Krieg am Broadway

Drei alte Streithähne aus Hollywood kämpfen in New York um die Macht im Musical-Business.

Von Peter Hossli

Die Ereignisse überschlugen sich. Am Montag vorletzter Woche trat Michael Ovitz überraschend ins Rampenlicht. Der einstige Star-Agent gab bekannt, dass er eine Broadway-Firma besitzt und sie leiten wird. Am Dienstag schon stänkerte Disney-Chef Michael Eisner zurück. Er sei «bestens gerüstet», Ovitz Paroli zu bieten. Zwei Tage darauf verkündete DreamWorks-Mitgründer Jeffrey Katzenberg, auch er werde demnächst aufwändige Musicals produzieren.

Ein Krieg tobt am Broadway, der Theatermeile mitten im New-Yorker Stadtteil Manhattan. Ausgefochten wird er mit grossen Worten und noch grösseren Plakaten. Und wie bei jedem veritablen Konflikt gehts um Besitzansprüche, alte Rivalitäten – und um reichlich Geld.

Die drei Streithähne, die an der Ost-küste einen alten Zwist austragen, wirken in Hollywood. An besagtem Montag blickten sie nach New York. Der ehemalige Agent und spätere Disney-Manager Michael Ovitz erklärte, seine sechzehn Monate dauernde Ruhepause sei beendet. Der einst als mächtigster Mann Hollywoods beschriebene Ovitz übernimmt die Leitung des kanadischen Musicalunternehmens Livent. Zu dessen grössten Erfolgen zählen «Ragtime», «Show Boat» oder «Kiss of the Spider Woman». Weil Livent in jüngster Zeit finanzielle Probleme hatte, wurde Ovitz als Sanierer geholt. Der Milliardär investierte 20 Millionen Dollar in die angeschlagene Firma.

Nun besitzt er eines der modernsten Theater in Manhattan. Zu Livent gehört das im Dezember vergangenen Jahres eröffnete Ford Center of the Performing Arts. Das Ford Center steht an der 42nd Street, gleich gegenüber des altehrwürdigen New Amsterdam Theater, einer Bühne, die die Walt Disney Company eben gekauft und vollständig restauriert hat.

Geführt wird das New Amsterdam Theater von Disney-Chef Michael Eisner, jenem Mann, der Ovitz zuerst geholt, vor bald zwei Jahren aber entlassen und in der Unterhaltungsbranche als unfähige Witzfigur dargestellt hatte. Seither wechseln die einstmaligen Freunde kein Wort mehr.

Der Konflikt zwischen Ovitz und Eisner, schrieb die «New York Times», habe die Qualität eines Theaterstücks von David Mamet. Darin bekämpfen sich üblicherweise skrupellose Kerle bis aufs Blut um den ersten Rang im Revier.

Wer hier siegt, ist völlig offen. Neben Ovitz und Eisner nistet sich nämlich ein dritter Hollywood-Zampano am Broadway ein: Jeffrey Katzenberg. Zusammen mit Steven Spielberg und Musikproduzent David Geffen gründete er vor vier Jahren das Hollywoodstudio DreamWorks. Jetzt will er den Broadway erobern.

Damit ist der Krieg erst recht entbrannt. Denn auch Katzenberg hat mit Eisner und mit Ovitz persönliche Rechnungen offen. Jahrelang war der heutige Spielberg-Partner Ziehsohn von Disney-Chairman Eisner gewesen. Bis 1994 erwartete die Unterhaltungsindustrie, Katzenberg würde demnächst zum Disney-Präsidenten gekürt werden. Im letzten Moment entschied Eisner anders. An Stelle Katzenbergs heuerte er Michael Ovitz an. Der wusste zwar nicht, wie man ein Filmstudio führt, als Agent fast aller Grössen Hollywoods brachte er aber ein enormes Beziehungsnetz ein. Gekränkt verliess Kronfavorit Katzenberg Disney. Später verklagte er den einstigen Arbeitgeber auf 250 Millionen Dollar Schadenersatz. Noch vor dem Verhandlungstermin einigten sich Disney und Katzenberg ausser-gerichtlich. Die ausbezahlte Summe blieb geheim. Man spekuliert, Katzenberg habe 100 Millionen Dollar erhalten.

Es war ein Friede auf Zeit. Das Gerangel geht weiter. Hollywood hat den Broadway als Geldquelle entdeckt. Bis anhin diente New York Film- und Fernsehakteuren aus Los Angeles als Abwechslung zu den eintönigen Dreharbeiten. Auf den Brettern wollten die Stars vor Publikum und ohne Filmschnitt beweisen, dass sie wirkliche Schauspieler sind. Theater galt als Prestigegewinn. Geld, hiess es lange, konnte man damit keines machen.

Das hat sich geändert. Im vergangenen Jahr wurden Theaterkarten für über eine halbe Milliarde Dollar verkauft. Eine Untersuchung ergab, dass meist 20- bis 40-Jährige hingehen – eine ideale Klientel: kaufkräftig und kinderreich. Das fördert den Absatz von Merchandisingartikeln.

Ganz zur Freude der Buchhalter Hollywoods. Die können aus Ideen – noch immer kostbarstes Gut der Unterhalter – in noch mehr Kanälen Gewinne abschöpfen. Aus einer Geschichte lässt sich ein Film, eine Fernsehserie, ein Buch, ein Comic, Computerspiele, Spielzeuge und Plüschtiere, eine Web-Site oder eben eine Theaterproduktion machen.

Definitiv überzeugt hatte die Hollywoodstrategen der Erfolg des Musicals «The Lion King», 1994 bereits als Trickfilm mit einem weltweiten Umsatz von über einer Milliarde Dollar ausgesprochen einträglich. Die Theaterfassung, die selbst von Disney-Ächtern als «neue Dimension in Sachen Bühnenshow» gefeiert wird, ist seit November täglich mehrmals ausverkauft. Zu Karten kommt nur, wer lange ansteht. Ähnlich erfolgreich ist Disneys Märchen «The Beauty and the Beast», eine Adaptation des gleichnamigen Animationsfilms von 1991. Auf 500 Millionen Dollar beziffert das Branchenblatt «Variety» dessen bisherigen Erlös.

Disney-Konkurrent DreamWorks hat vor, «Prince of Egypt» in einer Musical-version zu lancieren. Der von Jeffrey Katzenberg initiierte Trickfilm läuft am 18. Dezember in den USA an. Die Dialoge, die Musik und die Lieder wurden so geschrieben, dass sie einfach für die Bühne adaptiert werden können. Ist der Film ein Hit, dürfte eine Abwandlung spätestens ein Jahr nach Kinostart auch am Broadway zu sehen sein.

Katzenbergs Nachteil: Er besitzt kein Theater. Darum ist er auf die Konkurrenten Ovitz und Eisner angewiesen.

Musicals bringen grosses Geld

Vom Broadway …

Die Beziehung zwischen der Filmstadt Hollywood und den Theatern am New-Yorker Broadway geht auf die Anfänge des Kinos zurück. Jahrzehntelang dienten Theaterstücke, die zuerst in Manhattan aufgeführt wurden, als Vorlage für Kinofilme. Der kreative Strom floss meist von Ost nach West, vom Broadway nach Hollywood.

… nach Hollywood …

Autoren, die Stücke für Broadway-Musicals oder -Theater schrieben, wurden in den dreissiger Jahren von boomenden Hollywoodstudios abgeworben und zu Drehbuchautoren umgeschult. Viele zogen der Sonne entgegen – es gab dort viel mehr zu verdienen. Dasselbe galt für Schauspieler, die auf der Bühne das Handwerk erlernten, in Hollywood aber weitaus bessere Verträge bekamen. Aus dieser Koope- ration entstanden Meisterwerke der Filmgeschichte: Elia Kazans «A Streetcar Named Desire» mit Marlon Brando basierte auf einem Broadway-Stück von Tennessee Williams.

… und zurück

Heute ist die Beeinflussung gegenseitig. Bald kommt Victor Hugos «Les Misérables» in die Kinos, adaptiert von der erfolgreichen Broadway- Version. Billy Wilders Filmklassiker «Sunset Boulevard» wurde für die Bühne adaptiert. Disney plant, künftig Trickfilme zuerst im Kino und spätestens zwölf Monate danach als Musical zu lancieren. �