«Scheissfilme drehe ich nur für Geld»

Der deutsche Schauspieler Jürgen Vogel über den neuen deutschen Film, seine Generation und den erotischen Reiz von Waffen.

Von Peter Hossli

Der deutsche Schauspieler Jürgen Vogel, 28, liebt das Extreme. In seinen Auftritten in über fünfzig Kino- und Fernsehfilmen hat er in Telefonzellen onaniert («Stille Nacht»), war ein abgefuckter Junkie («Smilla’s Sense of Snow») oder liebte eine Frau bis zum Umfallen («Sexy Sadie»). Im Zuge des deutschen Kinobooms etablierte sich der zweifache Familienvater zum grossen Charakterdarsteller der jungen deutschen Schauspielergeneration. Zurzeit ist Jürgen Vogel in Wolfgang Beckers Berlinfilm «Das Leben ist ein Baustelle» zu sehen.

Jürgen Vogel, Sie gelten als begehrtestes Sexsymbol des deutschen Kinos. In der ersten Szene ihres neusten Films «Das Leben ist eine Baustelle» kriegen Sie gar nichts hoch.
Jürgen Vogel: Diese Szene hat mir geholfen, das dumme Klischee zu bodigen.

Wegen des Sexappeals sind Sie doch ein Star geworden.
Vogel: In Deutschland gibts keine Stars. Man sollte dieses Wort gar nicht benutzen. Im Vergleich zu Amerika, wo es wirkliche Stars gibt, geht man hier mit den Leuten doch total kümmerlich um.

Sie fühlen sich also nicht gut genug behandelt?
Vogel: Das will ich nicht sagen. Bei uns sprechen aber immer nur jene Leute von Stars, von der Filmindustrie oder vom Kinoboom, die gar nichts dafür getan haben und noch weniger davon verstehen.

Deutschland hat in Kürze eine enorm erfolgreiche Kinoindustrie aufgebaut. Dafür braucht es doch weitsichtige Produzenten.
Vogel: Der deutsche Kinoboom basiert auf reinem Zufall. Zufällig kam die Komödie «Abgeschminkt» ins Kino, die dem Publikum rein zufällig gefiel. Dann machte man halt Komödien. Was jetzt kommt, weiss keiner. Will man wirklich eine Filmindustrie aufbauen, braucht es Leute, die planen und viele verschiedene Genres gleichzeitig lancieren.

Auf einem Graffito im Film «Das Leben ist eine Baustelle» heisst es «Liebe in der Zeit der Kohl-Ära». Sie sind 28 und haben nur in der Kohl-Ära geliebt.
Vogel: Ne, ne, da hab ich schon früher damit angefangen.

Dennoch: Was bedeutet die Liebe in der Kohl-Ära?
Vogel: Weiss ich doch nicht. Es hat aber schon einen Grund, dass der Kohl schon so lange an der Macht ist. Für mich spielt es aber überhaupt keine Rolle, wer Kanzler ist. CDU, SPD, FDP, Grüne? Ist doch alles derselbe Brei. Der eine ist schlechter, der andere ist besser. Was solls? Für Politik interessiert sich doch eh keiner mehr.

Und für Kohl?
Vogel: Kohl? Wer ist schon Kohl? Wir haben ihn gewählt. Wir sind die Idioten. Er repräsentiert uns. Zwar nicht mich, denn ich habe ihn nicht gewählt. Für die Deutschen steht er natürlich schon. Wenn ich mich so umgucke in den Kleinstädten, dann denke ich: Mit Kohl sind wir genau richtig repräsentiert.

Die Jugend von heute ist doch weltoffen, aktiv und innovativ.
Vogel: Ach wo. Meine Generation ist spiessiger denn je. Die Fuffziger sind überall. Die Moral und das bisschen politisches Bewusstsein, das es noch gibt, ist wie nach dem Krieg. Die Jugend hat keine Aussagen mehr. Nur noch Zudröhnen.

Bei euch Kunstschaffenden ist das anders?
Vogel: Ne. Die meisten von uns machen Biederkunst. Genau wie in den Fuffzigern. Damals liefen biedere Komödien, heute laufen biedere Komödien. Eigentlich sind wir ja dicke Arschlöcher, die nichts anders machen als Biederpuder duchzuziehen.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Vogel: Geld muss man benutzen. Es lebt nicht, man fühlt es nicht, man fühlt immer nur, was man damit machen kann. Geld ist irgendwo, dann wird es verteilt. Und dann wird was damit gemacht. Je mehr Geld man hat, desto mehr kann man damit machen. Wenn natürlich die falschen Leute viel Geld haben, geht das Geld nur in grosse Boote und Häuser rein.

Wie viel Geld haben Sie?
Vogel: Ich habe kein Geld. Ich lebe zwar gut, aber Geld habe ich keines, weil ich es gleich wieder ausgebe. Dafür ist es auch da. Kaufe mir ein Auto, meinen beiden Kindern ein Fahrrad, produziere einen Film. Wenn ich viel Geld habe, kaufe ich ein Haus mit einem schönen Hund dazu.

Würden Sie auf Ihre Gage verzichten?
Vogel: Bei einem guten Film: ja. Bei einem Scheissfilm bestimmt nicht. Scheissfilme drehe ich nur für Geld.

Als Schauspieler onanierten Sie in Telefonzellen, hatten Sex oder stiegen in ein dämliches Entenkostüm. Kennen Sie keine Scham?
Vogel: Ne, hab ich nicht. Warum? Das weiss ich selber nicht so genau. Mir gehen die ganzen Leute einfach am Arsch vorbei, was die denken. Aber das ist generell so, dass mir alle egal sind. Das hilft mir natürlich unheimlich beim Spielen. Ich habe keine Scham, weil mir alle Wurscht sind. Ein Mensch, der davor Angst hat, was die anderen denken, kann gar kein guter Schauspieler sein.

Dann sind Sie ein Egoist?
Vogel: Ein Egozentriker, klar. Alles was ich mache, mache ich nur für mich. Man kontrolliert sich selbst, und wenn man Scheisse baut, muss man sich selbst ärgern.

Sie gelten als Waffennarr.
Vogel: Ich mag Waffen, das ist etwas Geiles, etwas Extremes. Eine Pistole ist keine Bierflasche. Mit einer Waffe kann man in kürzester Zeit entscheiden, ob jemand lebt oder stirbt. Fürs Kino ist das superinteressant.

Die Zuschauer gehen nach Hause und probieren es selbst aus.
Vogel: Ach wo. Wenn ich Gewalt zeige, will ich Konsequenzen zeigen, die es in unserem Staat schon lange nicht mehr gibt. Die Kleinkriminellen gehen in den Knast. Die Grossen lässt man laufen. Und die eigentlichen Kriminellen, die Politiker nämlich, verdienen immer mehr. Der Wunsch nach Gewalt im Kino, das Bedürfnis, einfach Leute zu erschiessen, die einem nicht gefallen, ist doch so ‘ne Möglichkeit, Konsequenzen zu setzen. Zu sagen, ja, geil, der da wird einfach umgebracht, der so ein Arschloch ist.

Sie wollen die Revolution?
Vogel: Wir Deutschen sind zu satt für eine Revolution. Es wird aber zu amerikanischen Verhältnissen kommen. Verslumung der Aussenbezirke, absterbende Mittelschicht. Wenns aber zu einem Krieg kommt, findet man den Feind immer woanders, etwa die Japaner oder die Türken. Nach innen passiert nichts, dafür sind die Deutschen doch viel zu bequem.

Und die Wende 1989? Das war doch eine deutsche Revolution.
Vogel: Es ist keine Revolution, wenn Menschen keinen Bock mehr auf Sozialismus haben. Überhaupt war die Wende eine totale Verarschung der Leute. Man hat ihnen alles versprochen und nichts gehalten. Heute ist das Geld, das wir für die Leute im Osten bezahlen, nur dazu da, die Löcher im Bundeshaushalt zu stopfen.

Schlagen Sie sich denn auch ausserhalb des Kinos oder des Boxrings?
Vogel: Selten. Habe aber schon ein gewalttätiges Potenzial. Gehe nie auf die Leute zu und schlage sie sinnlos zusammen. Es ist immer Selbstverteidigung. Den Ehrgeiz zu zeigen, dass ich der Stärkste bin, habe ich nicht. Es gibt immer einer, der noch stärker ist als du.

Deutscher Film: So professionell wie Hollywood

Die Branche rüstet auf: In Deutschland sollen wieder richtig grosse Filme entstehen.

Das deutsche Kino erlebt wunderbare Zeiten. Die Deutschen strömen in deutsche Filme wie nie zuvor. 37 Prozent Marktanteil notierten die deutschen Statistiker im ersten Quartal dieses Jahres in ihre Tabellen. Deutsche Filme wie «Knockin’ on Heaven’s Door», «Das kleine Arschloch» oder «Rossini» verbuchten weit über drei Millionen deutsche Zuschauerinnen und Zuschauer.

Natürlich, mokieren sich die Kritiker, basiere dieser Erfolg fast nur auf banalen Komödien, die man schnell wieder vergesse. Mit dem grossen, internationalen Kino könnten deutsche Produktionen nicht mithalten. Dafür fehlten die guten Drehbücher, vor allem aber zugkräftige Stars.

Das stimmt nicht mehr. Seit rund drei Jahren werden in Berlin Mitte deutsche Stars in der Agentur Players geformt. Agenturgründerin Mechthild Holter und ihr Mann Béla Jarzyk nehmen fast ausschliesslich junge Schauspielerinnen und Schauspieler unter Vertrag, die das Potenzial zum Star haben: Vereint sind Jürgen Vogel, Til Schweiger («Der bewegte Mann») oder Maria Schrader («Du mich auch»).

«Coolness» sei «schon wichtig», sagt Agenturmitbesitzer Béla Jarzyk, wenn er im Loft-ähnlichen Grossraumbüro im Ostteil der wiedervereinigten Stadt über die Bedingungen spricht, die jemand erfüllen muss, um bei Players unter Vertrag genommen zu werden.

Wird ein Schauspieler von Players betreut, geschieht das rund um die Uhr. Holter und Jarzyk lesen für ihre Klienten täglich mehrere Drehbücher; sie suchen nach geeigneten Stoffen. Es sei besonders wichtig, dass eine Schauspielerin nur jene Filme mache, die zu ihr passten, sagt Jarzyk. Man müsse ähnlich wie in den USA das Image der Stars behutsam aufbauen. Bis anhin hätte jeder einmal irgendeinen Film gemacht und sich nie überlegt, welche Konsequenzen das haben könnte.

Zwei Sekretärinnen von Players führen die Agenden der Stars. Sie wissen stets, wo sie sich aufhalten. Mit der Presse vereinbaren sie Interviewtermine und wimmeln Journalisten ab, die nicht ins präzis kalkulierte Marketingkonzept passen. «Das ist neu in Deutschland», sagt Jarzyk. Früher hätte man möglichst viel Presse für einen Film gewollt, heute schaue man vermehrt auf die Qualität. Eine Geschichte im «Spiegel» sei ihm am liebsten.

Players lebt von den Gagen der Stars. Zehn Prozent von jedem Honorar treten die bei der Agentur engagierten Schauspieler ab. Über die Höhe der deutschen Starsaläre mag Jarzyk aber nicht sprechen. Sie seien noch unter einer Million Mark, beteuert er. Bei Produktionsbudgets, die sich im Bereich von höchstens fünf Millionen Mark bewegen würden, lägen noch lange keine amerikanischen Gagen drin.

Jarzyk ist überzeugt, dass die konsequente Arbeit seiner Agentur das deutsche Kino in eine neue Richtung drehen kann. Nicht mehr nur Komödien sollen in Deutschland entstehen, auch richtig grosse Filme.