Loses Mundwerk

Mit der Buchpremiere «Monica's Story» beginnt die totale Vermarktung von Monica Lewinsky. Ob ihr die Mutation zum Star gelingt, ist fraglich.

Von Peter Hossli

Die Entscheidung fiel just im lukrativsten Moment. Am 3. März 1999, bestimmte Sonderermittler Kenneth Starr, dürfe Expraktikantin Monica Lewinsky erstmals mit Vertretern der Presse reden.

Besonderes Glück hatte die US-Fernsehanstalt ABC. Sie strahlte an diesem Abend exklusiv ein Interview mit der einstigen Bürokurtisane von US-Präsident Bill Clinton aus – einen Tag bevor in den USA die durchschnittlichen Einschaltquoten neu ermittelt wurden. Sollten diese höher ausfallen als im vorigen Quartal, würden die Werbetarife ansteigen.

Natürlich schauten alle hin. Wer will schon zwei volle Stunden Monica verpassen? Ausserdem, war im Voraus durchgesickert, würde Lewinsky am Bildschirm weinen und bei ABC-Interviewerin Barbara Walters reumütig die ganze Nation um Verzeihung bitten – was NBC-Fernsehkomiker Jay Leno prompt zum Witzeln anregte, ob Monica nun mit verheirateten Männern «der ganzen Nation» eine Affäre gehabt hätte.

Die ABC-Quoten stimmten. Und die Werbeeinnahmen auch. ABC verlangte für einen 30 Sekunden langen Werbespot im Umfeld des Interviews 800 000 Dollar, das Fünffache des sonst üblichen Preises.

Monica Lewinsky, 25, hat ihr Schweigen gebrochen. Das Phantom, das während dreizehn Monaten vermeintlich das Schicksal der letzten verbleibenden Weltmacht bestimmte, gibts jetzt weltweit, und zwar auf allen Kanälen.

Am Tag eins nach dem ABC-Gespräch, das dem Sender 35 Millionen Dollar Werbeeinnahmen bescherte, erschien in den USA Lewinskys sehnlichst erwartete «Tell it all»-Biografie «Monica’s Story». Startauflage: 600 000 Stück. Auf 288 Seiten legt Lewinsky dar, was bis anhin aus zweiter Hand oder aber knochentrocken formuliert im Starr-Report zu erfahren war. Lewinsky erzählt von ihrer Kindheit und dem kompetitiven Verhältnis zur Mutter. Zur Sprache kommen auch ihre Affären im US-Hinterwäldlerstaat Oregon, ihre anhaltende Sehnsucht nach Clinton und die Seelenqualen während des Skandaljahres.

Lewinskys Buchpremiere setzt eine multimediale und meisterhaft inszenierte Monica-Welle in Gang. Während fünfzig Minuten plauderte die präsidiale Mätresse gleichentags auf dem britischen Fernsehsender Channel Four. Bis anhin wurde der Small Talk in 25 Länder verkauft.

Ein Sonderfall bleibt die Schweiz. SF DRS verzichtet, weil das Gespräch «keinen Erkenntniswert» habe, sagt DRS-Pressesprecher René Bardet. «Wir würden bloss voyeuristische Gelüste befriedigen.» Tele 24 scheint in London noch niemand zu kennen. «Uns wurde das Interview nicht angeboten», sagt Tele-24-Programmleiter Nik Niethammer. Keine Sorge, hier zu Lande muss keiner aufs Bettgeflüster verzichten. ORF und RTL plus strahlen es aus.

Besser noch: Bald kann man Monica live erleben, einen Blick erhaschen, ihre Hand schütteln. Ab nächster Woche weilt sie in England auf Vortragstour.

Monica for everybody.

Ob all diese Aktivitäten zum Erfolg führen, bleibt offen. Das Risiko, das der britische und der US-Verlag tragen, ist beträchtlich. Die meisten Fakten sind bekannt. Der Starr-Report schilderte ausführlich, wann und wo Clinton und Lewinsky welche Körpersäfte austauschten. Zudem bezweifelt ein US-Verleger, dass amerikanische Frauen das Buch eines Flittchens lesen mögen. In Europa, wo ausserehelicher Sex eher hingenommen wird, floppte der Starr-Report trotz oder wegen der zweckentfremdeten Zigarren.

Geschrieben hat das brisante Buch der britische Autor Andrew Morton, 45, seit seiner rührigen Diana-Biografie «Diana: Her True Story» ein Garant für Erfolg. Er gilt als zwielichtige Figur mit einem Hang zur Schönfärberei und offenen Ohren für Beichter mit Imageproblemen. Diese Ansicht teilen die Bürger des ostafrikanischen Staates Kenia. Dort schikaniert seit über zwanzig Jahren der Herrscher Daniel arap Moi ein Millionenvolk. Im letzten November präsentierte Morton eine Moi-Biografie. Er zeichnet ein geglättetes Bild des korrupten Politikers, als sei Morton zu Mois Hofberichterstatter avanciert.

Reingewaschen hat Morton nun auch Monica Lewinsky. Sie wird von ihm als «intelligent», «sensibel» und «weltoffen» präsentiert. Das Umschlagbild zeigt denn auch eine schlanke, perfekt geschminkte und sichtlich gereifte junge Frau. Eine einnehmende Person. Vom dicken Dummerchen, das dem Präsidenten beim Vorbeigehen einst getragene Slips ins Jackett steckte, blieb wenig übrig.

Ausgewiesene PR-Profis trimmten die Kalifornierin mit Babyspeck zur Frau von Welt. Die Erfolg versprechende Strategie: In den USA will man unauffällig Wunden heilen. In Europa, wo der Skandal als US-Prüderie belächelt wird, soll kräftig abgesahnt werden.

«Würde und Distanz» stünden im Vordergrund, sagt PR-Frau Lynn Goldberg, die für den US-Verlag St. Martin’s Press «Monica’s Story» betreut. Abgesehen vom ABC-Interview wird Lewinsky nur noch mit dem amerikanischen US-Wochenmagazin «Time» persönlich sprechen.

«Hier in den USA sind die Leute Lewinskys überdrüssig», sagt Goldberg. Stattdessen setzt sie auf «eine frische Person», Autor Morton. Der tritt ab dieser Woche in fast jeder nationalen Talkshow auf und spricht mit Reportern aller grossen Zeitungen und Magazine.

Es wäre unmöglich gewesen, Lewinsky auf eine US-Lesetour zu schicken, sagt Goldberg. «Die Sicherheitsprobleme sind unlös- und unzahlbar.» Zudem interessiere sich die US-Presse vor allem für die kruden Methoden von Ermittler Starr. Darüber muss Lewinsky aber schweigen. Morton, der viel Zeit mit Monica verbracht hat, darf über alles sprechen.

«Für die USA», sagt Goldberg, «ist er derzeit der beste Verkäufer.» Kehrt Lewinsky dereinst zurück, werde sie nur noch ein paar Interviews geben.

Nicht so im Ausland, wo die Boulevardpresse traditionell zahlungsfreudiger ist. Dort lässt sich Lewinsky allerorts vierfarbig ablichten. So hievt sie das britische Modemagazin «Marie Claire» aufs Cover und hofft auf den grossen Knüller.

Lewinskys Anwaltskosten belaufen sich auf rund zwei Millionen Dollar. Dies hindert sie aber nicht, weiter Schulden zu machen. Sie kaufe «wie besessen» ein, vermeldeten US-Medien. Meist auf Kredit. Und hoffe auf eine lukrative Zukunft.

Rund 1,5 Millionen Dollar soll die Expraktikantin für ihre Memoiren erhalten. Zusätzlich 660 000 Dollar für das britische Interview. Verkauft Channel Four das Gespräch weiter, erhält sie 70 Prozent des Handelspreises. Steigt die Buchauflage, fallen zusätzliche Tantiemen ab. PR-Frau Goldberg schätzt, allein in den USA werde das Buch eine Million Mal verkauft.

Bis anhin verkaufte Lewinsky Interviews und private Fotos vor allem in Europa. So «Paris Match», dem «Daily Mirror» in England und dem «Corriere della Sera» in Italien. Angeblich bezahlt allein die deutsche «Bild»-Zeitung der ehemaligen Gespielin Clintons 200 000 Dollar für ein Interview samt den Vorabdruckrechten des Morton-Buchs, das ab 12. März auf Deutsch vorliegt.

Hält die Nachfrage an, wird Lewinsky reich. Floppt das Buch, bekommt sie Probleme. Ihr blieben nur zwei Möglichkeiten, den noch langen Lebensabend zu bestreiten. Entweder zieht sie sich zurück und feilt an einer neuen Identität. Oder sie tingelt als Halbprominente durch amerikanische Seifenopern und Talkshows. Nachgesagt werden Lewinsky obendrein Showbusiness-Gelüste. Gerüchten zufolge will sie ihr neuer Freund, ein 35-jähriger Anwalt und Produzent bei der unabhängigen Filmfirma The Shooting Gallery, nächstens auf eine Breitleinwand bringen.

Sollte sie sich in Manhattan niederlassen, freuten sich die dortigen Paparazzi. Mehrmals äusserten nämlich Bill und Hillary Clinton, sie wollten nach dem Auszug aus dem Weissen Haus in New York wohnen. Hillary liebäugelt mit dem vakanten New-Yorker Senatssitz. In diesem Fall würde sie in Manhattan eine Wohnung beziehen, die meiste Zeit aber in Washington verbringen. Monica bliebe dann in Bills unmittelbarer Nähe.

Eine passende Idee für Lewinskys berufliche Zukunft entwarf die Tageszeitung «The Guardian». So frotzelte das britische Blatt, Lewinsky sollte sich Sarah Ferguson zum Vorbild nehmen. Die Herzogin wirbt seit Jahren erfolgreich für die Weight Watchers.