Sumner Redstone – «Ich habe den besten Instinkt»

Vom Autokinobesitzer zum Inhaber des viertgrössten Medienmultis der Welt: Sumner Redstone zählt zu den ganz Grossen im Geschäft.

Von Peter Hossli (Tex) und Yvon Baumann (Foto)

sumnerDie jungen Mitarbeiter des Musiksenders MTV nennen Sumner Redstone, 75, liebevoll “MTV-Opa”. Der in Harvard ausgebildete Jurist besitzt die Aktienmehrheit an Viacom, dem viertgrössten Medienmulti der Welt, und leitet das Unternehmen als CEO. Ins Mediengeschäft stieg der Veteran des Zweiten Weltkriegs mit Autokinos. 56-jährig kam er bei einem Hotelbrand nur knapp mit dem Leben davon. 40 Prozent seiner Haut verbrannten, die Ärzte hatten ihn bereits aufgegeben. “Dieses Comeback gibt mir noch heute Kraft”, sagt er. Redstone übernahm 1987 die Kabelfirma Viacom, machte MTV zum Sprachrohr der Jugend und finanzierte 1994 mit den Gewinnen des Senders den Kauf des traditionsreichen Hollywoodstu-dios Paramount. Viacom betreibt internationale Verleihfirmen und ist auf allen Kontinenten präsent. Redstone beziffert sein Vermögen auf 5,5 Milliarden Dollar, den Wert seiner 100 Millionen Viacom-Aktien. Lohn lässt er sich keinen auszahlen.

Herr Redstone, zu Ihrem Imperium Viacom gehört der Jugendsender MTV. Wer ist Ihr liebster Rocker?
Sumner Redstone: Rock interessiert mich nur am Rande. Mein Liebling auf MTV ist der Sänger Tony Bennett.

Bennett ist über 70. Das MTV-Publikum wird ihn kaum kennen.
Redstone: Völlig falsch. MTV organisierte ein “unplugged”-Konzert mit Bennett. Plötzlich war er wieder da – weltweit. Danach sagte Tony zu mir: “Sumner, du hast mir eine neue Karriere geschenkt.”

Und nun sind Bennetts Videoclips häufiger auf MTV zu sehen?
Redstone: Viel zu selten. Darüber streite ich mich täglich mit den MTV-Leuten.

Streit in Ihrem Alter ist doch ungesund. Sie sind schon 75-jährig.
Redstone: Das ist ein Gerücht, eine infame Lüge. Ich bestreite dieses Alter.

Wie alt sind Sie denn?
Redstone: Älter als fünfzig.

Also alt genug, um den Kontakt zu MTV zu verlieren. Der Sender berieselt ja vornehmlich Teenager und Twens.
Redstone: Noch weiss ich bestens, was die Jugend mag. Mir entgeht nichts, was bei MTV oder bei allen anderen Zweigstellen meiner Firma läuft. Niemand hat einen besseren Instinkt als ich.

MTV ist der erfolgreichste Fernsehsender aller Zeiten. Warum?
Redstone: Er deckt auf der ganzen Welt jedes Bedürfnis der jeweils aktivsten Generation ab. Man erfährt auf MTV zuallererst, was in Musik, Politik oder in der Mode neu und spannend ist. Gibts irgendwo auf der Welt eine kulturelle Innovation – MTV hat sie gemacht.

Echte Innovation entsteht doch in der Tiefe der Subkultur, nicht in den noblen Büros globaler Multis.
Redstone: Das muss nicht sein. Viacom verbreitet im Gegensatz zu anderen Medienriesen keine Ideologie. Wir heuern für jede Abteilung die innovativsten Leute an. Die haben dann alle Freiheiten, tolle Produkte zu entwickeln. Viacom ist ein Unternehmen, das Geld verdient, keine Ideologiefabrik. Wir riskieren etwas und hoffen damit hohe Gewinne zu erzielen.

Sie produzieren nur für den Mainstream. Was soll daran riskant sein?
Redstone: Wir sind beispielsweise die einzigen, die die Filmproduktionskosten im Griff haben. Dieses Jahr kommt der Trickfilm “Rugrats” in die Kinos. Er kostet 25 Millionen Dollar. Andere geben für Trickfilme 100 und mehr Millionen Dollar aus.

Trickfilme sind kaum innovativ. Konkurrent Disney verdient damit seit Jahren enorm viel Geld.
Redstone: “Rugrats” zeigt nicht die heile Welt von Disney. Wir machen rotzfreche, bitterböse Unterhaltung.

Zu Viacom gehören neben MTV das Hollywood-Studio Paramount, der Oldie-Sender VH-1, der Kindersender Nickelodeon, Kabelkanäle, Verlage, Kino- und Videoladenketten. Sie verkaufen weltweit dieselben TV-Serien und Filme. In Europa wird kritisiert, damit würden Sie nationale Identitäten vernichten.
Redstone: Das ist Nonsens. Wenn die Europäer sagen, wir Amerikaner würden deren Kultur zerstören, versuchen sie bloss Handelsschranken aufzubauen. Weil sie nicht offen dazu stehen, nennen sie es “Rettung der nationalen Identität”.

Kinos und TV-Sender quellen aber weltweit mit US-Produkten über.
Redstone: Weil sie gut sind, ganz einfach. Das Publikum entscheidet, was es sehen, lesen und hören will.

Rupert Murdoch, der Chef des Medienunternehmens News Corp …
Redstone: … ich weiss, wer Murdoch ist.

Murdoch publizierte eine wohlwollende Biografie über den chinesischen Diktator Deng, druckte aber das China-kritische Buch des britischen Gouverneurs von Hongkong nicht. So erhielt er Senderechte in China. Gehen Sie ähnlich vor?
Redstone: Über Murdoch spreche ich nicht. Viacom hat seine eigene Art. Neben wirtschaftlichen Überlegungen sind beim Expandieren immer auch politische und kulturelle Aspekte von Belang.

Dann verhalten Sie sich stets politisch korrekt?
Redstone: Ich sage nicht, wir sind Engel.

Die neuen, lukrativen Märkte in Asien, Osteuropa oder Lateinamerika erfordern doch sicher ein aggressives Auftreten auf der politischen Ebene?
Redstone: Ohne Beziehungen zur politischen Elite geht nichts. Ich war in China und habe mich mit hohen Vertretern der Regierung unterhalten. Das Resultat: MTV ist heute in 38 Millionen chinesischen Haushalten zu empfangen.

Viel lässt sich in China kaum verdienen. Die Währung ist dort doch viel zu schwach.
Redstone: Die Kabelfirma in Shanghai überweist uns regelmässig satte Gebühren. Während andere Firmen über Globalisierung nachdenken, verdienen wir Geld.

Wohl denkbar wenig. In ganz Asien kriselt es enorm.
Redstone: Uns stört die Krise nicht. Sie hilft uns sogar – die Kosten sinken.

Welches sind denn die Länder der Zukunft?
Redstone: Nur vier Prozent der Augenpaare der Welt schauen in den USA zu. Wer sich nicht auf den Rest konzentriert, verpasst enorme Gelegenheiten. Der ausseramerikanische Markt ist für uns wichtiger als der US-amerikanische.

In Europa treten sie aber den lokalen Medienmoguln auf die Füsse.
Redstone: Ich versuche mich zu arrangieren, und die müssen sich mit mir arrangieren. Vor zwei Wochen traf ich Silvio Berlusconi, mit Leo Kirch habe ich ebenfalls gesprochen. Solche persönliche Beziehungen tun der Industrie gut. Man muss die Gegner und Partner ja kennen.

Leute in Ihrem Alter denken an die Rente und das Häuschen am Strand.
Redstone: Warum sollte ich das tun? Alle, die mich kennen, wissen: noch bin ich voll da. Ich arbeite heute härter und länger, und ich fühle mich besser als je zuvor.

Konkurrenten sagen, Sie würden Viacom als One-Man-Show leiten.
Redstone: Niemand dirigiert eine solche Firma alleine. Ich habe eine hervorragende Mannschaft, alles tolle Leute. Ein Besessener war ich aber schon immer.

“Business Week” nannte Ihren Führungsstil “altmodisch”.
Redstone: Wir schafften es letztes Jahr, Viacom wieder auf Gewinnkurs zu bringen. Vor neun Monaten lag unser Aktienkurs bei 26 Dollar, jetzt bei fast 60 Dollar. Ich war aktiv an dieser Wende beteiligt.

Warum sanken die Aktien?
Redstone: Weil sich die Börsianer an der Wallstreet von der Krise bei der Videoladenkette Blockbuster blenden liessen. Alle anderen Abteilungen liefen nämlich hervorragend. Im Unterschied zur “Titanic” tauchte Blockbuster aber wieder auf.

In Ihrer gewohnten hemdsärmligen Art entliessen Sie den Manager.
Redstone: Wir erkannten, was nicht klappte, nämlich alles. Der Vertrieb war mangelhaft, die Standortwahl ungenügend. Fabrikhallen quollen von Merchandisingartikeln über, die keiner kaufte. Der ganze Videobereich funktionierte nicht.

Es kann doch nicht so schwierig sein, Videokassetten zu vermieten.
Redstone: Ja, wenn die gewünschten Filme auf den Gestellen liegen. Oft waren die wenigen Kassetten bereits ausgeliehen. Es gab keine andere Industrie, die Werbung für Produkte machte, die der Kunde nicht erhielt. Das hat viele zu Recht verärgert.

Wie reagierten Sie?
Redstone: Ich wurde in Los Angeles bei Time Warner und Disney vorstellig, knallte mit der Faust auf den Tisch und sagte: Wenn wir die Videoindustrie retten wollen, brauchen wir mehr Kassetten der einzelnen Filme zu einem besseren Preis.

Die Studios waren bereit, die eigenen Gewinnmargen zu reduzieren?
Redstone: Erst, als ich Ihnen eine Gewinnbeteiligung anbot. Heute liefern uns alle Studios so viele Kassetten, wie wir wollen – die haben begriffen, dass auch sie davon profitieren. Über Nacht veränderte ich eine ganze Industrie. Keine schlechte Leistung für einen über 50-Jährigen, der altmodisch sein soll, oder?

Wie stark sind Sie denn noch ins Tagesgeschäft involviert?
Redstone: Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht mit allen Topmanagern spreche, Ratschläge gebe, Strategien entwickle.

Lesen Sie auch Drehbücher?
Redstone: Nur wenns Probleme gibt. Ansonsten vertraue ich den hervorragenden Leuten, die Paramount leiten. Die erkannten etwa die ausserordentlichen finanziellen Möglichkeiten von “Titanic”. Wenns sein muss, kürze ich aber die Budgets der einzelnen Filme.

Es heisst, Sie kümmern sich sogar um einzelne Kinos.
Redstone: Jeden Freitag um zwei Uhr nachts kenne ich das erste Einspielergebnis jedes Filmes in den USA. Persönlich rufe ich die Kinos an und erkundige mich. Das ist eine Routine, die ich nicht missen möchte. Es ist meine heimliche Sucht von meiner Zeit, als ich noch Kinobesitzer war.

Heute leidet die Filmindustrie unter dem enormen Druck, am ersten Wochenende möglichst viel einzuspielen.
Redstone: Ungesund sind nur die hohen Marketingkosten, nicht die Umsatzzahlen. Es gibt zu viele Filme, die man aufwändig und somit teuer bewerben muss.

Sie produzieren munter weiter.
Redstone: Zählen Sie doch einmal die Filme von Paramount zusammen. Wir waren die Ersten, die anfingen, weniger, dafür bessere Filme zu produzieren. Das Resultat: Paramount konnte innert Jahresfrist den Marktanteil in den USA von 11 auf 25 Prozent erhöhen, Tendenz steigend.

Doch vor allem wegen “Titanic”, einem Film, den Paramount und das Partnerstudio Fox rund 285 Millionen Dollar gekostet hat. Der Erfolg von “Titanic” führt nun dazu, dass alle Studios derart teure Filme drehen werden.
Redstone: Ich weiss nicht, wer diese Studios sind. Paramount gehört nicht dazu.

“Titanic” ist also kein Vorbild?
Redstone: “Titanic” ist ein Einzelfall, den keiner kopieren sollte. Bereits dieses Jahr verloren viele Studios mit teuren Filmen sehr viel Geld. Wir verfolgen eine ganz andere Strategie, die ich persönlich eingeleitet habe: kostengünstigere Filme. In diesem Jahr bringen wir drei von MTV produzierte Filme in die Kinos, die weniger als zehn Millionen Dollar kosten. Damit verliert man kaum Geld. Das ist die Zukunft der Filmindustrie, nicht “Titanic”.

Wie verdient man eher Geld, mit Inhalten oder mit Verteilersystemen wie Kinos, Fernsehkabel oder Internet?
Redstone: Vor elf Jahren schon habe ich gesagt: “Content is King”, der Inhalt ist der König. Das Publikum schaut sich Filme, nicht Verleiher oder Fernsehkabel an.

Medien sind doch in erster Linie Lastwagen, die Inhalte herumführen?
Redstone: Eine veraltete Ansicht. Time Warner schreibt hohe Verluste, weil die Firma jahrelang auf das Verlegen von Kabeln, nicht aber auf Inhalte gesetzt hat. Technologie ohne Software nützt nichts.

Hat das Internet ein Chance?
Redstone: Dem Internet gehört die Zukunft, wenn es gelingt, gute Inhalte darauf zu platzieren. Noch verlieren aber alle Geld damit. Auch wir, obwohl MTV eine der beliebtesten Sites unterhält.

Welche Inhalte sind lukrativ?
Redstone: Vor allem gute Unterhaltung.

Vor drei Jahren sagten Sie, Viacom wäre bald die Nummer eins unter den Medienunternehmen. Jetzt sind sie die Nummer vier.
Redstone: Moment mal. Nummer vier? Sie vergleichen uns doch nicht etwa mit dem Schnapshändler Seagram, der nebenbei ein Filmstudio besitzt?

Nein. Aber Viacom fiel hinter Disney, Time Warner und den deutschen Riesen Bertelsmann zurück.
Redstone: Bertelsmann ist doch kein Medienunternehmen. Die haben kein Filmstudio und keine Fernsehstationen.

Aber Sie haben Ihr Ziel verfehlt.
Redstone: Es ging mir nicht allein um Grösse. Ich will die Nummer eins sein bezüglich der Herstellung von Software. Das bin ich. Grösser ist nicht immer besser.

Wie wichtig ist es für Sie persönlich, die Nummer eins zu sein?
Redstone: Das ist das Einzige, was wirklich zählt. Mein ganzes Leben lang wollte ich die Nummer eins sein. Das allein treibt mich an. Ich will der Beste sein.

Dann sind Sie machthungrig?
Redstone: Macht kommt parallel zum Erfolg. Macht an sich ist nichts Schlechtes, höchstens deren Missbrauch. Solange man realisiert, dass zur Macht stets Verantwortung gehört, ist Macht okay.

Rupert Murdoch steht öfter im Rampenlicht als Sie. Man sagt, Sie leiden mitunter an schwerem Murdoch-Neid.
Redstone: Das ist dummes Zeug. Viacom ist eine viel bessere Firma als News Corp. Murdoch hat nur gerade das Hollywoodstudio Fox, jedoch keine erfolgreiche Fernsehstation. Neid war nie mein Stil.

Wie wollen Sie denn in die Geschichte eingehen?
Redstone: Als Nummer eins. Ich weiss nicht, wie viele Jahre mir bleiben. Aber ich weiss, dass ich dieses Ziel erreiche.