«Ich denke, ich habe auch nicht inhaliert»

Die US-Botschafterin in der Schweiz will Versöhnlichkeit in der Holocaust-Debatte und gibt auf die Frage nach ihrem Drogenkonsum eine denkwürdige Antwort.

Von Peter Hossli und Mario Tuor

Frau Botschafterin Kunin, welche Anforderungen muss jemand erfüllen, damit er in den USA Asyl erhält?
Madeleine Kunin: Auf diese Frage habe ich mich nicht vorbereitet. Es wird wohl von Fall zu Fall entschieden. Als Botschafterin habe ich keine Verantwortung dafür. Das ist die Aufgabe des Justizdepartements und des Aussenministeriums in Washington. Denken Sie an einen speziellen Fall?

Wir fragen uns, ob Christoph Meili die Anforderungen erfüllt.
Kunin: Er ist ein Spezialfall. Meili hat einen einflussreichen Senator hinter sich. Zudem verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz, das seinen Fall rechtmässig machte. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Viele hat befremdet, dass ein Schweizer in den USA um Asyl nachfragt.
Kunin: Ich bin nicht sicher, ob er tatsächlich um Asyl nachgefragt hat. Man hat ihm die Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung angeboten, nicht Asyl.

Für viele Schweizer liegt – symbolisch gemeint – Moskau heute in Washington. Verstehen Sie solche Reaktionen auf die Attacken aus den USA?
Kunin: Lassen Sie mich eines klarstellen: Es handelt sich nicht um Attacken der USA. Im offiziellen Eizenstat-Report werden alle neutralen Länder unter die Lupe genommen. Kritisiert werden darin auch die USA. Es handelt sich um eine sehr ausgewogene Untersuchung über die Ereignisse während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Report basiert auf Tausenden von Dokumenten. Die USA will der Schweiz in keiner Weise vorschreiben, was sie tun soll. Um Ihre Frage aufzugreifen: Ich finde es schockierend, wenn Sie sagen, wir hätten Moskau ersetzt.

Etliche Leute denken so.
Kunin: Das ist absurd. Wir haben eine sehr gute Beziehung. Das Handelsvolumen war noch nie so gross wie heute. Aber: Einige Leute sind verärgert, einige beleidigt, in der Schweiz wie in den USA.

Es gibt rechtsbürgerliche Politiker, die offen wirtschaftliche Sanktionen gegen die USA fordern.
Kunin: Mir ist die Forderung bekannt, auf den Kauf amerikanischer Rüstungsgüter zu verzichten. Wir jedenfalls haben Aufrufe, die Schweizer Banken sollen boykottiert werden, stets zurückgewiesen. Es ist jetzt an der Zeit, dass sich die Gemüter etwas abkühlen. Schliesslich geht es in erster Linie um die vielen Opfer des Holocausts.

Diese werden zum Spielball politischer Interessen.
Kunin: Ja. Und das ist falsch. Die USA und die Schweiz sind zwei befreundete Demokratien. Manchmal streitet man, bleibt aber trotzdem freundschaftlich verbunden.

Erhalten Sie negative Briefe?
Kunin: Klar, aber ich erhielt schon zu meiner Zeit als Gouverneurin von Vermont solche Briefe. Das ist nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist, dass alles erst fünfzig Jahre nach Kriegsende geschieht. Für viele Leute ist besonders schwer zu verstehen, dass eine ganze Generation jetzt an den Pranger gestellt werden soll. Dabei glaubt meine Regierung nicht an Kollektivschuld. Es ist aber wichtig, die Vergangenheit anzuerkennen und zu verstehen.

Sie werfen der Schweiz vor, mit ihren Bankengeschäften den Krieg entscheidend verlängert zu haben. Der Historiker Walther Hofer sagt, mit diesem Geld hätten die Nazis nur gerade 72 Stunden Krieg führen können.
Kunin: Ich kenne Hofer nicht. Ich weiss nur, dass die Transaktionen jener Zeit einen Einfluss auf den Krieg hatten. Welchen? Ich bin keine Historikerin und keine Ökonomin. Es ist schwierig zu verstehen, was am Ende des Krieges und danach geschah.

Es gibt Leute, die sich fragen, warum die USA die Eisenbahnlinien nach Auschwitz nicht bombardiert haben.
Kunin: Solche Bemerkungen sind nicht sehr konstruktiv. Wir haben uns diese Frage ebenfalls gestellt. Beantwortet ist sie noch nicht. Wenn wir uns gegenseitig Vorwürfe machen, bringt das aber nichts. Es ist wie bei einem Tennismatch. Der Ball fliegt von einer zur anderen Seite. Wollen wir wirklich vorwärts kommen, muss jemand über das Netz springen und dem anderen die Hände schütteln.

Sie trafen sich am 14. Januar mit Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz, einen Tag bevor er sich für seine “Erpresser”-Bemerkung entschuldigte. Worüber sprachen Sie mit ihm?
Kunin: Ich würde keine Verbindung zwischen unserem Gespräch und der Entschuldigung herbeireden. Wir sprachen über viele Dinge, auch über seine Bemerkungen.

Waren Sie überrascht von Delamuraz’ Vorwurf der Erpressung?
Kunin: Ich möchte dieses Kapitel hinter mir lassen. Aber gewiss: Ja, ich fand diese Bemerkung nicht angebracht.

Drängten Sie ihn zur Entschuldigung?
Kunin: Nein. Darüber möchte ich nicht sprechen.

Haben die Schweizer in der Holocaust-Debatte etwas gelernt?
Kunin: Ich würde nicht sagen gelernt, aber es wurden schon etliche positive Schritte unternommen: Das Volcker-Komitee, die Bergier-Kommission, die privaten Sammlungen und jetzt hoffentlich die Solidaritätsstiftung.

Wird Senator Alfonse D’Amato weitere Attacken gegen die Schweiz reiten, wenn die Stiftung abgelehnt wird?
Kunin: Ich kann nicht für Senator D’Amato sprechen.

Die Banken haben kürzlich eine Liste von Inhabern nachrichtenloser Konten veröffentlicht. Wie reagierten Sie, als Sie dort den Namen ihrer verstorbenen Mutter sahen?
Kunin: Ich war sehr überrascht. Sie hat mir nie von einem Konto in der Schweiz erzählt. Ich werde nun alle Formulare ausfüllen und sehen, was passiert.

Wie viel Geld erwarten Sie?
Kunin: Ich habe keine Ahnung. Es wird aber kaum viel sein.

Haben Sie selber ein Konto bei einer Schweizer Bank?
Kunin: Ja. Ich brauche eines. Meine Ausgaben laufen darüber.

Die amerikanische Botschaft in der Schweiz wickelt ihre Geldtransaktionen also über Schweizer Konten ab?
Kunin: Ja.

Es stand nie zur Diskussion, diese Konten aufzukünden?
Kunin: Nein.

Sie waren 1984 eine der ersten Gouverneurinnen eines US-Bundesstaats. Wann wird die erste Frau US-Präsidentin?
Kunin: Ich weiss es nicht, hoffe aber sehr, diesen Tag noch zu erleben. Mehr und mehr Frauen nehmen in den USA wichtige Positionen ein, nicht nur in der Politik, auch in der Wirtschaft, an Universitäten. Es wäre schön, wenn eine Frau Präsidentin würde.

Haben Frauen in den USA dieselben Chancen wie Männer bei der Vergabe politischer Positionen?
Kunin: Mit Ausnahme des Präsidentenamtes: ja.

Warum nicht für dieses Amt?
Kunin: Es bestehen nach wie vor etliche Vorurteile darüber, zu was Frauen fähig sind. Man stellt sich Fragen wie: “Ist sie stark genug?” oder “Was würde sie in Kriegszeiten tun?”

Wo sind Frauen besser?
Kunin: Sie gelten oftmals als sympathischer und sind offen für Themen wie Ausbildung oder Umweltschutz.

Sollte im Jahr 2000 eine Frau zumindest als Vizepräsidentin antreten?
Kunin: Fordern kann man das nie. Es hängt immer von den Eigenschaften einer Kandidatin ab. Ich würde niemanden wählen, nur weil sie eine Frau ist.

Ein US-Präsident hat noch nie die Schweiz besucht. Es wäre an der Zeit.
Kunin: Wir wissen das. Der Besuch eines hohen offiziellen Vertreters der US-Regierung würde dem Verhältnis zwischen der Schweiz und den USA bestimmt gut tun.

Arbeiten Sie daran?
Kunin: Wir haben es diskutiert.

Können Sie präziser werden?
Kunin: Bill Clinton hat einen sehr gedrängten Terminkalender. Ein freies Datum zu finden ist schwierig. Ich hoffe aber, dass in den nächsten zwei Jahren ein Vertreter der US-Regierung in die Schweiz kommt.

Sie wohnen in der Nähe der Berner Drogenszene. Es gibt Diskussionen in der Schweiz, ob man Drogen legalisieren soll. Was halten Sie davon?
Kunin: Nichts. Drogen sollten keinesfalls legalisiert werden. Es macht mich traurig, wie offen in der Schweiz Drogen konsumiert werden.

Und was halten Sie von den Versuchen in der Schweiz, Schwerstsüchtigen Heroin unter ärztlicher Kontrolle abzugeben?
Kunin: Wir unterstützen solche Projekte nicht.

Bill Clinton wurde berühmt für seinen Satz, er habe zwar Marihuana geraucht, dabei aber nicht inhaliert. Haben Sie inhaliert?
Kunin (lacht): Ich denke, ich habe auch nicht inhaliert.

Die Schweiz bewundert das amerikanische Jobwunder. Warum ist die US-Wirtschaft so stark?
Kunin: Wir haben eine schwierige Zeit hinter uns. Deregulierungen, Entlassungen, Fusionen. Jetzt ernten wir die Lorbeeren. Viele Leute wurden umgeschult oder zogen dorthin, wo die Jobs sind. Die USA ist eine sehr mobile Gesellschaft. In der Schweiz ist es manchmal schwierig, von Biel nach Basel zu ziehen. In Amerika geht derzeit alles schneller als in anderen Ländern. Wir haben viel geringere Subventionen und Arbeitslosigkeit. Die Arbeitgeber sind flexibler.

In Ihrer Autobiografie beschrieben sie die Schweiz als “kleinlich”. Was meinen Sie damit?
Kunin: Die Geografie beeinflusst den Blick auf die Welt. Die Schweiz ist ein kleines Land. Amerika hat viel Platz. Da hat man mehr das Gefühl, Abenteuer seien möglich. Man kann grosse Träume haben. In der Schweiz weiss man, wohin man gehört, welche Freunde man hat. Ich mag beide Seiten: Die Tradition in der Schweiz, ich weiss aber auch, dass ich in der Schweiz nicht das Leben hätte führen können, das ich in den USA führte.

Wären Sie in der Schweiz ebenfalls Politikerin geworden?
Kunin: Diese Frage stelle ich mir oft. Ich weiss es nicht.

Würden Sie sich als Schweizer Politikerin für einen EU-Beitrag stark machen?
Kunin: Die Schweizer müssen allein entscheiden, ob und wann Sie bereit sind, der EU beizutreten.

Sie sind Amerikanerin mit einer sehr engen Beziehung zur Schweiz. Was essen Sie lieber? Hummer aus Neuengland oder Zürigschnätzlets?
Kunin: Da muss ich diplomatisches Geschick beweisen: Ich würde wohl ein Zweigangmenü bestellen.