Die wilden Kerle der Seventies

Ein neues Buch enthüllt: Die grossen Regisseure des US-Kinos hatten in den Siebzigern nur Sex, Drogen und ihre Kunst im Kopf.

Von Peter Hossli

Siebenundzwanzig Jahre alt war Steven Spielberg, als er 1973 erstmals mit einer Frau schlief. Auf dem Set seines Roadmovies «Sugarland Express» lernte der spätere Regiestar («E. T.») eine Stewardess kennen. Vor dem ersten richtigen Date liess sich Spielberg durch eine Schauspielerin einweihen. «Trag keine weissen Socken im Bett und kein weisses T-Shirt», beschied sie ihm. «Und lagere im Kühlschrank noch andere Esswaren als die üblichen drei Schokoriegel.» Wenns mit der Romantik nicht auf Anhieb klappe, schloss die befreundete Aktrice den Instant-Sexualunterricht, «dann lies ihr etwas von Dylan Thomas vor.»

Glaubt man dem «New Yorker»-Filmjournalisten Peter Biskind, klappte es. Noch vor Drehschluss verlor Spielberg die Jungfräulichkeit. Solch lang anhaltende Enthaltsamkeit war damals eher die Ausnahme. Wie Autor Biskind in seinem eben erschienenen, hervorragend geschriebenen und bestens dokumentierten Buch «Easy Riders, Raging Bulls» * schildert, triebens die Filmleute in den Siebzigern ziemlich bunt. Nicht nur im Bett.

Sex, Drogen und Rock ‘n’ Roll, schreibt Autor Biskind, hätten die Filmindustrie vor dem finanziellen und künstlerischen Kollaps gerettet. Wilde Visionäre, vom Kino besessene, sich ständig mit Drogen vollpumpende und Frauen nachstellende Burschen wie Dennis Hopper oder Francis Coppola revolutionierten die Unterhaltungsbranche. Innert Kürze machten sie die siebziger Jahre zum Phänomen: Regisseure, in den USA ein Novum, hatten jetzt das Sagen. Sie prägten die bewegendste Dekade der US-Filmgeschichte, eine Zeit, in der das Kino alles bedeutete und ohne die Hollywood heute womöglich nirgends wäre.

Ende der Sechziger lenkten senile Herren mit Prostataproblemen von ihren goldverzierten Sesseln aus die alteingesessenen Studios Paramount, Warner oder MGM. Weil jahrelang der Dollar rollte, produzierten sie hauptsächlich verklemmte Musicals mit Gene Kelly und verklemmte Komödien mit Doris Day. Ab und zu gabs einen patriotischen Kriegsfilm mit John Wayne.

Sehen mochte das nun plötzlich niemand mehr. Draussen, in der richtigen Welt, passierte viel: Amerika hatte seine Boys in Vietnam stationiert, die Schwarzen hatten sich die Bürgerrechte erstritten, die Pille veränderte den Sex, die Männerhaare waren lang, jeder fühlte sich als Rebell gegen alles, Drogen gabs zuhauf, und Elvis, aufgeblasen von Schlaf- und Aufputschmitteln, erhielt Konkurrenz durch die Beatles und die Stones. Amerika brannte.

Ein tolle Zeit. An Hollywood, selbsterklärter Seismograf der Welt, ging sie vorerst vorbei. Bis 1967. Damals, geht die nie vollends bestätigte Legende, kniete der Schauspieler Warren Beatty nieder und küsste die in Badeschlappen gekleideten Füsse von Tycoon Jack Warner. Der leitete das Traditionshaus Warner Brothers seit 1923. Beatty würde alles tun, flehte er, wenn Warner den Gangsterfilm «Bonnie and Clyde» mit ihm in der Hauptrolle finanzieren würde. Der Alte zeigte wenig Interesse. Die Zeit der Gangsterfilme sei passé, die Dreiecksgeschichte mit homosexuellem Subtext zu gewagt fürs breite Kinopublikum. Noch schlimmer: Das Gangsterpaar, das in den Dreissigern wirklich herumtobte, sollte auf der Leinwand Banken überfallen, Unschuldige töten und am Schluss sterben. «Wer», fragte Warner, «will das sehen?»

Alle wollten. «Bonnie and Clyde» trat eine Revolution los. Bei der Testvisionierung musste Mogul Warner, für seine notorisch schwache Blase bekannt, dreimal aufs Klo. Abschätzig nannte er den Film einen allzu langen «Drei-Piss-Movie», der «nie Gewinn machen wird».

Ein Trugschluss. Das US-Magazin «Time» setzte das kriminelle Pärchen aufs Cover. Die dazugehörige Schlagzeile traf den Nerv der Zeit: «Gewalt, Sex, Kunst». Im «New Yorker» schrieb Kritikerlegende Pauline Kael eine begeisterte Besprechung. Selbst konservative Zeitungen folgten. In kurzer Zeit spielte der Film fast zwanzig Millionen Dollar ein – bei Kosten von knapp 200 000 Dollar. Dazu gabs zehn Oscar-Nominationen.

Mit «Bonnie und Clyde» wurde klar: Filme mit Gesetzlosen, Rumhängern und gefallenen Helden kamen an. Nackte Haut war vom europäischen Autorenkino in die USA herübergeschwappt. Der amerikanische Traum wurde zum Abschuss freigegeben. Kunst, die Gewalt gegen das Establishment legitimierte, löste Begeisterung aus. Wichtiger noch – damit liess sich reichlich Geld verdienen.

Es folgte eine Zeit, in der sich Genialität und Dekadenz paarten. Geldgierige und machthungrige Männer standen – oft komplett verladen – hinter der Kamera. Aber, so unterscheidet Biskind die damalige von der heutigen Gier, die Kerle wurden von echten Visionen angetrieben. Viele hätten sogar getötet, um den perfekten Film zu drehen.

Der Playboy Warren Beatty galt als erster König des neuen Hollywood. Jede Nacht gabs in seiner Suite Sexgelage. Man nannte ihn den «Donkey», den Esel, der Mann mit dem grössten Schwanz von L. A. In einer Stadt, wo über Penislängen offen spekuliert wurde, hiess das etwas. Heuerte der nimmersatte Beatty eine Sekretärin an, schaute er ihr beim Vorstellungsgespräch zuerst unter den Rock.

Frauen hatten wenig zu lachen. Sie dienten als Groupies, kochten Spaghetti und, erzählt Schauspielerin Jennifer Salt, mussten «den jungen Regisseuren regelmässig «Blow Jobs» verpassen.» Als Belohnung gabs oft Prügel. Während der Dreharbeiten zum Hippie-Happening und späteren Kultfilm «Easy Rider» schlug Regisseur Dennis Hopper seine Frau Brooke Hayward spitalreif. Noch vor Drehschluss zog sie aus. Bei der Scheidung verzichtete sie auf Geld, obwohl Dennis Hopper dank «Easy Rider» Millionär wurde. «Ich wollte nicht», sagt Hayward, «dass Dennis mich erschiesst.»

Ohne Gattin Eleonore, schreibt Biskind, hätte der Italoamerikaner Francis Ford Coppola die Strapazen zur Mafiasaga «The Godfather», bester Film jener Zeit, kaum durchgestanden. Über Nacht wurde Coppola damit Multimillionär und erster Regiesuperstar. Eine Million Dollar im Voraus verlangte er für «The Godfather Part II». Er bekam sie. Die Filmfirmen, jahrelang von Verlusten geplagt, mussten jetzt den abstrusesten Forderungen zustimmen. In ihren Verträgen liessen sich etwa Regisseur Martin Scorsese und sein Alter Ego Robert De Niro tägliche Kokainrationen zusichern.

Auf manchen Erfolg folgte Grössenwahn. Nachdem «The Godfather» hundert Millionen Dollar eingespielt hatte, fuhren Coppola und sein Freund, Jungfilmer George Lucas, mit einem Honda beim Mercedes-Händler in San Francisco vor. Sie wollten ein sechstüriges Modell. Der Verkäufer glaubte, das alles sei ein Witz. Langhaarige Hondafahrer können sich keinen Mercedes leisten. Coppola wählte trotzdem den teuersten und sagte: «Schickt die Rechnung an: «Godfather»-Produktionsfirma Paramount.»

Im Sommer 1972 trafen sich Coppola und seine Kollegen Peter Bogdanovich und William Friedkin in L. A. an einer Party. Danach fuhren Coppola und Friedkin im neuen Mercedes stundenlang den Sunset Boulevard auf und ab. Im Wagen gabs Champagner und Kokain. An einer Kreuzung tauchte plötzlich Bogdanovich in einem Volvo auf. Wie Kinder begannen sich die drei Männer anzuschreien. «Der beste US-Film der letzten 25 Jahre», brüllte Friedkin und meinte seinen Krimi «The French Connection». Bogdanovich schrie zurück: ««The Last Picture Show»: Ein Film, der die Filmindustrie revolutionierte.» Und Coppola: ««The Godfather»: hundert Millionen Dollar». Bogdanovichs Frau Polly Platt, die im Volvo sass, dachte: «Was für Riesenarschlöcher.» Doch das war Hollywood.

Gleichwohl hatte sich manches geändert. Zwischenzeitlich regierten die Freaks. Coppola trug einen knallroten Smoking zur Oscar-Verleihung im März 1973, als «The Godfather» zum besten Film gekürt wurde. Marlon Brando blieb fern und schickte eine Freundin, die seinen Schauspiel-Oscar im Namen «aller Indianer Amerikas» entgegennahm.

Kokain bestimmte alles. Dennis Hopper, der Regisseur des Kokser-Films «Easy Rider», sagt, er hätte Kokain populär gemacht. «Amerika hat wegen «Easy Rider» ein Kokainproblem.» Der Schnee half schlappen Männern. Vorzeitige Ejakulation, glaubten viele, würde der weisse Stoff spielend übertünchen. Schauspieler Jack Nicholson etwa kam zu früh. Als Abhilfe, gab er im «Playboy» zu Protokoll, streue er sich eine Prise Kokain auf die angeschwollene Eichel. Das, sagte er, stimuliere die Vagina der Frauen. Dann mache es nichts aus, wenn das eigene Stehvermögen nicht allzu lange anhalte.

Kokain war die ideale Droge für die fordernde Macho-Lebensart. Nach einem Joint sackte die Energie ab, Koks hob sie in den Himmel. Später kostete die Droge Karrieren. Hopper verschwand während zehn Jahren in der Obskurität, Peter Bogdanovich erholte sich bis heute nicht. Scorsese und De Niro durchlebten Entziehungskuren. Besonders tragisch ergings Hal Ashby, Regisseur des Vietnamfilms «Coming Home». Ashby, mürbe von Kokain, wollte sich im Meer ertränken. Tagelang durchstreifte er Hollywoods Modeläden, um nach der passenden Badehose für den Suizid zu suchen. Als er keine fand, lebte er entnervt weiter.

Keine Drogen nahmen nur jene beiden Regisseure, deren Filme den wilden Siebzigern den Garaus machten: George Lucas und Steven Spielberg. Sie erfanden das Popcornkino, gaben den Studios ihre verlorene Macht zurück und beendeten den Traum vom Hippie-Hollywood. Lucas, ein menschenscheuer Kauz, schuf 1977 mit «Star Wars» die einträglichste Filmserie aller Zeiten. Zwei Jahre zuvor drehte Spielberg, stets von Einspielergebnissen fasziniert, mit einem Weissen Hai aus Pappkarton «Jaws». Am 26. März wurde der Film im Medallion-Theater in Dallas erstmals öffentlich gezeigt. Steven Spielberg stand beim Eingang, beobachtete das Publikum. Wie immer trug er weisse Socken. Kurz nach Vorstellungsbeginn erhob sich ein Mann, rannte in die Lobby und erbrach. Auf der Leinwand hatte der Hai eben einen Jungen mitsamt Surfbrett gefressen. Der entnervte Kinobesucher ging auf die Toilette – und kehrte so schnell wie möglich auf seinen Stuhl zurück. «Da wusste ich», sagte Spielberg, «wir hatten einen Hit.»