsmodus ändern und neu patentieren lassen, etwa «einmal täglich» statt «zweimal täglich».

· Nicht nur den Wirkstoff patentieren lassen, sondern auch Moleküle, die durch den natürlichen Abbau (Metabolismus) in der Leber des Patienten entstehen.

· Man «verschwört sich» (Originalton Kartellamt) mit dem Generika-Hersteller und bezahlt diesen, damit er nicht aktiv wird.

· Die finanzstarken Originalhersteller haben sich mit der Zulassungsbehörde FDA auf höhere Gebühren geeinigt. Dafür werden ihre Gesuche zügiger behandelt. Das Nachsehen haben die Generika-Firmen.