Vor dreissig eine Firma gründen

Die Yuppies können sich zur Ruhe setzen. Denn ihre würdigen Nachfolger sind da - die Yetties.

Von Peter Hossli

Beinahe zwei Jahrzehnte überlebten gelhaarige, raff- und konsumgierige «Young Urban Professionals», die Yuppies, alle Angriffe. Nun werden sie von «Young Entrepreneurial Technocrats», den Internet-Kapitalisten, überholt: junge, unternehmerische Geister, denen technische Einrichtungen heilig sind. Internet, Mobiltelefon, Handheldcomputer, Apple Cube: Sie gehen damit so spielend um wie einst ihre Väter und Mütter mit Rasenmäher und Stabmixer. Das verinnerlichte Ziel der Yetties: noch vor 30 eine Firma zu gründen.

Erstmals beschrieb sie der Journalist Sam Sifton, Redaktor beim zeitgeistigen US-Monatsmagazin «Talk». Dort veröffentlichte der 34-Jährige im März einen Artikel mit Titel «Meet the Yetties». Den hat er jetzt auf 151 Buchseiten gestreckt. Sein «Field Guide to The Yettie» ist seit letzter Woche in den USA auf dem Markt.

Sifton – «ich bin kein Yettie» – schildert ein neues kulturelles Phänomen. «Der Yettie wird so epocheprägend sein wie der Hippie und der Yuppie», sagt der Autor in einem Telefoninterview. «Auf ewig haben die Yetties unsere Gesellschaft verändert.» Sie würden bestimmen, wie gearbeitet werde, wie man sich anziehe, wie Menschen miteinander umgingen, wie man Geschäft abwickle – und vor allem, wie Risiken belohnt und bestraft würden.

Der Hang zum Luxus ist auf den ersten Blick nicht erkennbar

«Entweder sie werden sehr schnell sehr reich», sagt Sifton, oder, wie die jüngsten Kursstürze an den globalen Aktienbörsen zeigen, «sie verlieren sehr schnell sehr viel.» Trotzdem muss man sich um Yetties keine Sorgen machen: Ständige Auf und Abs gehören zu ihnen wie breite Hosenträger zu Yuppies.

Die Techno-Freaks sind blitzgescheit, arbeiten für grosse Technologiefirmen wie Microsoft und Oracle oder für kleine Start-ups, die hoffen, von Microsoft oder Oracle geschluckt zu werden. Sie sind rund um die Uhr in der Firma. Ständig kleben ihre Augen an den Flimmerschirmen. Zur Erholung lenken die Technophilen 6000-Dollar-Bikes durch die Wälder. Zum Kochen fehlt ihnen die Zeit. Yetties speisen spätabends in teuren Restaurants oder bestellen das Essen – in der Regel Gesundes, etwa Sushi – nach Hause oder ins Büro.

Entdecker Sam Sifton will die Yetties zuerst in schicken Bars in San Francisco – beim Trinken von 200 Dollar teuren Weinen – und in dessen südlichen Vororten im Silicon Valley ausgemacht haben. Ebenso verbreitet ist die Gattung in New York, hauptsächlich in Manhattan, der so genannten Silicon Alley. Wegen der dort explodierenden Mietpreise für Büroflächen vermehrt sie sich aber auch rasch in Brooklyn und Queens.

Ihr Hang zum Luxus, sagt Autor Sifton, ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Produkte, die Yetties kaufen, sehen spottbillig aus, sind aber sehr teuer. Männer wie Frauen tragen das Haar eher kurz – geschnitten vom angesagtesten Coiffeur. Kaufen ihre informellen Kleider online bei Banana Republic oder dem Outdoor-Laden. Wichtiges passt in Hängetaschen. Rein packen sie wirtschaftlich ausgerichtete Computer- und Internetmagazine, etwa «The Industry Standard» oder «Fast Company», dazu das «Wall Street Journal». Fehlen darf der Frisbee genauso wenig wie zwölf verschiedene Computerkabel. Ebenfalls mit dabei sind Augengläser, denn die Monitore trüben die Sehschärfe.

Möbel besitzen sie kaum, selbst wenn die Wohnung mit zunehmendem Erfolg rapide wächst. Wer hat schon die Zeit, stilvolle Stühle einzukaufen. Ausserdem sieht der Yettie keinen Sinn in Objekten, die unbenutzt zu Hause rumstehen. Denn sein Arbeitstag hat 24 Stunden, die Woche 7, das Jahr 365 Tage. Das Yettie-Mantra: 24/7/365.

Weil Zeit zu kostbar ist, um sie im Grossstadtstau oder bei der Parkplatzsuche zu verlieren, geht der Yettie zu Fuss oder fährt, wenn er denn mal Musse hat, Taxi. Beliebt ist das Trottinett. Flughäfen sind ein bevorzugtes Tummelfeld. Wer ständig reist, telefoniert drahtlos. E-Mails rufen die Technokraten per global funktionierendes Handy und Handheldcomputer ab. Hauptsache, man ist erreichbar – jederzeit, überall, pausenlos.

Über Geld redet der Yettie im Gegensatz zum Yuppie nicht

Mit Mühe dürften Aussenstehende ihre Sprache verstehen. Als ARE – «acronym rich environment» – beschreibt Sifton die Lebensumgebung der Yetties, reich an Abkürzungen. Eine URL ist eine Internetadresse, ein IPO der Börsengang. Weniger vertraut, aber genauso häufig fallen etwa ASAFP – «as soon as fucking possible», so schnell wie möglich; ASL, lautet die Standardfrage – «age? sex? locaction?», Alter? Geschlecht? Wo lebst du?; CLM – «career limiting move», ein beruflicher Missgriff; IRL – «in real life»; oder RFR – «really fucking rich».

Über Geld aber redet der Yettie nicht. «Das unterscheidet ihn vom Yuppie», sagt Sifton, «der musste noch zelebrieren, wie viel er hatte.» Yetties verstehen Wohlstand als Normalfall. Wer hart arbeitet, überlegt entscheidet und hartnäckig versucht, etwas zu erreichen, der hat gemäss Yettie-Ideologie ein fast natürliches Recht auf reichlich Kohle.

Politik ist für Yetties deshalb selten ein Thema. «Sie sind nur an der boomenden Wirtschaft interessiert», sagt Sifton, «und die sichert weder Bush noch Gore, das besorgt Alan Greenspan.» Nicht der Präsident, der Chef der US-Notenbank entscheidet über Sein oder Nichtsein.

Jüngst erklärten die US-Medien den Yettie bereits für tot. Seit April halbierten sich die Kurse an der Technologiebörse Nasdaq. Hunderte Internetfirmen mussten schliessen. Etliche Tausend ehemaliger Dotcomer befinden sich auf Arbeitsuche. Ein Trend, vorbei, bevor er richtig wahrgenommen wurde? Keineswegs, sagt Sifton. «Je flatterhafter der Alltag, umso zufriedener der Yettie.»