Der andere Sex spielt die Hauptrolle

Früher galten sie als pervers. Heute macht Hollywood auch mit Schwulen, Lesben und Bisexuellen Kasse.

Von Peter Hossli

Lustvoll saugt sie an der dicken Zigarre. Die rauchige Stimme verbreitet Erotik. Schwarzer Zylinder und eng anliegender, geschlitzter Frack zeugen von männlicher Selbstsicherheit. Nur die wachen Augen und die schmalen Lippen verraten: Hier singt Marlene Dietrich, eine Frau. Ihre Auftritte erregten in den Dreissigern Männer wie Frauen.

Bett und Tisch teilte Marlene Dietrich mit beiderlei Geschlecht. Sie war der erste Star, der offiziell lieben durfte, wen er wollte.

Die bisexuelle Ikone schlechthin. Doch die Dietrich blieb die Einzige weit und breit. Lange galten in Hollywood nur tote Schwule als gute Schwule. Homo- oder bisexuelle Figuren kamen in US-Filmen zwar vor. Ihr Verhalten wurde jedoch als krankhaft oder bösartig geschildert. Den Abspann eines Films erlebten sie meistens nicht. Sie wurden umgebracht oder begingen aus Verzweiflung über ihre Sexualität Selbstmord.

Noch in den Neunzigern zeigte das Kino homo- oder bisexuelle Menschen fast nur stereotyp als Tunten, Schwuchteln, Transvestiten, Triebtäter und neuerdings als Aidskranke. Für Schauspielerinnen und Schauspieler galt: Wer auf der Leinwand oder am Bildschirm eine homosexuelle Figur verkörpert, kann die Karriere vergessen.

Das ist vorerst vorbei. Aus pekuniären Gründen. Lesben, Schwule und Bisexuelle füllen heute die Konten der Unterhaltungsindustrie.Heterosexuell gilt als gewöhnlich, Bi- und Homosexuelle sind der Hype der Stunde. Extravagantere Sexualpraktiken sind ein Marktfaktor auf und neben der Leinwand. Im Kino spielte Rolling Stone Mick Jagger 1997 einen Bisexuellen. Dass er Mann und Frau liebt, ist altbekannt – und heute gut zu verkaufen.

In «In & Out», einer der erfolgreichsten Komödien des letzten Jahres, spielt Kevin Kline einen schwulen Lehrer, der sich hinter einer heterosexuellen Fassade versteckt. Er wird im Film von seinem ehemaligen Schüler geoutet. Klines Karriere erfuhr keinen Knick. Im Gegenteil: Er wird seither als Schauspieler ernster genommen.

Im vergangenen Jahr outeten sich mehr oder minder freiwillig etliche Stars – ohne beruflich Schaden zu nehmen.

Ihr Outing brachte die Hauptakteurin der populären amerikanischen Sitcom «Ellen», Ellen DeGeneres, gar auf das Cover eines Nachrichtenmagazins. «Ist Amerika be-reit für einen lesbischen Fernsehstar?», titelte «Time». Amerika wars. Die Einschaltquoten der Sendung stiegen parallel zur Popularität der nun öffentlich lesbisch lebenden Schauspielerin. US-Vizepräsident Al Gore sprach gar seine «tiefe Bewunderung» für Ellen DeGeneres’ «Mut und Ehrlichkeit» aus.

Seither will fast jeder US-Schauspieler Sex mit seinesgleichen gehabt haben. Wöchentlich werden Dutzende von Drehbüchern mit schwul-lesbisch-bisexuellen Storys registriert.

Nicht nur zum Gefallen der Homosexuellen-Organisationen. «Ellen», vormals eine Sitcom, die alle Lebensbereiche abdeckte, handle nur noch von Lesben, sagen sie. Statt gleichgeschlechtlichen Sex als Teil des amerikanischen Alltags zu zeigen, drohe dieser erneut zur Karikatur zu verkommen.