Der Tag im Leben des Saxofonisten

Joshua Redman, 30, gilt als hoch begabter Jazzer. Früher war er ständig auf Tournee, jetzt, zu seinem Glück, noch das halbe Jahr.

Von Peter Hossli

“Mein Alltag ist wenig aufregend, ob ich nun toure oder zu Hause im Mikrowellenherd Resten aufwärme. Unterwegs stehe ich meist vor sechs auf, sitze um sieben im Taxi, um acht im Flugzeug. Wenns hochkommt, bleibt im Hotel der nächsten Stadt eine Stunde. Duschen. Anziehen. Ruhen. Konzentrieren. Dann der Soundcheck. Etwas essen, schliesslich der Gig. Die Nahrungsaufnahme ist für Musiker knifflig. Schlemme ich vor dem Konzert, ermatte ich meist. Esse ich nachher, gehen zwei der fünf Stunden Schlaf verloren. On the Road bin ich sechs Monate, zum Glück nur noch halb so lange wie früher. Die Qualität der Musik litt, deshalb reduzierte ich.

Seit einem Jahr wohnen meine Frau und ich in Sleepy Hollow. Wir kauften uns ein Haus, zwanzig Minuten nördlich von Manhattan, direkt am Hudson River. Dort pflege ich ein einziges Ritual, dafür suchtartig. Täglich die «New York Times» lesen, oft während mehr als einer Stunde. Dazu eine heisse Tasse Kaffee. Göttlich. Als Kind oder Student las ich nie Zeitungen. Inzwischen ist die «Times» für mich als Kalifornier zu einem Hauptgrund geworden, in New York zu leben. Der zweite ist der Jazz. Für Jazzmusiker gibt es New York – und den Rest. Sicher, in Los Angeles kommen gelegentlich talentierte Leute vorbei, so einmal die Woche. In Manhattan treten sie jeden Abend mehrmals auf. Dieser Kitzel regt mich an.

Meine Frau ist New Yorkerin und arbeitet als Marketingleiterin einer Plattenfirma. Sie sagt, sie könnte New York nie verlassen. Ihre Familie lebt hier. Meine Familie ist zerrüttet. Die Mutter zog mich alleine auf. Seltsam, wenn Journalisten nach meinem Vater fragen, dem berühmten Saxofonisten Dewey Redman. Zwischen uns gibts keine Vater-Sohn-Beziehung, hats nie gegeben. Er ist ein Musiker, den ich bewundere, ein guter Kumpel, that’s it. Nicht er, die Mutter schickte mich mit fünf an die Musikschule, gab mir Platten mit indischen und indonesischen Klängen, legte Rock, Punk, Hip Hop auf. Schliesslich wählte ich Jazz, Improvisieren entspricht meinem Naturell.

Morgens stemme ich Gewichte und probe zwei Stunden. Das ist neu. Bis anhin verliess ich mich aufs Talent. Doch Talent haben alle. Ich will gut werden. Obwohl seit sieben Jahren erfolgreich im Business, betreibe ich die Musik erst seit einem Jahr wirklich seriös. Freunde nennen mich den Mann mit den grossen Ohren. Sie sind tatsächlich riesig geraten. Für Jazzer ist ein gutes Gehör notwendig, Teil des Handwerks. Musik soll nie ein Job sein, viel eher Ausdruck, Passion, Freude, zugleich spirituell und emotional. Wenn sich ein Konzert wie Arbeit anfühlt, verliere ich die Lust. Die Inspiration erstarrt. Das Publikum, das zahlt, wird betrogen. Deshalb trete ich weniger auf, gehe ins Kino, statt zu musizieren, schaue fern, vor allem Sport. Ich liebe Basketball, ebenso American Football und Tennis. Inzwischen läuft der Fernseher sogar bei Baseballspielen, was mir Sorge bereitet. Solange ich kein Golf gucke, ists okay.

Ich bin glücklich. Musikalisch mache ich, was ich will. Jedes Stück ist eine Aussage über mich im jeweiligen Moment. Immer. Nie berechnend. Ich entscheide nur künstlerisch. Darüber bin ich stolz. Geld bedeutet nichts. Hingegen geniesse ich den Wohlstand, gebs zu, bin arm aufgewachsen. 18 Jahre lebten meine Mutter und ich in einer Zweizimmerwohnung. Die Miete bezahlte die Sozialhilfe. Wir kauften mit Lebensmittelmarken ein. Ich schlief in der Stube, ein Auto besassen wir nicht. Der Vater kniff. Jetzt besitze ich eine Villa. Musikalische Kompromisse würde ich trotzdem keine eingehen.

Neben Jazz inspiriert mich Politik. Sie widert an und amüsiert. Mich quält die Rassenfrage und die Verteilung des amerikanischen Reichtums. Oft kleistern US-Politiker das Klassenproblem mit Rassenpolemik zu. Bin noch zu bequem, mich persönlich zu engagieren, rede meist bloss. In der Musikindustrie gibts keinen offenen Rassismus. Weil nur das Image zählt, ist die Hautfarbe zentral, besonders im Jazz. Da hab ichs gut, bin gleichzeitig schwarz und weiss.”