Harry Potter kommt in Teufels Küche

Die Schriftstellerin Joanne Rowling schreibt zurzeit die populärsten Kinderromane - amerikanische Sektierer wollen sie aus religiösen Gründen verbieten.

Von Peter Hossli

Harry Potter macht süchtig. Poof – schon ist der 11-jährige Lockenkopf in verschlungenen Universen, weggezaubert die alltägliche Tristesse. In schaurigschöne Welten lässt der Bursche eintauchen, wer der Fantasie freien Lauf lässt.

Global finden mit Hexerei und Zauberei gespickte Harry-Potter-Kinderbücher reissenden Absatz. Innert Kürze schrieb sich deren schottische Autorin Joanne K. Rowling zum Karl May dieser Tage. Niemand verkauft derzeit besser. Mit gutem Grund. Die Frau schreibt – in vierzehn Sprachen übersetzt – atemberaubend schnell, witzig und fantasievoll spannend. «Star Wars» verkommt daneben zum Ammenmärchen, der Gameboy erlahmt.

Dem riesigen Erfolg steht religiöser Protest entgegen

Schon seit Wochen besetzen die drei ersten Potter-Bände die obersten Plätze der Bestsellerlisten der «New York Times». Kein anderes Buch wird auf Amazon.com öfters bestellt. Kinder schwänzen Mathe, um sich eins zu erstehen. Im Internet chatten sie darüber. Spielberg will verfilmen. Manch schlaflose Nacht hat Potter versüsst. Endlich lesen selbst Lesefaule.

Zu deren Schaden – das meinen in den USA jetzt christliche Eiferer. Die bezaubernde Hexerei entfachte eine giftige Kontroverse. Tausende von Eltern im so genannten Bible Belt, dem ultrareligösen Rest-Amerika zwischen Ost- und Westküste, verbieten Söhnen und Töchtern die heiss geliebte Lektüre. Lehrkräfte in South Carolina oder Minnesota werden angehalten, Rowling sofort vom Lehrplan zu kippen – Potter bedränge den Allmächtigen.

Für das christliche Amerika gibts nur ein spirituelles Wesen, und das ist Gott. Die Kraft der Hexen, Satane und Verwünschungen verschmäht die Kirchenobrigkeit als fauler Zauber. In bisher acht US-Bundesstaaten reichten klerikale Organisationen Beschwerde gegen staatliche Schulen ein, an denen Rowlings Geschichten im Klassenverband gelesen werden. Eine Elternorganisation in Columbia im Bundesstaat South Carolina versucht die Bücher sogar aus Bibliotheken zu verbannen.

Wenig wunderts, die Attacke startete in Colorado, einem der konservativsten Staaten Amerikas. Dort predigten Priester sonntags von der Kanzel, Potters Fantasiewelt untergrabe das Kirchenprimat auf Übernatürliches. «Ein Werk des Teufels» sei Potter, dessen Erfolg «ein Beweis für die satanische Kraft des Bösen», teilt die Vereinigung «Focus on the Family» aus Colorado Springs mit.

Juristisch ist die Angelegenheit pikant. Die Bücherstürmer argumentieren, Potters Zauberkraft sei religiös. US-Gesetze verbieten jedoch gottesfürchtige Inhalte an öffentlichen Schulen. Hatten vor Jahren liberale Kräfte erfolgreich gegen die von Präsident Reagan erwogene Wiedereinführung des Schulgebets gekämpft, wollen Konservative die Rowling-Lektüre nun mit derselben Beweisführung stoppen. Der Magier verleite ausserdem zu Gewalt. In Colorado, wo im Frühling zwei Maturanden gezielt um sich schossen und zwölf Kameraden, einen Lehrer, dann sich selbst töteten, zieht das Argument.

Die Rufe nach Zensur ziehen Erfolge nach sich

Sorgen bereitet der Disput der American Civil Liberties Union (ACLU), der Organisation, die sich dem Schutz der Meinungsfreiheit verschreibt. Rufe nach Zensur, so ein ACLU-Sprecher, nähmen erneut zu. Nicht selten mit Teilerfolgen. So erlag der Ausschuss für Bildungsfragen in South Carolina dem christlichen Druck. Derzeit überprüft das Gremium, ob Harry Potter fürs Schulzimmer geeignet ist.

Das Recht auf Meinungsfreiheit dürfte die Moralhüter vorerst von ihrer Inquisition abbringen. Weiter geht die Debatte um passendes Freizeitvergnügen allemal. Freitags lief in US-Kinos die religiöse Farce «Dogma» an. Darin spielt eine kecke Schauspielerin Gott und ein frecher Schwarzer den bis anhin unbekannten dreizehnten Apostel. Pünktlich zum Filmstart meldeten besorgte Christen «schwere Bedenken» an.