Internet 2 – Aufgehobene Tempolimite

Jetzt gehts erst richtig los: Mit dem internet2 soll der chronische Datenstau im Internet aufgelöst werden. Der Amerikaner Douglas Van Houweling entwickelt das Supernetz.

Interview: Peter Hossli

Herr Van Houweling, das Internet ist langsam und voller Informationsschrott. Allzu oft macht es schlapp. Ist Internet2 das Heilmittel?
Douglas Van Houweling: Heute leidet das Internet unter dem Erfolg. Es hat sich viel zu schnell ausgedehnt und muss Aufgaben erfüllen, zu denen es gar nicht im Stande ist. Wir gestalten das Netz um, so dass es trotz Wachstum bald mehr leistet.

Dann verlegen Sie demnächst dickere Kabel?
Van Houweling: Das wäre einfach. Doch je besser wir das Internet verstehen, desto klarer ist uns geworden: Das Internet ist Soft-, nicht Hardware. Es sind Programme, die den Datentransfer regeln. Nicht Leitungen. Unter der Bezeichnung Internet2 entwickeln wir Programme, die im Netz Prioritäten unter den Daten setzen.

Sie schaffen Hierarchien?
Van Houweling: Wichtige Datenpakete werden künftig vor weniger wichtigen durchs Netz gelassen.

Was wichtig ist, entscheidet die Bereitschaft der Nutzer, zu bezahlen?
Van Houweling: Wer Prioritäten will, der bezahlt dafür. Das macht Sinn, wenn man beispielsweise eine Videokonferenz in Realzeit durchführen möchte.

Wer bezahlt, soll im Netz stets den schnellsten Weg finden. Damit kreieren Sie die endgültige Zweiklassengesellschaft im bis anhin klassenlosen Internet.
Van Houweling: Das muss so sein. Eine E-Mail-Benutzerin stört es kaum, wenn ihre Nachricht drei Minuten verspätet ankommt. Sie will nur, dass ihre Post kostengünstig und sicher den Weg ins Ziel findet. Wer jedoch eine globale Videokonferenz überträgt, ist auf Pünktlichkeit angewiesen. Und das kostet was.

Demnach setzt Internet2 dem Freakmedium, auf dem alle ihre Inhalte publizieren können, endgültig ein Ende?
Van Houweling: Im Gegenteil. Für die Freaks wirds billiger werden, ihre wenig komplexen Inhalte zu publizieren oder E-Mails zu schicken. Denn die Dienste, die heute fast alle benutzen, stören die neuen Dienste kaum. Teurer werden bloss aufwändige Übertragungen in Realzeit.

Dann erhält das Internet definitiv Gesetze. Jene des Marktes?
Van Houweling: Wie überall sonst werden im Internet unterschiedliche Dienste zu unterschiedlichen Preisen angeboten.

Sie lösen das bis anhin ungelöste Problem: Nun kann man mit dem Netz selbst Geld verdienen.
Van Houweling: Wer Geld verdienen will, muss auch mit Internet2 ein guter Unternehmer sein. Unternehmen werden aber Gewinn bringend investieren können.

Das versuchen sie schon lange.
Van Houweling: Ohne Erfolg. Noch entspricht das Internet der Struktur eines Slums in einer Grossstadt. Verbessert ein Quartierbesitzer seine Abwasseranlage, wird der gesamte Slum kaum besser. Denn alle andern tuns nicht. Analog im Internet: Wer den Kunden bis anhin eine schnellere Verbindung anbot, erreicht im Endeffekt wenig. Der Rest des Netzes blieb langsam. Wirtschaftlich machte es kaum Sinn, ins Netz zu investieren.

Kommt Internet2, werden also die Provider das grosse Geld machen?
Van Houweling: Steht Internet2, werden alle Geld verdienen. Die Qualität wird so gut sein, dass die Anbieter von Inhalten ihre Produkte im Internet in bester Qualität verkaufen können.

Am Projekt sind aber nur Telekommunikationsfirmen beteiligt.
Van Houweling: Die Technologie steht am Anfang. Es braucht zuerst einmal eine funktionierende Infrastruktur. Derzeit sind wir aber mit verschiedenen Firmen am Verhandeln, die Inhalte produzieren. Microsoft ist dabei, eine Firma, die Inhalte und Technologie fertigt.

Mit wem verhandeln Sie sonst?
Van Houweling: Namen kann ich nicht nennen.

Internet2 begann an den Universitäten. Es zielte darauf ab, dem überlasteten kommerziellen Internet ein Netz zur Seite zu stellen, auf dem die Forschungsinstitute wieder Platz haben. Jetzt sind aber die Firmen bereits voll dabei.
Van Houweling: Zum Glück. Technologie entwickelt sich in der Form einer Spirale: Am Anfang steht die Grundlagenforschung, dann folgt die Entwicklung, schliesslich gelangen die Produkte auf den Markt. Das Internet startete so, bei Internet2 wird es genauso verlaufen.

Wo steht die Spirale derzeit?
Van Houweling: Bei der Entwicklung. Derzeit versuchen unsere kommerziellen Partner, aus der Technologie vermarktbare Produkte zu machen.

Dann wirds auf Internet2 bald wieder eng für die Universitäten.
Van Houweling: Das wird nicht passieren. Internet2 ist ein Netzwerk, das auch dann schnell läuft, wenn es überlastet ist.

Können Sie das garantieren?
Van Houweling: Um ehrlich zu sein: Der nächste Flaschenhals kommt bestimmt.

Besteht Ihre Hauptaufgabe im Beseitigen von Flaschenhälsen?
Van Houweling: Ja. Es gibt bereits Forscher, die über Internet3 nachdenken.

Dann wird das Kommunikationssystem noch komplexer – und anfälliger. Ende Mai legte ein Satellit 90 Prozent aller amerikanischen Pager lahm.
Van Houweling: Das Internet ist ein ausgesprochen robustes Medium. Da gibts nicht bloss einen einzigen verwundbaren Punkt wie bei den Pagern. Die waren nur von diesem Satelliten abhängig. Das Internet ist ein Netz. Fällt ein Verbindungsstück aus, suchen sich die Daten einen anderen Weg.

Wer wird Internet2 benützen?
Van Houweling: Am Anfang die Universitäten. Später alle. In fünf oder sechs Jahren werden die Leute nicht mehr merken, ob sie Internet2 oder Internet benutzen.

Die Internet-Benutzer sind aber heute schon frustriert. Und denen sagen Sie, sie müssten sechs Jahre auf eine spürbare Besserung warten?
Van Houweling: Es ist bereits besser geworden. Vor allem die US-Provider haben die Leistung stark verbessert.

Was werden wir mit Internet2 tun, was wir heute nicht schon können?
Van Houweling: Filme anschauen. Heute ist das nur in katastrophaler Ton- und Bildqualität möglich.

Um einen Film zu sehen, kann ich auch ins Kino gehen.
Van Houweling: Dank Internet2 knüpfen wir auch Kontakte. Mein Vater ist 82. Er hat eben gelernt, das Internet zu nutzen. Seither pflegt er einen regen E-Mail-Austausch mit seinen Grosskindern.

Kritiker Clifford Stoll sagt, das Internet verbinde nicht, es isoliere.
Van Houweling: Ach, der Stoll! Hat das Telefon etwa die Reiserei verringert? Nein. Wer in Kontakt ist mit jemandem, möchte diesen Kontakt stets intensivieren, ein persönliches Treffen arrangieren.

Wer E-Mails schickt, will den Empfänger treffen?
Van Houweling: Mit Internet2 werden wir nicht nur E-Mails schicken, wir werden einander sehen und hören. Wenn man jemanden sieht, steigt das Bedürfnis, diese Person auch zu treffen.

Wie werden wir einkaufen?
Van Houweling: Wir werden unsere Häuser nicht mehr so oft verlassen wie jetzt.

Mit digitalen Einkaufszentren wird ein Berufsstand vernichtet. Es braucht keine Verkäufer mehr.
Van Houweling: Internet2 wird die Zahl der Verkäufer erhöhen. Kauft man digital, wählt man auf Grund von Bildern Artikel aus. Mit Internet2 werden wir wieder mit Verkäufern sprechen.

Abhanden kommt dabei die Lust am Einkaufen.
Van Houweling: Dafür wirds effizienter. Künftig werden die meisten Dinge massgeschneidert werden. Von allen, die im Internet Kleider kaufen, wird ein virtuelles Modell im Netz liegen. Es wird möglich sein, eine Farbe und einen Schnitt eines Kleides auszuwählen, es dem virtuellen Modell überzustülpen und ihm beim Umhergehen zuzuschauen. Wenn Sie das Kleid mögen, bestellen Sie es. Der Auftrag geht dann direkt an die Näherei. Ein paar Tage später ist das Kleid bei ihnen.

Ersetzt Internet2 das Fernsehen?
Van Houweling: Es ersetzt den Fernseher nicht, das Fernsehen wird sich komplett verändern. Man muss keine Programme mehr für ein lokales, beschränktes, sondern für ein globales Publikum machen.

Und wer programmiert?
Van Houweling: Es wird viel mehr Inhaltanbieter geben als heute. Die Barrieren, Inhalte anzubieten, fallen. Es wird billiger werden. Unterhaltungsriesen wie Disney werden wahrscheinlich keine eigenen Inhalte mehr fertigen. Sie werden Inhalte ankaufen und sie über das Netz vertreiben. Etwas Ähnliches passiert derzeit in Hollywood. Dort produzieren viele kleine Firmen für grosse Hollywoodstudios. Die Studios selber übernehmen nur noch Finanzierung und Vertrieb.

Global wird das Internet dadurch nicht. Viele Menschen in Asien oder Afrika haben keinen Zugang.
Van Houweling: Warum nicht?

Zwei Drittel der Menschheit hat noch immer kein Telefon.
Van Houweling: Das lässt sich lösen. Man ist daran, vierhundert Satelliten auf eine Umlaufbahn zu befördern, etwa vierhundert Meilen über der Erdoberfläche. Dorthin kann man von entlegensten Orten in Afrika Signale schicken, die einem mit dem Internet verbinden. Finanziert wird das Projekt von Bill Gates. Diese Satelliten-Technologie verbindet Zentralafrika mit Zentralasien oder mit England.

Das Internet bedienen werden in Zentralafrika aber nur wenige können.
Van Houweling: Da haben Sie Recht. Es ist nicht eine Frage der Technik, sondern der Bildung. Das Internet wird den Entwicklungsländern aber helfen, ihr Bildungssystem stark zu verbessern.

Es fehlt doch an Geld, die Technologie überhaupt erst zu beschaffen.
Van Houweling: Das sehe ich anders. Es gibt in diesen Ländern wenig Leute, die mit modernen Technologien viel verdienen. So entsteht aber eine Mittelklasse, was wiederum den Lebensstil aller hebt.

Europa fürchtet Internet2. Politiker und Professoren sagen, sie würden von den Amerikanern nicht einbezogen.
Van Houweling: Sie sollten ähnliche Programme entwickeln.

Wann wird die erste europäische Uni an Internet2 beteiligt sein?
Van Houweling: Europäische Firmen, etwa die Deutsche Telekom, sind dabei.

Das ist ein globales Unternehmen. Universitäten beklagen sich, man hätte sie viel früher einbeziehen müssen.
Van Houweling: Wir sind keine Regierungsorganisation. Internet2 wird von ein paar Forschungszentren und ein paar Firmen entwickelt, die es sich zum Ziel gesetzt haben, das Internet besser zu machen. Dazu brauchts die Europäer nicht.

Warum ist Europa stets ein paar Schritte zurück?
Van Houweling: Fragen Sie die Europäer.

Warum sind die Amerikaner so deutlich voraus?
Van Houweling: Das Internet ist kein Einzelunternehmen. Das Internet ist der Marktplatz des 21. Jahrhunderts. Niemand hat die Kontrolle, es gibt keine Zentrale. Genau das entspricht der Art und Weise, wie wir in den USA leben. Hier ist es einfacher als in Europa, eine Organisation wie Internet2 aufzubauen.

Die Politiker brauchts nicht?
Van Houweling: Wozu? Die Unis wissen, dass sie mit Internet2 Forschungen durchführen können, die heute noch nicht möglich sind. Darum investieren sie Geld. Die Firmen wissen, dass Internet2 einen grossen Markt kreiert. Ohne Politik lassen sich Konflikte vermeiden.

Gleichwohl spricht US-Vizepräsident Al Gore dauernd von Internet2. Er sieht sich gerne in der Rolle des Technologiepolitikers. Verhelfen Sie ihm zur Präsidentschaftswahl im Jahr 2000?
Van Houweling: Der republikanische Speaker of the House, Newt Gingrich, spricht auch dauernd von Internet2. Es ist aber schon so, dass wir mit der jetzigen Regierung ganz gut zurechtkommen.

Mister Internet
Douglas E. Van Houweling, 51, ist Mister Internet schlechthin. Der Professor für Information und Technologie an der University of Michigan in Ann Arbor war massgeblich am Aufbau des ursprünglichen Internets beteiligt. Er war stets der Meinung, Universitäten müssten eng mit Privatfirmen zusammenarbeiten. Um das Netzwerk der staatlichen amerikanischen Wissenschaftsorganisation NSF aufzubauen, gründete er etwa eine nicht Gewinn orientierte Firma, an der IBM und das Kommunikationsunternehmen MCI beteiligt sind. Am 1. Oktober 1997 berief ihn die University Corporation for Advanced Internet Development (UCAID) zum Chairman. Dort koordiniert er die Entwicklung von Internet2.

Geschichte des Internets

Vom militärischen Datenaustausch zum globalen Shoppingcenter

2. Januar 1969
Wissenschaftler der Advanced Research Project Agency (Arpa) des US-Verteidigungsministeriums legen den Grundstein des Internets. Arpa, die erste Fernverknüpfung zweier Computer, war eine Reaktion der US-Regierung auf den Sputnik-Erfolg der UdSSR 1957. Am Verbund beteiligen sich die University of Los Angeles und die University of Stanford mit ihren Grossrechnern.

1971
Die erste E-Mail wird verschickt.

1972
Die Internet-Vorstufe Arpanet wird erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.

1973
Die Welt wird an Amerika angeschlossen. Das University College of London und das Royal Radar Establishment in Norwegen erhalten einen Anschluss an Arpanet.

1976
Queen Elizabeth II. verschickt eine E-Mail.

1979
Erste Internet-News- und Diskussiongruppen werden gegründet.

1981
210 Host-Computer sind ans Internet angeschlossen.

1984
Erstmals sind 1000 Host-Computer angeschlossen. Die Adressen erhalten Namen: Der so genannte Domain Name Server (DNS) wird eingeführt.

1989
130 000 Host-Computer sind ans Internet angeschlossen.

1990
Der erste kommerzieller Internet-Provider nimmt seinen Geschäfte auf.

1991
Das World Wide Web, entwickelt in Genf, wird eingeführt.

1992
Der Begriff «Surfen» taucht erstmals in diesem Zusammenhang auf. Die profunde Internet-Kennerin Jean Armour Polly nennt ihr Buch «Surfing the Internet».

1993
Der junge Programmierer Marc Andreessen (der spätere Netscape-Gründer) entwickelt Mosaic, ein Programm, mit dem das Surfen im Internet per Hypertext möglich wird. Es ist die Geburt des Browsers. Im selben Jahr gehen das Weisse Haus und die Uno online.

1994
Erste Banken und Shoppingzenter bieten ihre Dienste im Internet an. Im selben Jahr wird «The Visible Man» zugeschaltet: Der in Texas hingerichtete Mörder Joseph Paul Jernigan wird in Scheiben geschnitten, fotografiert und als anatomisches Studienobjekt im World Wide Web allen zugänglich gemacht.

1995
6 642 000 Host-Computer sind angeschlossen. Das US-Magazin «Time» publiziert das Sonderheft «Welcome to Cyberspace».

1996
Der Krieg der Browser beginnt, nachdem Bill Gates’ Microsoft den Browser Internet Explorer vorstellt. Seither verliert der bisherigeHauptanbieter von Internet-Browsern, Netscape, täglich Marktanteile.

August 1996
«FACTS Online» wird aktiviert (www.facts.ch).
Oktober 1997

Januar 1998
Bundesrätin Ruth Dreifuss beantwortet als erstes Schweizer Regierungsmitglied in einem FACTS-Chat live Fragen im Netz.
Januar 1998
Fast 30 Millionen Host-Computer sind ans Internet angeschlossen. �