MM kommt unter den Hammer

Sie las Marx, Tolstoi und Camus und interessierte sich für Politik: Eine Auktion wirft neues Licht auf das Jahrhundert-Sexsymbol Marilyn Monroe.

Von Peter Hossli

Sie ist die Ikone des 20. Jahrhunderts. Marilyn Monroe. Als blondes Busenwunder und lichtflirrende Kunstfigur geriet die Schauspielerin zur ultimativen Männerfantasie.

In der fleischfarbenen, hautanliegenden Abendrobe sang MM das erotischste aller Geburtstagsständchen für Präsident John F. Kennedy. 300 Biografien gibts in Dutzende Sprachen übersetzt. Monroe inspirierte Drag Queens, Elton John und Andy Warhol. Geheimnisumwittert starb sie 1962 – nach wie vor streiten Verehrer und skurrile Verschwörungtheoretiker, ob durch Suizid oder ein ausgeklügeltes Mafia- und FBI-Mordkomplott. Jüngst wählte der «Playboy» MM postum zur grössten Sexbombe aller Zeiten.

Nun gerät sie unter den Hammer. Gnadenlos wird verramscht, was von der unnatürlichsten Natürlichkeit aller US-Popfiguren noch übrig ist. 1000 Dinge – Kleider, Bücher, Fotos, Schuhe, Hundemarken – stehen zum Verkauf. Sie lagerten seit Monroes Tod unangetastet in einem fensterlosen Kabäuschen in New York. Das Auktionshaus Christie’s bietet am 27. und 28. Oktober all das feil.

Die Aufsehen erregende Auktion wirft ein neues Licht auf die berühmteste Blondine der Welt, die einst Diamanten als der Mädchen beste Freunde besang. Zu erstehen gibts den Diamantring, den ihr Baseball-Legende und Ehemann Nummer 2, Joe DiMaggio, 1954 zu Hochzeit schenkte. Dazu Glitzerfummel, flauschige Pelze und knappe Négligés, Sofas, Stöckelschuhe oder Hochwasserhosen von Monroes Lieblingsdesigner Pucci. Diese Dinge überraschen nicht, Accessoires einer Luxusanbeterin, die den Stil der Fünfziger und frühen Sechziger prägte.

Aufhorchen lässt jedoch die erlesene Büchersammlung der Monroe – die Blondine las neben Kochrezepten vornehmlich Anspruchsvolles.

Zum Verkauf steht etwa eine signierte Erstausgabe von Jack Kerouacs Beatnik-Klassiker «On the Road», überdies zerlesene Bände von Camus, Proust oder Tolstoi, die Bibel und einige philosophische und historische Abhandlungen. Zur Sammlung gehören so erstaunliche Titel wie Theodore Drapers «The Roots of American Communism», Norman Thomas’ «A Socialists Faith», schliesslich «Das Kapital» von Karl Marx.

Die Bücher dürfte Marilyn Monroe mit ihrem dritten Gatten, Autor Arthur Miller, gelesen haben. Miller geriet nach dem Zweiten Weltkrieg während der McCarthy-Ära unter Verdacht, kommunistischen Schriftstellergruppen nahe zu stehen. Der zur Kommunistenjagd gegründete Ausschuss für unamerikanisches Verhalten zitierte ihn zum Verhör. Monroe selbst galt nie als Kommunistin.

Gleichwohl nähren die Werke die wilde These, die Verehrerin des Materiellen sei im Endeffekt eine verkappte Genossin gewesen. «Sollte sie uns etwa getäuscht haben?», fragte unlängst die «Neue Zürcher Zeitung».

Dies bezweifelt Christie’s-Historikerin und -Pressesprecherin Vredy Lytsman. Die Bücher würden bloss Monroes Image verändern, «weg vom Dummchen, hin zur politisch interessierten, belesenen Frau», sagt Lytsman. «Marilyn war eine normale, wissbegierige Person.» Ihr Lesestoff beweise: «Die reale Person lebte weit entfernt vom ultrafemininen Glamourgirl.» Sie als Sozialistin einzustufen, sei zu weit gegriffen.

Monroe las über Abraham Lincoln, später jüdische Schriften. Die Menorah, der zum unter den Hammer kommenden Fundus gehörende jüdische Kerzenständer, legte sie sich just nach der Vermählung mit dem Juden Miller zu. Sie konvertierte zum Judentum und besuchte regelmässig einen Rabbi. Die Urkunde, die den Glaubenswechsel im jüdischen Kalenderjahr 5716 besiegelt, wird ebenfalls versteigert.

Mit der Auktion bröckelt ein zweites Monroe-Klischee – das der stilvollen Diva. In Tat und Wahrheit hatte MM wenig Geschmack. Weder besass sie Kunst noch ansprechende Möbel. Ein Grossteil ihres Schmuckes erweist sich als schäbige Glasklunker. Die hinterlassenen Kleider sind ungepflegt, manchmal schmutzbefleckt. «Alles, was Monroe besass, war Junk», sagt eine Christie’s-Mitarbeiterin.

Gelagert hatte die sonderbaren Preziosen Anna Strasberg, Witwe von Monroes Mentor, dem Schauspielprofessor Lee Strasberg. Diesem vermachte die Göttliche ohne enge Verwandtschaft testamentarisch ihr ganzes Hab und Gut. Sie war zutiefst beeindruckt von der intakten Familie Strasberg. Lee Strasberg lehrte sie, sich vor der Kamera zu bewegen und sorgte sich obendrein ums Wohl der unablässig im Rampenlicht stehenden Einzelgängerin.

Rechtzeitig auf die Jahrtausendwende entledigt sich Anna Strasberg nun der Monroe-Kollektion. «Strasberg will mit der Auktion kundtun, wie Monroe das Jahrhundert prägte», sagt Christie’s-Sprecherin Lytsman. Überdies habe die Gutsverwalterin genug von der mühseligen Nachlassverwaltung. Selbst kleinste Lagerräume sind in New York aussergewöhnlich teuer. Die delikaten Stoffe und Lederwaren mussten aufwändig klimatisiert und vor Motten geschützt werden.

Schätzungsweise 15 Millionen Dollar dürfte die Versteigerung einbringen, knapp halb so viel wie die 34,5 Millionen Dollar der Jackie-Onassis-Auktion. Der Erlös kommt Tierschützern vom WWF sowie einem Waisenhaus in Kalifornien zu. Dorthin wurde die neunjährige Norma, die später Marilyn hiess, versorgt; die depressive Mutter lebte unter Aufsicht in der psychiatrischen Klinik und kümmerte sich nicht mehr um die kleine Tochter.

Die zerrüttete Jugend deuteten manche Biografen als Ursache für Monroes gespaltene Persönlichkeit – aussen kurvenreiche Perfektion, innen ständig mit sich hadernd, dauernd auf der Suche nach Liebe und Anerkennung.

Die Frau, die als Inbegriff makellosen Erfolgs galt, war nicht wirklich sexy, das meiste an ihr aufgesetzte, aufwändig geschminkte und düpierte Scharade. Das «Jahrhundertfoto» (FAZ) mit dem hochfliegenden weissen Rock über dem U-Bahn-Schacht entsprang nicht etwa Monroes Schauspielbegabung, sondern der Fantasie von Filmer Billy Wilder.

Sie litt meist, überstand drei Fehlgeburten und neigte zu Schwermut. Keine der drei kurzen Ehen klappte. Nur einmal bewohnte sie kurz ein eigenes Haus. Die meiste Zeit verbrachte sie in Hotels und möblierten Mietwohnungen. Ihre wenigen Habseligkeiten wirken wohl deshalb so kümmerlich und lieblos.

Gar widerlich und zutiefst tragisch war der mediale Höhepunkt ihrer einsamen Existenz. Am 29. Mai 1962 säuselte sie im Madison Square Garden verführerisch das Lied «Happy Birthday, Mr. President». Neben Geburtstagskind Kennedy sass versteinert First Lady Jackie. Ihr wie 20 000 Geburtstagsgästen und Millionen von Fernsehzuschauern hatte sich spätestens jetzt die sexuelle Liaison zwischen MM und JFK offenbart: Die angesäuselte Monroe liess sich in enge und hautfarbene, mit 6000 Pailletten bestickte Seide einnähen. Jede Rundung war zu sehen.

Das vom französischen Designer Jean Louis entworfene Kleid gilt als Prunkstück der bevorstehenden Gant. Es dürfte weit über eine Million Dollar umsetzen. Die lange Robe hob das Pin-up auf immer und ewig zu dem empor, was Männer von ihm so inbrünstig erhofften: Eine verletzliche, unterwürfige und verfügbare Sexgöttin.

Das Ende kam zwei Monate später. Eine Überdosis eines billigen Schlafmittels stoppte Marilyn Monroes Herz.

Sie war 36 Jahre alt. Zurück liess sie neben Belanglosem ein eigenhändig gekürztes Seidenkleid. Monroe trug es 1954 in Korea, um dort US-Truppen aufzumuntern. Laut Legende änderte sie es erst Minuten vor der Show in der Garderobe mit Faden und Schere. Die kriegsmüden Soldaten sollten nicht bloss ihre Zehen und Knöchel, sondern ein zünftiges Stück Wade zu Gesicht bekommen.

Monroe meisterte, was nur wenige können: Mit minimalstem Aufwand umgarnte sie ihr Publikum perfekt.