Ein Tüftler mit Posaune

Christophe Schweizer macht Musik ausserhalb des Mainstreams. Anerkennung findet er damit weniger zu Hause als in New York.

Von Peter Hossli

Fünf Dollar gabs heute Abend, bar auf die Hand. Nicht viel, aber üblich. Knapp achtzig Minuten posaunte der Thuner Jazzer Christophe Schweizer dafür im düsteren und engen Mittelgeschoss der Knitting Factory, einem trendigen, dreistöckigen Szenelokal in Manhattans trendigem Stadtteil Tribeca. Zehn Musiker jazzten. Gerade mal dreizehn Jazzfreunde mochten für das stimmige Vorabendkonzert im rauchfreien Keller acht Dollar Eintritt hinlegen.

Nein, reich werde in New York keiner mit Jazz, sagt Schweizer danach an der Bar. Geld verdient er hier nur sporadisch.

Gleichwohl kommen alle hierher, auch er. «New York ist fraglos das Epizentrum des Jazz», sagt Schweizer, 30, gross gewachsen, ausgestattet mit einer sanften Stimme – und viel Talent und Tatendrang. «Ich will dazugehören.»

Ein Sommerkurs in Banff, im hohen Norden Kanadas, brachte den Thuner 1991 erstmals nach Nordamerika. Da fand der Sohn eines bodenständigen Beamtenpaars, was ihm zu Hause in der bergigen Schweiz stets ein bisschen fehlte: «Unheimlich viel Energie und ein konstanter Wille, dauernd und ausschliesslich ans Vorwärtskommen zu glauben.»

In New York ging der Schweizer Schweizer auf die Musikschule, lernte beim Altmeister der Posaune, Conrad Herwig, spielte mit dem Schlagzeuger Billy Hart, sog auf, was er fand, knüpfte ein dichtes Beziehungsnetz. Sogar in den Kartoffelstaat Idaho verirrte er sich zwischenzeitlich in einen Musik-Workshop. Dieser fand in einem Nest mit bezeichnendem Namen statt: Swiss Mountain.

Schweizer wurde zum transkontinentalen Pendler, zum bodenlosen Künstler. Er lernte in Cleveland, Ohio, und lehrte in Bloomington, Indiana. Er lebte in der Schweiz und bildete in New York etliche Formationen. Emsig sammelt Schweizer Qualiflyer-Meilen. Zwischendurch gabs eine CD mit dem Titel «Doktor Blocher». Fürs Schlosskonzert in Spiez komponierte er ein Stück zum 100. Todestag von Brahms, beim Jazz Festival von Montreux gehörte er der Big Band de Lausanne an, oder er posaunte sonntags für die «Sternstunde» beim Fernsehen DRS.

Fest nach New York zog Schweizer, der sich als selbst «Teilzeitauswanderer» bezeichnet, 1996. Weil ihn die horrenden Wohnungspreise in Manhattan überforderten, ging er nach New Jersey. In Jersey City, von New York durch den Hudson getrennt, kaufte er zusammen mit seiner amerikanischen Frau, der klassischen Hornistin Jill Van Nostrand, ein hübsches Häuschen mit zwei Wohnungen. Vom Zins des Untermieters im Dachstock und den wenigen Dollar Gage kann er leben. Manchmal gibts dazu ein paar Franken von der öffentlichen Hand drüben in der Schweiz.

Viel Zeit, Geld auszugeben, habe er eh nicht. Der Alltag gehört der Musik. Er komponiert, tritt in der Knitting Factory oder im etwas nobleren Klub Blue Note im West Village auf, oder er ist in Europa auf Tournee. Ein bescheidener, sensibler Mann, ein Tüftler, der ständig seine modernen Klänge verfeinert, der Musik ausschliesslich neben dem Mainstream machen will. «Sie soll dereinst etwas aussagen, und sie soll Bestand haben», sagt er.

Lösen will sich der einstige Klavierschüler von monoton neu aufgelegten Traditionen, vom Herkömmlichen, das die Entwicklung des Jazz derzeit blockiere. Der Rückschritt bestimme das Fortkommen, sagt er. Auf CDs pressen Produzenten bloss, was sich vor zwanzig oder dreissig Jahren bereits verkaufte. Talentierte Jazzer – «davon gibts viele» – müss-ten Herbie Hancock oder Keith Jarrett nacheifern. «Die wollen nur noch das nächste «Köln Concert»», sagt er. Und noch einen Trend macht er aus: Schwarze und Weisse würden kaum mehr zusammen jazzen. «Heute herrscht eine tiefere Segregation als vor zwanzig Jahren.»

Zum Nachteil des Jazz. Der verliert an kommerzieller Bedeutung. Dessen Marktanteil, einst bei vier Prozent, sackte auf unter zwei ab. Niemand mag die alten Sachen mehr hören, ist Schweizer überzeugt. Das Publikum sei zwar neugierig, nur gebe es Neues nirgendwo zu kaufen.

Selbst in New York nicht. Dort fand Schweizer eine dynamische Live-Szene. Viele Klubs, die aufgehen und bald danach wieder schliessen. Viele Bands, die alle auftreten wollen und auch auftreten können. Musste er in der Schweiz noch froh sein, wenn ein mürrischer Beizer mal widerwillig einen Jazzer engagierte, darf hier jeder, meist im Akkord.

In der Knitting Factory gehts um sieben los, um neun kommen die nächsten, dann um elf, an Wochenenden gibts ein viertes Konzert nach ein Uhr früh. Um Viertel nach acht müssen Schweizer und seine Kollegen draussen sein, die nächste Band will die Instrumente stimmen.

Behäbigkeit wie in der Schweiz gibts da nicht. Die störte Schweizer schon 1992. Als der langjährige Jazzkritiker einer Zürcher Lokalzeitung einen Auftritt von Schweizers damaliger Formation So Nicht verriss, suchten die jungen Musiker ausgerüstet mit Sahnekuchen und Videokamera den Feuilletonisten am Zürichsee auf. Der gezielte Tortenwurf sass, dem Opfer verschlugs die Sprache. «Ein Bubenstreich, der in der ganzen Szene auf grossen Anklang stiess», sagt Schweizer.

Bei schweizerischen Medienleuten gilt er seither als arrogant. «Selbstverliebt», sagt ein Berner Kritiker. Dabei ist er einfach gut, einer, der zuerst ins Ausland musste, um zu Hause Anerkennung zu finden.