Von Kopf bis Fuss auf Diebe eingestellt

Die Bewohner von Florence, einem krisengeschüttelten Industriestädtchen am Fusse der Rocky Mountains im US-Bundesstaat Colorado, glaubten an die Zukunft: Sie sammelten Geld und schenkten dem Staat ein Stück Land zum Bau von vier Gefängnissen. Die Investition hat sich gelohnt.

Von Peter Hossli (Text) und Robert Huber (Foto)

florence.gifNur wer von Süden hangabwärts ins bescheidene Städtchen Florence einfährt, bemerkt dessen Wahrzeichen: einen bleichen, bauchigen Turm, der rund 3000 Sträflinge mit Wasser versorgt. Dahinter, in der Talsenke, erheben sich vier ultramoderne Kerker.

Sonst gleicht Florence den vielen anderen Orten in Amerikas Westen. An der Mainstreet reihen sich Geschäft an Bar an Kino an Bar an Geschäft. Hinter den Steuerrädern der obligaten Geländewagen und Pick-up-Trucks hocken gegerbte Kerle mit Cowboyhüten. Nichts weist auf den vitalen Entscheid hin, der Florence vor neun Jahren für immer veränderte.

Kasino, Gefängnis – oder finanzieller Kollaps? Diese Frage stellt sich manche amerikanische Kleinstadt abseits der mächtigen Zentren. Florence, einst ein 2000-Seelen-Kaff am Fusse der Rocky Mountains, entschied sich für den Knast. Aus triftigen Gründen. Kasinos ziehen Trinker und Gaukler, Huren und Halunken an. Steht stattdessen ein Zuchthaus am Stadtrand, bleibt Unliebsames sicher hinter hohen Mauern. Die Rendite stimmt trotzdem. Prächtig blüht die einst karge, staubige und unwirtliche Stadt.

Wen wunderts, dreizehn Gefängnisse stehen auf dem Gemeindegebiet von Florence und Cañon City, dem Städteverbund in Colorados Süden. In Florence baute die US-Regierung 1991 vier ultramoderne Strafanstalten. In Cañon City betreibt der Staat Colorado seit Jahrzehnten deren neun, eine exklusiv für gesetzesbrüchige Frauen. Schätzungweise 800 Millionen Dollar jährlich steuern die Kerker dem regionalen Bruttosozialprodukt bei. Mittlerweile lebt die Gegend fast ausschliesslich von der Bewirtschaftung der rund 8400 Eingesperrten.

Zum Beispiel die polnische Einwandererfamilie Bugajski. Sämtliche vierzig Zimmer ihres «Super Motel 8» sind an diesem warmen Maiwochenende belegt. Der Standortvorteil – das Motel ist nur ein paar hundert Meter vom Eingangstor zum Gefängniskomplex von Florence entfernt – lockt die Angehörigen der Insassen.

Freitag und Samstag sind Besuchstage. «Allein darum haben wir das Motel vor drei Jahren gekauft», sagt der kräftig gebaute und ruhig sprechende Geschäftsführer Robert Bugajski, dessen Familie einst aus Polen in die USA einwanderte. Zusammen mit den Eltern, dem Bruder und der Schwester führt Robert nun eine der beiden Herbergen von Florence. «Der Umsatz ist garantiert, solange es viele Gefangene hat», sagt er. «Derzeit läufts bestens.»

Ein normales Hotel ist das «Super 8» nicht. Zuweilen schleiche schon mal ein Häftling aus dem zaunlosen offenen Lager in einen der Räume im ersten Stock – um dort Gattin oder Freundin zu treffen. Ist die Sache erledigt, kehren sie meistens wieder in ihr Gefängnis zurück. «Irgendwie habe ich Verständnis für die Burschen», sagt der Motel-Manager. Nicht so die Gesetzeshüter. Sie haben schon einige Liebeshungrige bei den Bugajskis in Handschellen abgeholt. Statt einiger Stunden Zärtlichkeit gab es ausgedehnte Isolationshaft.

Die Ölquellen versiegten, die Stadt darbte

Noch vor fünfzehn Jahren darbte Florence. Längst versiegt waren die Quellen auf dem Ölfeld, das zu Beginn des Jahrhunderts das zweitgrösste der USA gewesen war. Der Kohleabbau wurde durch billige Kohle aus Kanada schwer in Bedrängnis gebracht, und die Konjunktur der Zementfabrik verlief parallel zur manisch-depressiv veranlagten globalen Bauwirtschaft. Entsprechend spärlich und unregelmässig tröpfelten die Erträge aus den konjunkturabhängigen Kohle- und Zementmühlen in die Stadtkasse. Ausserdem stanken die veralteten Fabriken zum Himmel. Junge mochten nicht mehr im Dreck und Rost schuften. Als dann der Highway 50, der zuvor mitten durch die Stadt verlief, sieben Meilen nördlich neu gebaut wurde, stand Florence vor dem Ende. Viele zogen weg. Es drohte zur Geisterstadt zu werden.

Die Umkehr brachte 1985 eine blutige Knacki-Rebellion im bundesstaatlichen Hochsicherheitstrakt von Marion, Illinois. Zwei Wärter starben, der Knast wurde geschlossen. Schleunigst musste ein neuer Bunker her. Ein Ort, wo die Schlimmen der Schlimmen ewig bleiben. Florence bekam Wind von den Plänen und wurde aktiv.

Als «rasch wachsende, umweltfreundliche Industrie» bezeichnet Darrell Lindsey, Direktor der lokalen Handelskammer, das Geschäft mit der Strafe. Eine Volksabstimmung ergab ein Resultat wie einst in der DDR: 99 Prozent für, ein Prozent gegen das Gefängnis. Sofort begann die Stadt Geld zu sammeln. Für 130’000 Dollar bot eine Farmerin ein geeignetes Stück Land zum Kauf.

Hausfrauen buken Kuchen. Kinder leerten Sparschweine. Unternehmer schickten Schecks. Alle spielten Bingo. Innert Monatsfrist hatte die zukunftsgläubige Gemeinde den Betrag beisammen. Sie kaufte das Baugelände – und schenkte es der US-Regierung. Die fackelte nicht lange und liess auf dem öden Grasland, wo zuvor Ziegen und Rinder weideten und Klapperschlangen Hasen jagten, Gefängnisse mit 3000 Zellen erstellen. Die örtliche Post schuf vier neue Postleitzahlen, eine pro Gefängnis.

Die 1887 gegründete Siedlung zog nun rasch die Aufmerksamkeit auf sich. Journalisten greller Magazine und Fernsehstationen schauten öfter vorbei. Meist berichteten sie über notorische Kriminelle, die sich hier niederlassen mussten: Theodore Kaczynski etwa, der als so genannter Unabomber während achtzehn Jahren in einer Hütte hauste und mit selbst gebastelten Paketbomben den Technologiewahn zu stoppen trachtete, bevor er 1996 gefasst wurde. Oder Yousef Ramzi, der eine Bombe im New Yorker World Trade Center legte. Timothy McVeigh und Jim Nichols, die beim Anschlag auf ein Verwaltungsgebäude in Oklahoma City 168 Menschen töteten, der Vater von Hollywoodstar Woody Harrelson, Charles Harrelson, der als Auftragskiller einen Richter umlegte und im November 1963 angeblich in den Mord an Präsident John F. Kennedy involviert war.

Es duftet nach Frühling, aus dem Knast dröhnt Rockmusik

Der Kerker mit den bösen Buben und den famosen Schurken verstärkt die absurde Stimmung in Florence. Gewaltig wölbt sich der Himmel über dem Städtchen. Im Norden thront der Pikes Peak, einer der höchsten Berge Colorados. Im Westen erheben sich majestätisch die Rocky Mountains. Ein umwerfender Anblick. Grillen zirpen. Vögel zwitschern. Die klare Luft riecht nach Frühling. Aus dem ein paar hundert Meter entfernten Gefängniskomplex dröhnt sehr laute Rockmusik.

An einem der landschaftlich prächtigsten Orte Amerikas, wo ein Händedruck mehr bedeutet als unterzeichnete Verträge, hocken Mörder, Vergewaltiger und Anführer von Strassenbanden. «Zum Glück für uns», sagt Darrell Lindsey im Büro der Handelskammer. An der Wand hängen Bilder vom Spatenstich und zwei lange Stücke des rasierklingenscharfen Stacheldrahts, von dem mehrere tausend Kilometer die vier Gefängnisse umzäunen.

Lindsey, der dreissig Jahre als Pöstler von Florence arbeitete, war massgeblich daran beteiligt, den Zuchthauskomplex hierher zu bringen. «Unsere Stadt gäbe es sonst nicht mehr», sagt er. Seine Familie profitiert mit. Ein Sohn arbeitet als Koch im staatlichen Gefängnis, eine Tochter als Buchhalterin. Der zweite Sohn ist Staatsanwalt, eine andere Tochter heiratete einen FBI-Agenten. «Mein Schwiegersohn fasst Kriminelle, mein Sohn verfolgt sie strafrechtlich und versorgt sie im Gefängnis, dort werden sie vom zweiten Sohn bekocht und von der Tochter verwaltet», sagt er.

Kritische Stimmen sind selten in Florence. «Weniger Geld als erwartet fliesst zurück», sagt das pensionierte Paar Jeno Cortesi und Mildred Ericksen bei Eiern, Speck und dünnem Kaffee im Frühstückslokal «Golden Pheasant». Weil es für die tausend neuen Gefängnisangestellten nicht genügend Wohnungen gab, wuchs die Stadt langsamer als erhofft. «Doch», sagt Wirtschaftsförderer Lindsey, «jetzt geht es rasant aufwärts.» So eröffnet die Fast-Food-Kette Pizza Hut demnächst eine Filiale. Die sechste Bar und das erste Steak House sind geplant. Das lokale Kino wird restauriert. Ein neues chinesisches Restaurant bedient anspruchsvollere Kundschaft. Der bisher neunlöchrige Golfplatz erhält zusätzliche Greens. Land- und Wohnungspreise explodieren. Wasser ist rar geworden. In den vergangenen drei Jahren entstanden fünfhundert zusätzliche Häuser. Innert zehn Jahren wuchs die Bevölkerungszahl von 2800 auf über 6000. Man verdient durchschnittlich 35 Prozent mehr als früher – und muss doppelt so viel Verkehr ertragen. Zogen vor dem Gefängnisbau Schulabgänger mangels Jobs weg, heuern sie nun meist beim Gefängnis an – als Wächterinnen, Lehrer, Ingenieure, Zahnärztinnen oder Sekretäre.

Und Florence ist multikulturell geworden. Die US-Regierung verpflichtete sich gesetzlich, Minderheiten zu fördern. Lebten zuvor in Florence hauptsächlich Deutsch- und Englischstämmige, zogen vermehrt Schwarze, Latinos und Asiaten hierher. «Bis ich 18 war, kannte ich Schwarze nur aus dem Fernsehen», sagt der 29-jährige Steve Lindsey. Er wuchs in Florence auf und verdingt sich seit fünf Jahren als Aufseher aller Köche im staatlichen Gefängniskomplex. «Ohne Zuchthaus wäre ich längst weg», sagt Lindsey. Der zweifache Familienvater macht gutes Geld. Pro Jahr verdient er 42’000 Dollar – um denselben Lebensstandard in New York City zu halten, müsste er dort nahezu 100’000 Dollar nach Hause tragen.

Stadt und Knast harmonieren. Jahrelang pilotierte Jay Gutierrez teure Helikopter der US-Armee. Unzufrieden mit dem allzu knappen Lohn, drehte der Hüne mit den sanften und gutmütigen Augen ein Ding. Zusammen mit befreundeten Piloten stahl er sechs Drehflügler und verkaufte sie auf dem Schwarzmarkt. Das FBI schnappte ihn. Er gestand und fasste 24 Monate. Reichlich Zeit, in Florence ein zerfallenes Kino der Stummfilmzeit zu restaurieren. Jeweils sonntags werden der Heliklauer und acht Mitinsassen von Leuten des lokalen Kunstklubs abgeholt und ins 1923 erstellte «Rialto»-Kino an die Mainstreet gefahren. Hier schrubbt der reuige Dieb abblätternde Verputz von den Wänden und installiert elektrische Kabel. Freiwillig mittun darf, wer nicht wegen Waffengewalt sitzt. «Etwas an die Gesellschaft zurückgeben» will der Pilot, der wie alle anderen Häftlinge grüne Arbeitshosen und ein weisses T-Shirt trägt. «Ausserdem markiert jeder Sonntag im ‘Rialto’ eine Woche weniger im Knast.»

Als «höchst fragwürdig» bezeichnet die Leiterin des Kinoprojekts, Antiquitätenhändlerin Peg Piltingsrud, die US-Praxis, selbst leichte Drogendelinquenten für fünf oder gar mehr Jahre wegzusperren – nichtsdestotrotz beansprucht Piltingsrud die Gratisarbeit dieser Häftlinge. Einen Widerspruch mag sie darin nicht sehen. «Einmal wöchentlich durchkreuzen wir ihren öden Alltag», sagt sie. Unentgeltlich. Zwar stünden den Häftlingen 12,5 Cents die Stunde zu. «Sie verzichteten jedoch auf die unwürdige Bezahlung», sagt Piltingsrud.

Aber es gibt auch die andere Seite der Medaille. Als «Polizeistaat» bezeichnete der US-Schriftsteller Gore Vidal vergangenes Jahr Amerika im «Spiegel». Scharf klagte Amnesty International letztes Jahr die harsche Gefängnispraxis der USA an. Zu Recht. Jeder 150. Amerikaner sitzt. In den letzten zwölf Jahren verdoppelte sich die Gefängnisbevölkerung auf 1,8 Millionen. Das sind sechsmal mehr als in ganz Europa. Jährlich kommen 76’000 dazu. Bei Kosten von 20’000 Dollar pro Jahr ist das eine jährliche Umsatzsteigerung von 1,5 Milliarden Dollar.

Kalifornien gibt mehr für Gefängnisse als für Schulen aus. Keine andere Gewerkschaft wächst in Kalifornien rascher als jene der Gefängniswärter.

In Colorado sparen die Häftlinge dem Staat sogar Geld. Nicht einen Steuerdollar wirft Colorado für seine Knäste auf. Dank schlecht bezahlter Gefängnisarbeit sind sie selbst tragend und schreiben gar ein Plus. Nach Abzug aller Kosten kürzt jeder Insasse den Haushalt Colorados jährlich um 5000 Dollar. Bei rund 16’000 Zuchthäuslern entspricht das 80 Millionen Dollar. Ein Schweizer Häftling dagegen kostet täglich 300, einer mit Sonderbewachung gar 700 Franken.

Die Knastindustrie wirft reichlich Gewinn ab

In Colorado zimmern Kriminelle alle Möbel für staatliche Universitäten und Regierungsämter – für 1.50 Dollar Lohn pro Tag, weniger noch als Näherinnen in Freihandelszonen. Ebenso billig fertigen sie in Cañon City alle Nummernschilder Colorados oder Handschuhe für die Polizei und montieren neue Computer für Beamte. Die industriellen Milch- und Gemüsefarmen, die Flaggen- und Bettwäscheschneider und die Sattler werfen gar reichlich Gewinn ab. Weil eingesperrte Männer so Kosten sparend arbeiten, sollen nun vermehrt auch inhaftierte Frauen in die Gefängnisindustrie einbezogen werden. Bei ihnen stand bis anhin Schulung als Zeitvertreib im Vordergrund.

In einem eierschalenfarbenen engen Container flicken zehn Frauen in gelben T-Shirts ausgediente Computer. Es sind Insassinnen des Frauengefängnisses von Cañon City. Monitore und Drucker stapeln sich kahlen Wänden entlang.

Sharon Nelson sitzt seit zehn Jahren wegen Mord. «Ich tötete, weil ich sexuell misshandelt worden bin», sagt die grauhaarige Frau nüchtern. Bleiben müsse sie «noch eine Weile». Die Zeit schlägt sie mit dem Testen und Verbessern alter PC tot.

Für 150 Dollar werden die neuen alten Maschinen samt Bildschirm an lokale Schulen verkauft. Wer fünf nimmt, kriegt einen Drucker umsonst. Nelson ist die Chefin. «Die Girls eignen sich Fertigkeiten an, mit denen sie nach Verbüssung ihrer Strafe hoch bezahlte Jobs erhalten.» Persönlich kämpfe sie für das Recht auf Strafarbeit.

Hauptsächlich «unnütze Tätigkeiten» würden die wegen «oft leichter Verbrechen Eingesperrten» erlernen, entgegnet Kevin Pranes, Leiter des Prison Moratorium Projects. Es sei tragisch, dass hierzulande viele zuerst straffällig werden müssen, um überhaupt arbeiten zu können, sagt Pranes, «man steckt arbeitslose Städter ins Gefängnis, um die arbeitslose Landbevölkerung als Wärter zu beschäftigen.»

Scott Salinski, einst ein professioneller Skirennfahrer, sitzt zehn Jahre. Der athletische Sunnyboy fälschte Schecks, um seine Kokainsucht zu finanzieren. «Ich hätte bei Hasch bleiben sollen», bedauert Salinski, der mehrmals den Hahnenkamm in Kitzbühel runterraste. Jetzt pflückt er organisch angebaute Erdbeeren in einem der 22 Treibhäuser des staatlichen Gefängniskomplexes. Therapiebedürftige Drogensüchtige und Sexualdelinquenten gärtnern hier. Sie pflanzen Blumen, Tomaten und Rotbeeren, die auf den örtlichen Gemüsemärkten verkauft werden. Lokale Restaurants in Florence schmücken ihre Tische mit duftenden Häftlings-Astern. Vom Gärtnern hatte Skifahrer Salinski wenig Ahnung. «Als ich kam, wusste ich bloss, wie man Marihuana anpflanzt», scherzt er, «wenn ich rauskomme, bin ich ein ausgezeichneter Marihuana-Züchter.» Gefangene würden im Knast ein «Handwerk erlernen, das nach der Entlassung dafür sorgt, dass sie nicht zurückkommen», sagt L. D. Hay, der Manager des gefängniseigenen Generalunternehmens, welches den unverdächtigen Namen Juniper Valley trägt. Er lenkt es wie eine gewinnorientierte Firma, samt eigener Website, auf der man alle Produkte der Strafindustrie bestellen kann.

Das Gefängnis brachte mehr Sicherheit in die Gemeinde

Angesichts dieser Marktpräsenz fordert der US-Ökonom Tom Petersik «gleiche Arbeitsrechte für Gefangene». Er will angemessene Löhne für Insassen und setzt sich für deren Recht auf gewerkschaftliche Organisation ein. «Jedes Monopol ist schlecht für die Wirtschaft», sagt er.

Fast 50’000 wilde Pferde galoppieren über die Steppen Amerikas. Zu viele, meint das Bureau of Land Management. Es lässt gelegentlich ein paar Hundert der Mustangs einfangen und nach Cañon City bringen, wo sie von Häftlingen zu braven Reittieren trainiert werden. Für bescheidene 350 Dollar können Private ein Tier kaufen.

Der Anblick der 1400 Holsteiner-Kühe auf dem Gefängnisgelände von Cañon City erinnert an eine Kolchose. Tag für Tag produzieren sie 27’000 Kilogramm Milch, gemolken von Sträflingen, die in dunklen Gummistiefeln durch den Mist waten. Ein Viertel der Milch trinken die Häftlinge selbst, der Rest fliesst in den regulären amerikanischen Milchsee und endet in Frühstücksflocken oder, vermischt mit brauner Brühe, in Kaffeetassen von Florence und Cañon City.

Gefängnis und Stadt arbeiten gut zusammen. So stellt die Schule Lehrerinnen, die Insassen unterrichten. Im Gegenzug begutachtete das Einsatzkommando der Anstalt das Sicherheitsdispositiv der Highschool. Sollten wie vor Jahresfrist in Littleton bei Denver schiesswütige Schüler auf Kameraden ballern, wären FBI-Agenten sofort zur Stelle.

«Das Gefängnis brachte mehr Sicherheit in die Gemeinde», sagt Rektor John Merriam. Die Kriminalität sei gesunken. Ausser mit jugendlichen Haschrauchern und Betrunkenen am Steuer habe die Polizei kaum zu tun. «Wer ausbricht, will hier möglichst schnell weg», sagt Rektor Merriam.

Passiert doch etwas, weiss man sich im «Wilden Westen» zu helfen – mit der Waffe in der Hand. «Fantastisch» sei es, «an einem Ort zu leben, wo man sich verteidigen kann – im Ernstfall mit tödlichem Ausgang», sagt die Journalistin Kathleen Walten, die nebenbei Pferde trainiert und Gefangene unterrichtet.

Schwer bewaffnet harrte sie am Fenster aus, als vor zwei Jahren letztmals einer den drei Mann hohen Stacheldraht überwand. Echte Gefahr bestand nicht. Allzu dämlich stellte sich der Flüchtige an. Fünf Tage nach der Flucht telefonierte er an der Tankstelle von Florence. Ein lokaler Cop verhaftete ihn. «Wäre er zu meinem Haus gekommen», sagt Waffennärrin Walten, «hätte ich ihn glatt erschossen.»

Wenn der Gefängnis-Boom in den USA in den nächsten Jahren anhält und weitere Anstalten gebaut werden, möchte auch Florence dabei sein. Platz für zwei weitere Hightech-Knäste gibt es genug auf dem einst dem Staat geschenkten Grundstück. Die Stadtoberen hoffen überdies, das Federal Bureau of Prisons baue dort auch ein Ausbildungszentrum, das alle Gefängnisangestellten der USA während dreier Wochen durchlaufen müssen.

Nonstop würden dann 300 zusätzliche Menschen in Florence leben – und konsumieren.

Das amerikanische Gefängnissystem

Drei verschiedene Gefängnissysteme: das bundesstaatliche (Federal Prisons), das staatliche (State Prisons) und die privaten Gefängnisse. Ins bundesstaatliche Gefängnis muss, wer ein so genanntes Federal crime begangen hat. Das reicht vom Fahren in alkoholisiertem Zustand in einem National Park bis zum Anschlag auf ein bundesstaatliches Gebäude. Auch alle Ausländer, die in den USA kriminell werden, kommen in bundesstaatliche Gefängnisse.

In Florence, Colorado, gibts vier Federal Prisons, die alle einen andern Sicherheitsgrad aufweisen. Im Nachbarort Cañon City stehen neun staatliche Gefängnisse, eines davon für Frauen. In staatlichen Haftanstalten sitzt das Gros aller Gefangenen. Seit ein paar Jahren experimentiert die US-Regierung mit privaten Anstalten. Mittlerweile sind rund sechs Prozent der amerikanischen Gefängnisbevölkerung darin inhaftiert. Zwei an der Börse kotierte Firmen – Corrections Corporation of America und Wackenhut Corrections Corp. – beherbergen 80 Prozent aller privaten Gefangenen. Experten bezweifeln, dass private Gefängnisse dem Staat tatsächlich Geld sparen. Derzeit läuft eine auf fünf Jahre angelegte Studie, in der private und staatliche Gefängnisse hinsichtlich Effizienz und Sicherheit miteinander verglichen werden.