Der Chef nimmt sich viel Zeit

George W. Bush vor einem heissen Herbst: Wichtige politische Entscheidungen stehen an - und er zögert. George W. Bush gibt sich momentan seiner Lieblingsbeschäftigung hin: Ferien machen. Er tut gut daran, sich dabei auf einen heissen Herbst vorzubereiten, denn der kürzlich erreichte Erfolg in der Energiepolitik kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der US-Präsident Mühe hat, sich in entscheidenden Fragen durchzusetzen.

Von Peter Hossli

George W. Bush hat ein veritables Problem: Er weiss selten, was er tut oder was um ihn herum geschieht. «Lassen Sie mir Zeit», bestellt er beispielsweise seit Monaten Journalisten, die ihn wiederholt fragen, ob der Staat die Forschung an Zellen von Embryonen nun finanziere. Weil er nicht spürt, wie sehr sein konservativer Kurs dem liberalen Flügel missfällt, verloren die Republikaner die Mehrheit im Senat.

Bush, in Europa als machthungrig, arrogant und gefährlich verschrieen, ist kleiner, als viele erwartet haben. Es fehlt ihm die Vision. Vergeblich versuchen Politauguren Neugierde oder Interesse an grösseren Zügen auszumachen. Stattdessen legt sich der Präsident gerne hin oder verschwindet ins verlängerte Wochenende. «Seine Ferienfreude entspricht der eines Ruheständlers, sein Appetit auf Nickerchen dem eines Schlafsüchtigen», lästerte die «New York Times». Zurzeit ruht sich Bush während vier Wochen auf seiner Ranch in Texas aus. Damit bricht er den bisherigen Ferienrekord von Ronald Reagan, der ebenfalls nicht als besonders fleissig bekannt war, um einen Tag.

Dabei brennts mancherorts. Die Wirtschaft schwächelt. Die Börsen bewegen sich nervös seitwärts. Seit Jahren steigen erstmals die Arbeitslosenzahlen wieder. Der überhöhte Dollar lähmt die Exporte. Den Krankenkassen und Sozialversicherungen fehlen griffige Rezepte für eine Gesundung. Die durch das Repräsentantenhaus bewilligte Ölförderung in einem Naturschutzgebiet ist zudem nur ein Etappensieg: Der Beschluss muss nach den langen Ferien vom Senat bestätigt werden, was keineswegs gesichert ist.

Da ist guter Rat teuer: Präsident George W. Bush.Aussenpolitik: Untätiges Abwarten

Noch steht das geplante Raketenabwehrsystem auf wackligen Beinen. Nur wenige Ingenieure glauben an die Realisierbarkeit. Ein als Erfolg gefeierter Test entpuppte sich im Nachhinein als Flop. Dennoch bringt das Hightechsystem China und Russland näher zusammen. Zahlreiche europäische Partner sind skeptisch, zumal die Drohung eines Raketenangriffs auf die USA als minimal gilt. Realeren Gefahren, etwa dem internationalen Terrorismus, vermögen die USA damit kaum beizukommen. Die Bush-Regierung betreibe nicht eine aktive, sondern eine «biologische Aussenpolitik», schrieb Thomas Friedman in der «New York Times». Untätig warte man auf das Ableben von Diktatoren wie Fidel Castro und Saddam Hussein oder unbequemen Partnern wie Jassir Arafat und erzeuge so noch labilere Situationen. Zudem wurde der moderate Aussenminister Colin Powell von Vizepräsident Dick Cheney und dem ultrakonservativen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mehrmals desavouiert.

Wirtschaftspolitik: Nur für die Spezis
Täglich melden US-Firmen massive Gewinnrückgänge und, als Folge, Entlassungen. Erstmals in neun Jahren zeigt die US-Arbeitslosenkurve wieder nach oben. Nur der anhaltende Konsum bewahrt das Land vor dem Absturz in eine Rezession. Abhilfe ist nicht in Sicht. Zwar boxte der Präsident die angekündigte Steuersenkung durchs Parlament. «Um die wacklige Wirtschaft anzukurbeln», so Bushs Losung. Mittlerweile gestehen selbst konservative Ökonomen: Die Steuerreduktion bringt kaum die versprochenen Impulse, im Gegenteil. Rascher als angenommen und einst zugegeben, schrumpft der Budgetüberschuss, und die Staatsverschuldung wächst schneller. Es drohen höhere Zinsen. Die Bush-Regierung hat die Auswirkungen dieser Steuerpolitik falsch eingeschätzt. Härter drückte es der Journalist und Wirtschaftsprofessor am MIT in Boston, Paul Krugman, aus: «Bush hat die fiskalische Integrität Amerikas untergraben, um seinen reichen Freunden ein grosses Steuergeschenk zu gewähren.»

Forschungspolitik: Politisches Dilemma
Zumindest denke Bush nach, sagen die Optimisten. Sein Schlingerkurs koste täglich tausende das Leben, argumentieren andere. Seit Monaten kann sich der Präsident nicht entscheiden, ob er die Erforschung embryonaler Stammzellen mit Bundesmitteln unterstützen soll oder nicht. Wissenschaftler wollen überzähligen Embryonen, die bei In-vitro-Befruchtungen anfallen und in Gefrierfächern lagern, Zellen entnehmen. Sie hoffen, so Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson auf den Grund zu kommen. Bushs Dilemma ist politisch. Finanziert er die Forschung, wenden sich rechts aussen die Abtreibungsgegner ab. Stellt er sich dagegen, verliert er die Sympathie vieler Kranker. Faktisch bedeutet Bushs Weisung wenig. Es wird so oder so geforscht. Wenn nicht mit staatlichem, dann mit privatem Geld.

Energiepolitik: Bush erfindet eine Krise
Die USA befänden sich in der grössten Energiekrise seit dem Ölembargo in den Siebzigerjahren, warnte Bush und beantragte den Bau zahlreicher zusätzlicher Atomkraftwerke und Ölbohrungen in Naturschutzgebieten. Die Fakten sprechen dagegen: Heute geben Amerikaner rund fünf Prozent ihres Einkommens für Energie aus, unter Ronald Reagan warens deren acht. Überdies fallen die Benzinpreise. In Kalifornien, bis vor kurzem noch von Energieknappheit befallen, gibts derzeit sogar einen Überfluss. Sowohl Notenbankchef Alan Greenspan wie der Chef des Ölgiganten BP sagten: «Es gibt keine Energiekrise.» In Umfragen gaben zwei Drittel an, Bush habe sie bezüglich der Energieversorgung angelogen und die Ölindustrie hofiert. Er hatte ein kurzzeitiges Problem mit einer chronischen Krise verwechselt.