Schweizer Schoggi für Chicago

Mit Jodlern, Alphornbläsern, Tell und Fondueplausch versucht die offizielle Schweiz den schlechten Ruf des Landes in den USA aufzubessern.

Von Peter Hossli

Tell trifft den Apfel nicht. Die Frucht bleibt liegen, Walterlis Kopf heil. Wen wunderts? Mutlos, nicht mythisch zeigt der Heros an diesem strahlenden Montag in Chicago Ladehemmungen. Wer den Durchschuss live bestaunen wolle, bestellt der stämmige Bartträger den verdutzten US-Gaffern, müsse an die Tell-Spiele nach New Glarus, Wisconsin, reisen. Erst dort spanne und löse er die Armbrust. Gegen eine Gebühr, versteht sich.

Der gehemmte wie geschäftstüchtige Held als Wahrzeichen einer Schweiz in Schieflage – angemessener hätte die Swissweek in Chicago nicht beginnen können.

Hier, im fernen Amerika, hat die Alpenrepublik Probleme mit dem Image. Zu lange hockten die Banker auf nachrichtenlosen Vermögen von Holocaust-Opfern und die Politiker aufs Maul. Statt Heidiland ist Switzerland das Rafferland.

Das soll wieder anders werden. Fast fünfzig Millionen Franken beantragte der Bundesrat für die nächsten vier Jahre zwecks Imageverbesserung der ramponierten Heimat im für den Profit so wichtigen Ausland. Ein umtriebiger Schweizer Konsul in Chicago, Eduard Jaun, kam der Regierung zuvor. Der Lokalfürst öffnete seine Steuerschatulle und sammelte bei Bank, Versicherung und Fluggesellschaft fast eine Million. Damit lässt sich zünftig festen. Jauns hehres Ziel: «Das Ansehen der Schweiz verbessern», sagt er. Das sei zwar gut. Es müsse nun aber sehr gut werden. Die dürre Botschaft, die das bewirken soll: «Kultur, Handel, Tourismus.»

Wie gehabt? Wie gehabt.

Fesche Fasnächtler aus Luzern blasen zum Auftakt gewohnt taktlos in blecherne Guggen. Manne mit Schnäuz schwingen Fahnen und trompeten auf Alphörnern. Trachtenmädchen tanzen im Kreis. Der Alpöhi spendet Trost. Die Chäsunion verteilt Gruyère-Müsterli, Lindt & Sprüngli Schokolädchen. Rivella schenkt den Milchserumsaft für vife Sportler aus. Zwei Dollar die Dose. Das schreckt Durstige ab. Coke gibts bereits für 70 Cents. Also trinken Amerikaner Coca-Cola.

Fünf Tage lang beherbergt die Daley-Plaza, der Platz neben dem Ratshaus, folkloristisches Schweizertum und Aussteller, wie sie sonst die Züspa kennt. In überdachten, dürftigen Hüttchen führt eine Firma Haartrockner vor. Ein Geschäftsmann verkauft Reisen übers Internet. Weinhändler kredenzen Roten und Weissen. Der Weltumrunder Bertrand Piccard erzählt von Ballonen. Im Imbissstand gibts Junkfood mit Schweizer Gütesiegel: Chäschüechli, Älplermagrone und Aargauer Rüeblitorte. Hier ein Colgate-Lächeln, dort ein trockenes Küsschen.

Abends dann Gewichtigeres. Kulturschaffende, die die Pro Helvetia seit Jahren in der Welt rumreicht, spielen auf, die Mimiker Mummenschanz oder das Intermezzo Quartett aus Bern. Adolf Muschg, intellektuelles Gewissen uns aller Eidgenossen, liest. Der Dokumentarist Richard Dindo zeigt sein Werk auf Breitleinwand. Schliesslich drehte er einen Film über den Judenretter Paul Grüninger. Dass Dindo darin die Opfer von damals vor Gericht zerrt und erneut in eine Opferrolle drängt, übersahen die Programmverantwortlichen. Macht ja nichts. Bessere Filme zum unliebsamen Thema entstanden in der Schweiz ehedem keine.

Die Schweiz und ihr Imageproblem, eine knifflige Sache. Darüber reden mag in Chicago niemand. «Das breite Publikum nahm keine Notiz von der Kontroverse», sagt Konsul Jaun. Also bekommt das breite Publikum Bratwurst und Jodler. Zu sehen sei alles, «was wir zu bieten haben», sagt der Organisator mit Beamtenstatus. Ein kunterbunter Querschnitt, bei dem viele zu Wort kommen und doch keine neuen Zeichen gesetzt werden. Es fehlen griffige Inhalte, vor allem Leute, die sie kommunizieren könnten. Der Konsul gibt sich wortkarg, Botschafter Alfred Defago, rührig die Edelweisskrawatte umgeschnürt, floskelhaft. «Solche Veranstaltungen sind gut, wenn man nachgreift», sagt Defago. Wie denn? «Zuerst muss das Parlament den nötigen Kredit für eine Kampagne sprechen.» So schlimm seis ja gar nicht. Bei jeder US-Umfrage läge die Schweiz an dritter Stelle auf der Beliebtheitsskala. Dann braust er in der schwarzen Limousine davon. Das Mittagessen. Wer will schon reden, wenns auf der Bühne chlöpft und tätscht?

Lokale Medien bleiben der Swissweek fern. Dem Wink nach Luzern folgte im Vorfeld ein einziger Reporter. Acht waren geladen, um die neue Schwesterstadt Chicagos am Vierwaldstättersee kennen zu lernen. US-Medienleute lassen sich ungern einladen. Sie ziehen Fakten vor. Eine Pressekonferenz befand jedoch niemand für nötig; es gab ja nichts mitzuteilen. Stattdessen erfreuen bunte Kühe.

300 lebensgrosse Rindviecher aus Polyester säumen die North Michigan Avenue, die hiesige Prachtstrasse. Eine hat grosse Löcher wie der Swiss Cheese, auf einer zweiten wachsen Eiger, Mönch und Jungfrau. Die Presse bezeichnete die etliche Monate dauernde Cow Parade als «erfolgreichste Kunstinstallation, die Chicago je hatte». Immerhin. Kuhschweizer hin oder her, die Viecher kommen an.

In Chicago wohnen 260 000 Jüdinnen und Juden, eine der grössten jüdischen Gemeinden Amerikas. Viele verpassen die Swissweek mitsamt Klezmer-Orchester. Just in eine bedächtige Zeit für Juden fällt nämlich die Woche, zwischen die beiden zentralen jüdischen Feiertage Rosch ha-Schana und Jom Kippur.

Man übersahs. Überhaupt: «Der Holocaust ist seit dem 13. August kein Thema mehr», sagt Jaun. Der Vergleich habe damals die Probleme weggeräumt. Die Schuld elegant per Ablasshandel beglichen. Deckel drauf. Business as usual.

Bratwürste und Jodler frohlocken noch bis sieben. Dann löschen in Chicago die Lichter, die Strassen verstummen. Längst haben sich die Leute in ihre Häuschen nach Suburbia vor die Fernseher zurückgezogen. Zum Glück für die Fester Helvetiens. Hier in der Provinz fällt das Provinzielle etwas weniger auf.