Wie man sich bettet

Wer sich mondän von der Welt verabschieden will, bucht seine letzte Reise beim New Yorker Campbell Funeral Home.

Von Peter Hossli

Selbst Unsterbliche sterben. Falsch ist allerdings der weit verbreitete Volksmund, im Tode seien dann endlich alle gleich. Zumindest an der Schwelle zum Jenseits mögen es die Reichen und die Schönen noch ein Weilchen exklusiver und ausgefallener als der gemeine Rest.

Erkannt hat das ein vifer amerikanischer Unternehmer bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Wer Kapital hat, sagte sich damals der 26-jährige Frank E. Campbell, der will ordentlich und würdevoll beigesetzt werden, egal was das kostet. Da New York seit jeher Glamour und Geld lockt, startete der Amerikaner irischer Abstammung 1898 ein exklusives Beerdigungsinstitut in der Metropole am Hudson River.

103 Jahre und rund 200000 Bestattungen später gilt das Frank E. Campbell Funeral Home weltweit als erste Adresse für anspruchsvolle Begräbnisse. Könige und Kardinale werden hier beigesetzt, Rocker und Rapper, Ganoven und Greta Garbo. Aufgebahrt waren die Überreste von Jackie Kennedy Onassis und John Lennon. Der Erfinder des Hot Dogs kam hier tot vorbei, später der grösste amerikanische Senf-Fabrikant sowie dessen Konkurrent, der Ketchup-König. Mit seinem 1955 zugelassenen Impfstoff gegen Kinderlähmung rettete Jonas Salk Millionen das Leben – 1995 setzte ihn Campbell bei. Regisseur und Stadtneurotiker Woody Allen liess hier für das Musical «Everyone Says I Love You» Tote tanzen, Kollege Hugh Wilson in «The First Wives Club» Witwen trauern. Stilbewusste wissen: Wer in New York etwas auf sich gibt – und es sich leisten kann–, sucht die letzte Ruhe mondän an der Madison Avenue.

Von aussen erinnert der bräunlichrote, vierstöckige Prachtsbau an ein altehrwürdiges Bankgebäude. Über dem Eingang flattert flott der Sternenbanner. Im dunklen Livree wachen zwei kräftige Türsteher an der Kreuzung 81. Strasse und Madison. Ein Dritter, ebenfalls livriert, öffnet galant die Türen dunkler Karossen.

Der amtierende Direktor, der grossgewachsene, mit öligem Kurzhaartoupet versehene Eugene Schultz, führt durch die geräumige Kapelle im Erdgeschoss. Keinerlei religiöse Insignien schmücken die Eierschalen farbenen Wände. Mitglieder sämtlicher Konfessionen zählen zur Kundschaft. Je nach Bedarf werden Kreuze aufgehängt oder Thoras aufgestellt. «Wir erfüllen alle Wünsche – solange sie legal sind», sagt Schultz, der seit 1960 bei Campbell arbeitet. So liess er auch schon mal Tiere in den schmucken Andachtsraum. Ein verstorbener Künstler wünschte, dass ein Maler in absoluter Ruhe eines seiner Bilder nachzeichne. Einem tödlich verunfallten Töfffan erwiesen 75 heulende Harleys die letzte Ehre.

Notablen Toten garantiert Schultz absolute Diskretion. Stirbt ein Star, wartet stets eine Horde hechelnder Paparazzi und buhlender Boulevardjournalisten vor dem Haus. Vergebens. «Wir sagen nie etwas», sagt Schultz. Wer doch flüstert, fliegt. So weiss bis heute niemand irgendetwas über das Begräbnis der schwedischen Leinwandlegende Greta Garbo im April 1990. Mit dem ältesten Gaunertrick übertölpelte Schultz im Dezember 1980 die lokale Presse. Ex-Beatle John Lennon war am Central Park erschossen worden. Hunderte Journalisten kampierten am Eingang des famosen Beerdigungsinstituts. Verschmitzt setzte Schultz einen leeren schwarzen Wagen in Bewegung. Wie Lemminge folgte ihm die Newsmeute. Ungestört verliess fünf Minuten darauf eine einfache Limousine mit Lennons Leiche und dessen Witwe Yoko Ono das Hause. Sie fuhr zum Ferncliff Krematorium in Hartsdale, 20 Meilen nördlich von Manhattan. Bilder vom Event gabs keine.

Gründer Frank E. Campbell war der Presse noch wohlgesinnter, der Publizität wegen. So erwähnte dessen Mutter Malvina die Firma des Sohnemanns täglich in ihrer Radiosendung. Kostenlos beerdigte er jahrelang Broadway-Schauspieler der zweiten Garde – allein, um beim medienträchtigen wie spendabeln Theatervolk favorabel dazustehen. Zu Weltruhm kam er am 23. August 1926, wegen eines PR-Coups sondergleichen. Für immer veränderte der schwüll-heisse Sommertag die Beerdigungsindustrie. Knapp 31-jährig starb der pomadige Herzensbrecher und Stummfilmidol Rudolph Valentino an einem Magengeschwür. Für eine Gage von einem Dollar pro Tag heuerte Campbells Agent flennende Damen und prügelnde Herren an. Tausende kamen, die Weltpresse berichtete von wilden Volksaufläufen «50000 suchten toten Filmstar zu lieben. Meistens Frauen und Mädchen», titelte eine deutschsprachige New Yorker Zeitung. Stolz präsentiert Direktor Schultz eine dickes Buch voller verblichener Zeitungsartikel über das Valentino-Spektakel. «Die Valentino-Beerdigung machte uns berühmt», sagt er. Endgültig etablierte sie ein Establishment von Welt. Keine Masse schien von nun an zu gross.

Heute offeriert der Luxus-Totengräber jeden erdenklichen Service, zu Preisen zwischen 5000 und hundert Tausend Dollar. Ausgefüllt werden notarische Dokumente, gestellt hauptberufliche Sargträger, Musiker und Blumen vermittelt, Nachrufe verfasst und in Zeitungen plaziert, mit Friedhof oder Krematorium Arrangements getroffen, Totenwagen gemietet, Priester oder Rabbis organisiert.

Gegen Entgelt verfassen Campbells Autoren in Leder gebundene Biografien. Wer will, kann die eigene Beerdigung zum Discountpreis schon im voraus buchen und abstottern. «Es lohnt sich», sagt Schultz. «Viele machens.» Im Übrigen veranstaltet Campbell regelmässig Kurse zu Themen wie «Das Leben ohne meine andere Hälfte», «Trauernde Eltern» oder «Trauernde Kinder.» Bis zu achtzig Personen finden in einem der viktorianisch möblierten Andachtsräume Platz. Auf jedem Tischchen stehen Papiernastücher.

Nicht eingeschlossen im Preis ist der Sarg oder die Urne. «Wir führen die feinsten Produkte der Welt», sagt Schultz. Er legt Wert auf Qualität. Wie ein Möbelhändler präsentiert er den hell erleuchten Showroom, wo gut zwei Dutzend Modelle aufgebahrt sind. Diskret steht auf jedem eine gut sichtbare Karte mit dem Verkaufspreis und Angaben zu den Baumaterialien. Der teuerste Sarkophag, aus massivem Bronze und ausgekleidet mit feinstem Tuch, kostet 125000 Dollar. Zwei Stück pro Jahr verkauft Schultz davon, «an Leute, die stets das beste wollen». Frank E. Campbell selbst leistete sich den Bronze-Sarg als er im Januar 1934 verstarb. Jahrzehntelang, erklärt Spezialist Schultz, bleibe so ein einbalsamierter menschlicher Rumpf unversehrt.

Billigere Modelle sind aus Mahagoni- oder Eichenholz. Jackie Kennedy Onassis wurde in einem Sarg aus hartem Walnussholz auf feinstem Samt beigesetzt. Kostenpunkt: 9895 Dollar. Unlängst führte Schultz eine Sonderanfertigung mit seidenem und bemaltem Rüschenkissen ein.

Kindersärge fehlen. Sie lagern tief im Keller. «Niemand will sie sehen und erinnert werden, dass auch Kinder sterben», sagt Schultz. Seit 39 Jahren beerdigt er Menschen. «Muss ich ein verstorbenes Kind herrichten, fällt mir das nach wie vor ausgesprochen schwer.» Ihm habe der tagtägliche Umgang mit dem Tod geholfen, mit der eigenen Sterblichkeit besser klar zu kommen. «Es nahm mir nicht die Angst vor dem Tod, aber es half mir, ihn als Teil des Lebens zu akzeptieren.»

Welche Auswirkungen hat Ihr Job auf Ihre eigene Beerdigung?
Schultz: Obwohl ich schon etliche Tausend Kremationen organisiert habe, würde ich mich selbst nie kremieren lassen. Das macht man in meiner Familie nicht.

Ihre Tätigkeit ist reichlich morbid.
Schultz: Das sehe ich anders. Es ist ein Job, der jedem Individuum Respekt zollt.

Wie hat sich das Verhältnis der Öffentlichkeit zum Tod verändert?
Schultz: Heute wird der Tod weit mehr verdrängt als früher – obwohl die Leute viel länger leben. Als ich 1960 anfing, beerdigten wir vor allem 60-Jährige, heute sind viele 90-Jährige darunter.

Welche Auswirkungen hat dieses Altern auf die Beerdigungsindustrie?
Schultz: Die Überalterung der Bevölkerung führte zu einem Mangel an ausgebildeten Bestattern und Einbalsamierern.

94 Prozent aller Kunden stammen aus New Yorks Upper East Side. Nirgendswo sonst auf der Welt leben mehr Reiche so nahe zusammen. Derzeit erstellt Direktor Eugene Schultz eine Liste mit sämtlichen prominenten Campbell-Kunden. Es seien weit über 4000 gewesen. Etwa: die Filmlegenden Rita Hayworth, Judy Garland, James Cagney, Yul Brynner, Rex Harrison, Lex Barker und Joan Crawford; die Komponisten Igor Stravinsky, Irving Berlin, George Gershwin und Lotte Reiniger; der Mafia-Boss Frank Costello; «Muppet-Show»-Erfinder Jim Henson; die Geldmagnaten Malcolm Forbes und William Randolph Hearst oder der Oberbefehlshaber der US-Armee im ersten Weltkrieg, John Pershing.

Nach Campbells Tod leitete dessen Gattin die Geschäfte. Ende siebziger Jahre schluckte der texanische Begräbnisriese Service Corporation International das New Yorker Traditionshaus. Verändert hat sich wenig. Noch immer zehrt das Funeral Home vom sagenumwobenen Gründer. Campbell, einst von Chicago nach New York gekommen, um es dort zu schaffen, war ein echter Pionier. Ein Erfinder, der den letzten Akt des Lebens mit bahnbrechenden Ideen umgestaltete. So erfand er die Todesanzeige. Im Januar 1920 verstreute er persönlich als erster die Überreste einer Kundin aus einem Flugzeug. Hoch über der Freiheitsstatue wollte die Kinderbuchautorin Sarah Brown ihre Asche ausgegossen haben. Hierzu charterte Campbell ein Motorboot, brachte die Urne Browns zu einem Wasserflugzeug und hob im Beisein einer jubelnden Menge und zahlreichen Journalisten und Fotografen ab. Als erster lehrt er überdies Frauen die Kunst des Einbalsamierens. Seine Frau Amelia als erste Frau bestand die Prüfung als Bestatterin. Wurden Tote einst mit Pferd und Wagen zum nächsten Friedhof gekarrt, legte sich Campbell 1915 eine eigene Flotte motorisierter Limousinen zu – ausschliesslich aus England eingeführte Rolls Royces.

Normalerweise wurden Verblichene in der Nähe des Sterbeorts beerdigt. Pionier Campbell begann, Leichname auf seiner Yacht entlang der Ostküste zu schiffen, später liess er sie auf Zügen übers Land befördern. Heute verfrachtet der Edeltotengräber weltweit sterbliche Überreste. Im Ausland holt die Firma verblichene Amerikaner ab. Stirbt ein UN-Diplomat, besorgt Campbell den vorschriftsgerechten Rücktransport der Leiche. Fast jedes Land unterliegt andere Regeln, wie Tote ein- und ausgeführt werden. So verlangt England luftdichte Särge, andere Staaten schreiben einbalsamierte Körper vor.

Einen aufrechten, rund 80 Zentimeter hohen Spezialsarg fertigte Campbell 1982 für einen buddhistischen Prinz aus Indien. Unverhofft erlag der in New York einem Herzinfarkt. Glaube wie königliche Kaste verlangten nach einer Rückkehr in bettender Lotus-Stellung. Sitzend sowie Arme und Beine verschränkt. Kein Problem für Campbell. 24 Stunden nach seinem Tod sass der Prinz einbalsamiert auf dem Flieger nach Bombay – in perfekter Lotus-Position, versteht sich.