«Die Schweiz kam in den USA zu schlecht weg»

Stuart E. Eizenstat rang den Schweizer Banken 1,25 Milliarden Dollar Wiedergutmachung für ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg ab. In seinem Bericht warf er der Schweiz Kriegsverlängerung vor, was auf heftige Kritik stiess. «Dass die Schweiz dachte, wir beschuldigten nur sie, ist ein Missverständnis. I am sorry».

Von Peter Hossli

eizenstat1.gifStuart Eizenstat, 59, diente unter Präsident Bill Clinton als Unterstaats-sekretär im Aussenministerium, als stellvertretender Finanzminister sowie als Unterst aatssekretär im Handelsministerium. Bereits in den sechziger Jahren trat der Jurist in den Staatsdienst und wirkte für Präsident Lyndon B. Johnson. In den siebziger Jahren war der treue Demokrat nationaler Chefberater von Jimmy Carter. Unter Clinton wirkte Eizenstat Vermittler zwischen den Schweizer Banken und den jüdischen Organisationen. 1997 verfasste er den Eizenstat-Bericht, worin er schrieb, die Schweizer Neutralität hätte zur Verlängerung des Zweiten Weltkrieges beigetragen. Demnächst tritt Eizenstat der renommierten Anwaltskanzlei Covington & Burling bei.

Mister Eizenstat, welches Amt hätte Ihnen Präsident Al Gore anvertraut?
Stuart Eizenstat: (lacht) Es gibt keine Regierung Al Gore. Also habe ich kein Amt.

Statt dessen schieden Sie aus dem Staatsdienst aus und heuern bei der prestigeträchtigen Anwaltskanzlei Covington & Burling an. Was machen Sie dort?
Eizenstat: Erst ab Juli leite ich deren internationale Handelsabteilung. Vorerst wirke ich am Woodrow Wilson Center als politischer Wissenschaftler und schreibe über die Holocaust-Verhandlungen, die ich mit der Schweiz, Frankrech Österreich und Deutschland geführt habe.

Fällt Ihnen der Wechsel in die rauhere Privatwirtschaft schwer?
Eizenstat: Es ist bereits mein dritter Wechsel von öffentlichen in private Ämter. Zuvor verliess ich mit Lyndon Johnson und Jimmy Carter den Staatsdienst. Veränderungen sind stets schwierg, zumal Regierungen komplett anders funktionieren als Privatfirmen.

Was bevorzugen Sie?
Eizenstat: Politische Posten sind zeitlich beschränkt, darauf muss man sich einstellen. Politische Entscheide sind schwieriger und nervenaufreibender. Im Privatsektor setzt man sich mit dem Kunden an einen Tisch, diskutiert eine Strategie und setzt sie um. Das ist einfacher.

Dann freuen Sie sich aufs simplere Leben im Privatsektor?
Eizenstat: Meine künftigen Aufgaben werden juristisch komplex sein. Aber ich habe die Kontrolle und treibe die Entscheide voran, nicht ein grosser staatlicher Apparat.

Warum wählten Sie ausgerechnet Covington & Burling?
Eizenstat: Es ist eine harmonische Ehe. Die Firma gehört zu den besten Anwaltskanzleien der USA – und sie verfügt über einen weitreichenden internationalen Kundenstamm mit zusätzlichen Büros in London und Brüssel.

Die Firma ist dort stark, wo sich private und öffentliche Interessen schneiden.
Eizenstat: Das war bei meiner Jobwahl ausschlaggebend. Ich stehe an der Gabelung von Recht, Wirtschaft und Staat. Dort, wo gesetzliche, juristische und regulative Probleme aufeinandertreffen. Braucht eine Firma die Zusage einer Regierung, drohen Sanktionen oder Handelsprobleme, helfe ich. Ebenso, wenn ausländische Unternehmen in den USA investieren wollen, oder amerikanische im Ausland.

Wer hat wen gefunden? Sie die Firma, oder die Firma Sie?
Eizenstat: Weder ich noch die Firma waren ja schwierig zu finden. Covington & Burling ist ein juristisches Wahrzeichen in Washington und den USA. Ein guter Freund – Al Moses, der unter Clinton US-Botschafter in Rumänien war – hat mir von der Firma erzählt. Dann gings schnell.

Bis vor kurzem haben Sie noch auf der Gegenseite der UBS gestanden. Nun arbeiten Sie für eine Anwaltskanzlei, die die Grossbank vertritt. Ist das nicht ein komischer Wechsel?
Eizenstat: Überhaupt nicht. Covington & Burling unterhält eine grosse und erfahrene international ausgerichtete Banken-Abteilung. Als international tätige Bank nutzt die UBS dieses Know-how. In den Holocaust-Angelegenheiten hat Covington & Burling die UBS übrigens nicht vertreten.

Werden Sie für UBS arbeiten?
Eizenstat: Natürlich nicht.

Wenn Regierungsvertreter in den Privatsektor wechseln, verdienen sie meist viel mehr. Es besteht die Gefahr, dass sie Ihre Kontakte missbräuchlich nutzen. Wie vermeiden Sie solchen Filz?
Eizenstat: Präsident Clinton hat ein Gesetz ausser Kraft gesetzt, welches es jedem Regierungsmitglied bis zum Lebensende untersagt hätte, eine ausländische Regierung als deren Anwalt zu vertreten. Dieselbe Regelung hätte es uns überdies untersagt, fünf Jahre lang mit unserem ehemaligen Ministerium zu verhandeln.

Ein Gesetz, das Korruption unterbinden sollte, ist jetzt also ausser Kraft?
Eizenstat: Alle waren der Meinung, dass diese Regelung stark übertrieben war.

Demnach ist jetzt alles erlaubt?
Eizenstat: Nicht doch. Wir sind strikten Regelungen ausgesetzt. Ein Jahr lang nach Amtsaustritt dürfen wir mit unserem ehemaligen Arbeitgeber keine geschäftlichen Beziehungen eingehen. Es gibt viele zusätzliche Einschränkungen.

Dennoch kommts wiederholt zu Filz.
Eizenstat: Die US-Regelungen sind streng genug, wenn nicht gar zu streng. Es gibt kein anderes Land, das seine Regierungsmitglieder so unerbittlich kontrolliert.

Dann wars schwierig, die US-Regierung zu verlassen?
Eizenstat: Es war schon schwierig einzutreten. Unter Clinton bekleidete ich vier Ämter. Der Senat bestätigte mich viermal. Das FBI überprüfte mich viermal so gründlich als hätten sie mich noch nie überprüft. Um Interessenskonflikte zu vermeiden, musste ich zahlreiche Aktien abstossen.

Vermissen Sie die Regierungsarbeit?
Eizenstat: Mit einem Bein bin ich noch drin. Präsident George W. Bush hat mich gebeten, weiterhin als Vermittler in Holocaust-Angelegenheiten zu amten.

Bei den meisten Klagen hat man sich doch geeinigt. Was bleibt da noch zu tun?
Eizenstat: Ich versuche, die Einigungen in den deutschen, französischen und österreichischen Fällen in Kraft zu setzen.

Der deutsche Zwangsarbeiterfall verzögert sich. Unlängst hat die New Yorker Bundesrichterin Shirley Kram weitere Sammelklagen gegen deutsche Banken zugelassen.
Eizenstat: Das ist einer der Hauptgründe, warum ich nach wie vor dabei bin. Der Entscheid beunruhigt mich. Ich setze alles daran, ihn umzukehren. Zwei von drei Richtern haben die Klagen abgelehnt, Richterin Kram nicht.

Sind Sie optimistisch?
Eizenstat: Ja.

Bis wann gelingt Ihnen Umkehrung?
Eizenstat: Das Appellationsgericht hat unserer Forderung stattgegeben, die Angelegenheit als Notfall zu behandeln. Bis Ende Woche müssen alle Papiere eingereicht sein. Ich hoffe, Ende April oder Anfang Mai einen Entscheid zu haben. Es ist mir enorm wichtig. Die Opfer, die von der deutschen Industrie Geld zu gute haben, sterben rasch, monatlich ein Prozent. Umso unglücklicher war deshalb der Entscheid von Richterin Kram. Er verzögert die Auszahlung an die Opfer.

Deutschland hätte sich viel früher mit Zwangsarbeitern befassen müssen. Warum passierte so lange nichts?
Eizenstat: Zuerst einmal verdienen die Deutschen grosses Lob. Sie haben seit den fünfziger Jahren 60 Milliarden Dollar Reparationszahlungen geleistet.

Um die Sklavenarbeit haben sie sich aber lange Zeit gedrückt.
Eizenstat: Die Klagen gegen die Schweiz hatten Sammelklagen gegen die deutsche Industrie evoziert. Nachdem sie eingereicht waren, reagierten die deutsche Regierung und die deutsche Industrie recht schnell.

Es brauchte den Druck dieser Klagen?
Eizenstat: Man muss mit Deutschland fair sein. Die Sozialdemokraten und die Grünen haben schon 1998 in ihrem Wahlkampf versprochen, sie würden Zwangsarbeiter kompensieren. Kanzler Helmut Kohls Partei, die CDU, hat das Thema allerdings stets stiefmütterlich behandelt. Sie hatte Angst vor der Kontroverse. Ausserdem steht die Wählerbasis der CDU der deutschen Industrie näher.

Reparationen an Holocaust-Opfer waren ein zentrales aussenpolitisches Anliegen der Regierung Clintons. Wie wichtig ist das Thema für George W. Bush?
Eizenstat: Es ist wichtig. Aussenminister Colin Powell liess sich von mir persönlich unterrichten. Unlängst traf sich Powells Stellvertreter mit dem deutschen Unterhändler Otto Graf Lambsdorff. Er hat ihm juristischen Frieden für deutsche Firmen garantiert. Powell hat im Übrigen Joschka Fischer brieflich zugesichert, die Bush-Regierung würde fortführen, was wir begonnen haben.

Sie arbeiten an einem Buch. Worüber schreiben Sie?
Eizenstat: Es wird ein persönliches Buch über die Geschichte der vergangenen fünf Jahre, in Kontext mit dem, was nach dem Zweiten Krieg mit den Flüchtlingen geschah. Sie wurden rasch ihrem Schicksal überlassen. Abgesehen von den Deutschen tat niemand etwas für sie. Fragen zu deren Bankkonten, Kunst, Immobilien oder zu Sklavenarbeitern blieben viel zu lange unbeantwortet. Ich untersuche, wie sich die Welt veränderte, als diese Themen nach fünfzig Jahren Schweigen plötzlich an die Oberfläche kamen.

Wie konnten sie die Übersicht bewahren über das komplexe Thema?
Eizenstat: Ich legte mir ein zweites Leben zu. Schliesslich hatte ich schon einen 100-Prozent-Jobs. Nun musste zusätzliche 120 Prozent finden.

Wie haben Sie das ausgehalten?
Eizenstat: Es war eine enorme physische, mentale und emotionale Belastung. Gleichzeitig war es eine nie dagewesene Herausforderung und eine Möglichkeit, etwas Wichtiges und Positives für alte Menschen zu tun. Die meisten davon sind übrigens nichtjüdisch. Im deutschen Fall geht 80 Prozent des Geldes an Nichtjuden in Zentraleuropa.

Was hat der Job mit Ihnen gemacht?
Eizenstat: Heute spüre ich eine enorme Genugtuung, gepaart mit Energieverlust. Der Job war sehr schwierig. Die Verhandlungen waren sehr schwierig, zeitaufwändig und emotionsgeladen. Sie waren politisch enorm aufgeladen. Die Parteien sprangen einander ja dauernd an die Kehle.

In der Schweizer Presse wurden Sie oft mit heftigen Worten angegriffen. Haben Sie das überhaupt beachtet?
Eizenstat: Natürlich. Es gab viel zu viel Megafon-Diplomatie, auf beiden Seiten. Wir standen mittendrin und haben versucht, Frieden zu stiften zwischen jüdischen Organisationen, Klägern und Schweizer Banken. Es war immer unser Ziel, Sanktionen zu verhindern. Wir versuchten, die UBS-Bankverein-Fusion durchzubringen. Friedenstifter haben eine unglückliche Position. Sie werden von beiden Seiten beschossen. Niemand schätzt ihre Arbeit.

Vor allem nach dem ersten Eizenstat-Report fielen harsche Worte. Hat Sie das persönlich getroffen?
Eizenstat: Ich gab stets mein Bestes, moderat zu beleiben. Senator D’Amato war laut genug. Ich sah mich als Katalysator für eine Einigung. Es lag mir daran, die positiven Dinge zu betonen, die die Schweiz während und nach dem Krieg unternommen hatte. Die Schweiz liess im Zweiten Weltkrieg ja mehr Flüchtlinge ins Land als die USA.

Sie griffen die Schweiz aber an, deren Neutralität hätte den Krieg verlängert.
Eizenstat: Ich wollte ehrlich sein und auch die problematischen Aspekte ansprechen. Unser Bericht erzeugte Bestürzung, weil die Schweiz sich selbst als Land sah, dessen Neutralität den Alliierten half.

Und das war nicht so?
Eizenstat: In diesem speziellen Fall kam es zu einem Kollision zwischen historischer Neutralität und dem, was die Alliierten vorschlugen. Wir verstehen – und haben das auch gesagt –, dass die Schweiz umgeben war von Nazideutschland. Sie hatte wenige Möglichkeiten. Das Problem kam gegen Ende des Krieges, als die Transaktionen mit Deutschland weiter gingen, obwohl von Deutschland keine Gefahr mehr ausging. Nach dem Krieg hat die Schweiz dann bloss einen kleinen Teil der Gelder herausgerückt.

Sie tönen heute moderater.
Eizenstat: Ich habe es immer bedauert, dass Teile meines Berichts missverstanden wurden. Ich wollte Fakten anhäufen, nicht anklagen. Später hat der Bergier-Bericht alles verifiziert, was wir über das Gold sagten.

Der Vorwurf, die Schweiz hätte den Krieg verlängert, stiess besonders auf.
Eizenstat: Wir haben ja bloss amerikanische Offizielle aus jener Zeit zitiert, zum Beispiel, was der Aussenminister sagte. Wir haben nie gesagt, die Schweiz trüge alleine die Schuld. Es war die Kombination aller neutraler Staaten. Wir wiederholten Warnungen, die schon während des Krieges fielen. Dass die Schweizer dachten, wir beschuldigten ausschliesslich sie, war ein grosses Missverständnis. Das bedauere ich. I’m sorry.

Das sorry kommt spät. Sie haben die Schweiz für immer verändert.
Eizenstat: Es ist schmerzlich, sich mit der Vergangenheit zu befassen. Die Deutschen hattens bereits gemacht. Die Schweiz bis dahin nicht. In Deutschland lösten wir keinen, in der Schweiz einen riesigen Schock aus.

Wie beurteilen Sie rückblickend Ihre schweizerischen Verhandlungspartner?
Eizenstat: Die Schweiz kann sich sehr glücklich schätzen, Botschafter Alfred Defago in Washington gehabt zu haben. Er hat Erstaunliches geleistet. Er versteht Amerika. Er versteht die jüdische Gemeinschaft und er weiss, was für sie der Holocaust bedeutet. Gleichzeitig hat er sich stark für die Schweizer Interessen eingesetzt. Defagos Leistung war hervorragend.

Dann sind Sie mit der Schweiz zufrieden?
Eizenstat: Enttäuscht bin ich über die Schweizer Regierung. Sie hatte sich weit weniger engagiert als die deutsche, österreichische oder französische Regierung. Diese Länder haben wichtige politische und finanzielle Beiträge zum Erfolg der Verhandlungen geleistet. Die Position der Schweizer Regierung hingegen war zurückhaltend. Sie überliess die Verteidigung den Banken. Abgesehen von den rund 100 Millionen Dollar, die die Nationalbank in den humanitären Fond einzahlte, gab es kein echtes Engagement. Ich habe mehrmals versucht, die Regierung direkter zu involvieren.

Warum waren Sie erfolglos?
Eizenstat: Weil in der Schweiz die öffentliche Meinung so negativ war.

Die USA waren nicht unschuldig.
Eizenstat: Wäre die Temperatur auf dieser Seite des Atlantiks niedriger gewesen wäre, wäre sie in der Schweiz viel niedriger gewesen. Wenn wir nur die Volcker-Kommission und meinen Bericht gehabt hätten, nicht aber die Sammelklagen sowie die Vorwürfe und Gegenvorwürfe und Kommentare im Kongress, wäre alles viel ruhiger gewesen. Anderseits bezweifle ich, ob wir ohne Sammelklagen denselben Betrag hätten sicherstellen können.

Sie persönlich sind verantwortlich, dass sich die Öffentlichkeit nochmals mit dem Holocaust befasst hatte. Warum war es so lange ruhig?
Eizenstat: Wir fokussierten auf die Sowjetunion und den Kalten Krieg. Erst nach dessen Ende richtete sich unsere Energie auf die unfertigen Geschäfte des Zweiten Weltkrieges. Überdies waren endlich vorher klassifizierte Dokumente zugänglich. Leute aus Zentraleuropa konnten in den Westen reisen und Forderungen stellen. Nachdem die Überlebenden fünfzig Jahre damit verbrachten, ihre Leben neu zu ordnen, wollten sie nun ihre Grundstücke und Bankkonten zurück. Hinzu kommt noch der Millennium-Faktor. Wir wollten das Jahrtausend abschliessen und mussten dessen schlimmste Aspekte regeln.

Inwiefern beeinflusste die Schweiz den Prozess?
Eizenstat: Kasper Villigers emotionsgeladene Rede von 1995 über den J-Stempel im Pass hatte einen auslösenden Charakter, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs nochmals zu betrachten. Ein anderer Auslöser war das Buch von Jacques Picard «Die Schweiz und die Juden 1933-1945».

Verdient die Schweiz die Anklagen?
Eizenstat: Das Schweizer Verhalten während des Zweiten Weltkriegs war nicht makellos. Aber die Schweiz kam deswegen in den USA zu schlecht weg. Die positiven Dinge, die die Schweiz während des Krieges geleistet hatte, wurden zu wenig gewürdigt.

Was war denn positiv?
Eizenstat: Die Schweiz war während des Zweiten Weltkrieges die einzige Demokratie Europas. Sicher: Es ist tragisch, die Schweiz hatte Zehntausende von Flüchtlingen abgewiesen. Aber: Die Schweiz hatte auch Zehntausende von Flüchtlingen aufgenommen, zu einem Zeitpunkt, als die USA und Kanada strikte Quoten hatten. Der Krieg war nicht schwarz und weiss. Neutralität war ebenfalls nicht schwarz und weiss. Sie war nicht unangefochten gut. Und sie war nicht unangefochten schlecht. Das zu akzeptieren, war für die Schweiz wohl schwierig.

Warum übernahmen Sie den Job?
Eizenstat: Lassen Sie mich dazu etwas sagen: Ich bin ein jüdischer Amerikaner und ich habe mich stets bemüht, fair und objektiv zu sein. Dabei handelte ich als Mitglied der US-Regierung. Ich habe immer deren Linie vertreten, nicht meine eigene, vom religiösen Hintergrund bestimmten Linie.

Wie umgingen Sie da persönliche Konflikte?
Eizenstat: Es gab nur einen Zielkonflikt: Wir wollten, dass alle Opfer zu ihrem Recht kommen. Andererseits wollten wir gute Beziehungen beibehalten zur Schweiz, Deutschland, Frankreich und Österreich. Das erzeugte eine schwierige Atmosphäre. Es lag an mir, die Balance zu halten.

Haben Sie im Nachhinen Verständnis für die heftigen Schweizer Reaktionen?
Eizenstat: Plötzlich lagen die Schweiz und Nazideutschland in einem Topf. Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt als das.

Wo liegt denn die Wahrheit?
Eizenstat: Hat die Schweiz durch den Kauf von Gold und den Transfer harter Währung den Nazis geholfen? Ja, unter schwierigen Umständen. Bei den Goldtransaktionen hatte die Neutralität echte Konsequenzen. Deshalb hatten die Alliierten ab 1943 gesagt: handelt nicht mit diesem Gold, es ist gestohlen, es hilft den Deutschen. Ich weiss: Das lässt sich aus mehreren Tausend Meilen Entfernung einfacher sagen. Die Schweiz stand unter enormen Druck. Sie hat versucht, die Türen für die Flüchtlinge offen zu behalten, zumindest zeitweise. Unglücklicherweise hat sie später die Türen geschlossen. Es ist wichtig, dass man bei der Beurteilung die Balance hält. Das Pendel schlug zu stark gegen die Schweiz aus.

Wie konnte das passieren?
Eizenstat: In den USA galt die Schweiz bis vor kurzem als Land der niedlichen Bernhardiner, verschneiter Alpenwipfel und makelloser Demokratie. Als das Bild davon abwich, kams zu einem enormen Schock.

Sie waren als US-Unterhändler in Kyoto und haben mitgeholfen, das Klimaabkommen ausgearbeitet. Wie reagieren Sie auf den Entscheid von Präsident Bush, Kyoto nicht zu ratifizieren?
Eizenstat: Es beunruhigt mich sehr. Sicher, das Kyoto-Abkommen ist nicht perfekt. Aber es war der beste Prozess, den wir hatten. Die Kombination aus Kyoto-Nein und Bushs Umkehr bei den CO2-Standards ist extrem unglücklich.

Sie haben als EU-Botschafter der USA gedient und kennen Europa gut. Bushs Umweltpolitik löste einige Spannungen zwischen den USA und Europa aus.
Eizenstat: Mehr als «einige Spannungen». Es ist schade, dass wir den Kyoto-Prozess abbrechen. Wir sind übrigens nicht die einzigen. Kein einziges europäisches Land hat Kyoto bisher ratifiziert. Es wird dort viel gesprochen und wenig gehandelt.

Ist Kyoto tot?
Eizenstat: Unter der jetzigen US-Regierung? Ja. Die Frage ist, ob eine zukünftige Regierung den Prozess wieder beleben kann. Es hängt davon ab, wieviel Schaden angerichtet wird. Bei den nächsten US-Wahlen wird die Umweltpolitik bestimmt ausschlaggebend sein.

Wahrscheinlich zum Nachteil der Republikaner. Sie arbeiten erstmals für einen republikanischen Präsident.
Eizenstat: (lacht) … Ein Leben lang wählte ich demokratisch. Ich habe stets versucht, so überparteilich wie möglich zu wirken.

Verraten Sie nicht Ihre Partei, wenn Sie jetzt den Republikaner dienen?
Eizenstat: Sich für Holocaust-Überlebende einzusetzen, kennt keine Parteigrenzen. Ich bin stolz, für diese Regierung zu arbeiten, für diesen speziellen Bereich.

Ein republikanischer Parlamentarier nannte sie einst den «besten Beamten des Jahrhunderts», im «Economist» wurden Sie als «nationalen Schatz» gerühmt. Haben Sie das verdient?
Eizenstat: Ich sage nicht, ich hätte es verdient.

Immerhin arbeiten Sie mittlerweile für den vierten US-Präsidenten.
Eizenstat: Ich versuche stets, den bestmöglichen Job zu machen. Ich arbeite hart und bin fair zu Republikanern wie Demokraten. Am Morgen bin ich als Erster hier und am Abend gehe ich als Letzter. Ich bin froh, wirklichen Herausforderungen begegnet zu sein, nicht nur Kyoto. Da waren die Iran-Sanktionen, das Helms-Burton-Gesetz, die Holocaust-Fragen.

Sie haben Skandale vermieden und kommen mit allen zurecht. Wie geht das?
Eizenstat: In Washington kommt weit, wer fair und nie dogmatisch ist, zuhört und nicht negativ über andere spricht.

Nicht einfach in einer Stadt, wo alle so erpicht sind, im Rampenlicht zu stehen.
Eizenstat: Wer die Öffentlichkeit nicht sucht, gerät eher in die Schlagzeilen. Mir sind Leistung wichtiger als Medienpräsenz. Wer in Washington den Kopf zu sehr aus dem Graben steckt, auf den wird geschossen.