Süsser Honig auf sauren Zitronenscheiben

Die amerikanische Schauspielerin Gwyneth Paltrow gilt als neue Audrey Hepburn. Und sie ist mit dem schönsten Mann der Welt verlobt. Jetzt startet ihr Film «Emma».

Von Peter Hossli

Unter dem schwarzen Wollkleid trägt Gwyneth Paltrow ein weisses Hemd und über dem Kleid eine zarte Goldkette. Klassisch. Sie träufelt Honig und Kamillentee auf Zitronenschnitze und schiebt sich die dünnen Scheiben in den Mund. Eine nach der anderen. Wenn sie über ihre Filme, ihren weltberühmten Geliebten oder über Bill Clinton spricht, strahlt aufgeklärtes Bürgertum und verklemmte Schüchternheit über das Gesicht der blonden Schauspielerin.

Eine wunderschöne Frau.

In Paris trifft sie sich mit der Presse. Gwyneth Paltrow, 24, hat einen neuen Film, den sie vermarktet. Und sie hat sich vor kurzem mit Hollywoodstar Brad Pitt verlobt, eine Neuigkeit, die Klatschspalten füllt und auf eben diesen neuen Film aufmerksam macht. Beides – Pressegespräch und Verlobung – werden die bis anhin wenig bekannte Aktrice wohl endgültig zum Leinwand-Superstar emporheben – und, nebenbei, das Geschäft beleben.

Zum richtigen Zeitpunkt. Nächste Woche startet in der Schweiz Gwyneth Paltrows Film «Emma», nach «Sense and Sensibility» eine weitere Verfilmung eines Romans der britischen Schriftstellerin Jane Austen. Paltrow gibt darin die naive Kupplerin Emma Woodhouse.

Und sie spielt Szenen ihres noch kurzen Lebens: Emma ist jung, schön und beruflich erfolgreich. Einen Mann will sie nicht. Lieber schlägt sie die Zeit mit Konversationskeulen, ergo Dorfklatsch, tot. Gelegentlich tritt sie zum Bogenschiessen oder zum Kaffeekränzchen an. Ansonsten beschäftigt sie sich mit der Kuppelei, Emmas Profession. Nichts erfüllt sie mit grösserer Freude als ein von ihr geformtes Paar. Von trauter Zweisamkeit will Emma selbst nichts wissen – bis ihr beim Versuch, die beste Freundin zu verheiraten, der Mann fürs Leben über den Weg läuft. Zufällig.

Den Mann fürs richtige Leben fand Gwyneth Paltrow, ebenfalls jung, schön, erfolgreich und «dem Klatsch nicht abgeneigt», vor zwei Jahren, zufällig während der Dreharbeiten zum Film «Seven»: Brad Pitt, damals wie heute angeblich der schönste Mann der Welt. Seither, prophezeien amerikanische Hochglanzmagazine, ist Paltrows Weg an die Spitze der Unterhaltungsbranche kaum zu stoppen.

Sie wurde ins Showgeschäft hineingeboren. Ihre Mutter, Blythe Danner, arbeitet als Schauspielerin noch immer, ihr Vater, Bruce Paltrow, schreibt Drehbücher und inszeniert und produziert erfolgreiche Fernsehserien. Geld war nie ein Problem, eher die Wahl des Wohnortes. Die Mutter erzog ihre Tochter wechselweise an der Ost- und der Westküste. «In New York sollte ich einen Sinn fürs Kulturelle erhalten», erinnert sich Paltrow an Mutters Erziehungspläne, «in Los Angeles fürs Geschäftliche.» Zum Film brachte sie ein Freund der Familie. Regisseur Steven Spielberg riet der damals 16-Jährigen, sie solle es doch mit Schauspielerei versuchen. Seine Hilfe war ihr Gewiss.

Auf dem Ledersofa eines Pariser Hotels rutscht Gwyneth Paltrow hin und her. Lange Zeit redet sie gelassen, wirkt zurückhaltend. Brav beantwortet sie Fragen zur Situation der Frauen im Filmgeschäft – «es ist besser geworden, aber nach wie vor bekommen wir selten spannende Rollen, immer mehr Frauen lassen sich jedoch vertraglich zusichern, dass sie auf dem Set Stillpausen einlegen dürfen» -, zur Autorin Jane Austen – «sie ist beliebt, weil ihre Bücher zeitlos aktuell und lustig sind und von den profanen Dingen des Lebens berichten, von der Liebe oder vom Geld zum Beispiel» – und zum Ausgang der letzten US-Wahlen – «gut, dass Clinton gewonnen hat, schade, dass der Kongress noch immer republikanisch ist».

Wenig Anteilnahme, überlegte Antworten, kaum Gefühlsregungen. Erst die Pitt-Fragen lassen Paltrow erwachen.

Ja, er sei ein toller Typ. Nein, er ist nicht langweilig. Ja, sie fände in «cute», herzig. Nein, sie lese keine Klatschpostillen, die Unwahrheiten über sie und ihren Boyfriend verbreiten würden. Ja, sie hätten noch ein Privatleben, vor allem in ihrer Wohnung im New Yorker Künstlerquartier Soho oder im Haus in den Hollywood Hills. Und, ja, Brad Pitt sei unter ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, während sie aus reichem Haus stamme. Nein, Probleme hätten sie damit keine.

Sie ist ein Glückskind. Die Zeitschrift «Vogue» bezeichnete Gwyneth Paltrow letzten August gar als «glücklichste Frau der Welt». Schliesslich habe sie den schönsten Mann mit dem grössten Sexappeal im Bett und am Tisch.

Getroffen hatten sich Brad Pitt und Gwyneth Paltrow auf dem Set von «Seven», dem gescheiten Serienkiller-Thriller, in dem Paltrow die besonnene Ehefrau eines leicht manisch veranlagten Fahnders gibt, den Pitt verkörpert. War es Liebe auf den ersten Blick? «Für ihn schon. Bei mir dauerte es eine Weile», sagt Paltrow.

Wie reagiert sie auf Schlagzeilen wie «Paltrow-Pitt – the hottest couple in Hollywood», das spannendste Paar Hollywoods? «Das ist mir egal. Die Leute sind bloss eifersüchtig und denken: «Jetzt hat dieser great-looking guy auch noch eine okay-looking Freundin gefunden. Hat er nicht verdient.» Wenn du Erfolg hast, wollen dich alle tief fallen sehen.»

Das sei wohl auch der Grund für die Fotos von ihr und Pitt beim Nacktbaden gewesen, die ein Paparazzo vor zwei Jahren aufgenommen hatte und die später in bunten Illustrierten abgedruckt wurden und nun auf dem Internet zirkulieren. Gestört hat es sie wenig. Allerdings: «Seither weiss ich, dass ich nur noch in meiner eigenen Badewanne nackt baden kann.»

Gwyneth Paltrow wirkt selbstsicher. Und elegant. Mit viel Geschick und ohne Unterbrechung des nun angeregt verlaufenden Gesprächs dreht sie ein leeres Honiggläschen zu und öffnet ein zweites. Pausenlos redet sie von Pitt. Der Honig fliesst auf die sauren Zitronen.

Als Brad Pitts Freundin sehen sie heute nur noch die wenigsten. «Gwyneth ist eine klassische Schauspielerin. Sie wird in jedem Alter komplexe Charaktere verkörpern können», sagt Steven Spielberg, der ihr in seinem Peter-Pan-Spektakel «Hook» eine Nebenrolle gab. «Emma»-Regisseur Douglas McGrath wollte Paltrow für die Hauptrolle seiner Romanverfilmung, nachdem er sie im Texas-Drama «Flesh and Bone» sah. «Sie sprach einen perfekten Texas-Dialekt», sagt McGrath beim Pressetermin in Paris, «da habe ich mir gedacht: es würde ihr bestimmt leicht fallen, den britischen Akzent des frühen 19. Jahrhunderts zu imitieren.»

Der Chef des Haute-Couture-Hauses Gucci, Tom Ford, schreibt ihr Qualitäten einer Grace Kelly oder einer Audrey Hepburn zu – Frauenfiguren, die der Unterhaltungsindustrie seit Jahren fehlen. Eine Lücke, die Paltrow nun füllen soll.

Calvin Klein, ebenfalls Kleiderfabrikant, schwärmt, Paltrow sei im Gegensatz zu vielen anderen Stars überhaupt nicht prätentiös. «Sie ist modern, und sie ist kultiviert, und sie ist intelligent, und sie ist verschmitzt. Eine ideale Kombination.»

Durch intellektuelle Brillanz fiel Gwyneth Paltrow allerdings selten auf. «Als Schülerin befand ich mich notenmässig stets im unteren Mittelfeld.» Beim Sozialleben lag sie an der Spitze. Zeit zum Lernen nahm sie sich während der High School wenig. Die Pubertät brachte hormonelle Veränderungen hervor und gebar aus dem «dünnen, hässlichen Entlein» einen Schwan, wie Paltrow sagt.

Die veränderten Hormone zogen sie von der Bibliothek zu privaten und öffentlichen Festen, wo Frauen wie Männer sich erstmals im gefährlichen Spiel mit der Liebe versuchten. Grundkenntnisse in Mathematik oder Physik hätten hier nur vom Wesentlichen abgelenkt.

Zur akademischen Vorbildung reichte es trotzdem. Eines guten Onkels wegen: Michael Douglas, Star und Produzent in Hollywood und Abgänger der University of California in Santa Barbara, bestellte dem Rektor seiner ehemaligen Uni, er soll Gwynnie einen Studienplatz anbieten, selbst wenn sie die Aufnahmebedingungen nicht erfüllen würde. Das Telefon des Prominenten gereichte zum sofortigen Erfolg. Paltrow bekam den Lernstuhl.

Im Hörsaal erschien sie selten. «Ich lag lieber an der Sonne oder ging auf Partys, verliebte mich in blonde, blauäugige und gut gebaute Surfer.» Und sie fuhr regelmässig nach Los Angeles zum Vorsprechen. Nach ein paar wenigen Semestern schon quittierte sie das Studium. Die Mutter hatte ihr eine Rolle am Williamstown-Theater in Massachusetts verschafft. Paltrows Schauspieltalent versprach mehr Aussichten auf Erfolg als die eingeschlagene akademische Laufbahn. «Mutter hatte Recht», sagt Paltrow.

Behutsam plante das Elternpaar nach dem Uni-Ausstieg den Karriereverlauf der Tochter. Es sollte Schritt für Schritt vorwärts gehen. Neben John Travolta agierte sie 1991 erstmals in einem Film, «Shout», an den sich heute höchstens eingefleischte Travolta-Fans noch erinnern. Spielberg, der Freund der Familie, engagierte sie für «Hook». Später wirkte sie in Fernsehserien mit und erlangte den Ruf einer vielfältigen Schauspielerin, deren Gesicht ungeheure Frische ausstrahlt. Zwischen 1993 und 1996 drehte sie acht Filme: «Malice», «Flesh and Bone», «Mrs. Parker and the Vicious Circle», «Seven», «Moonlight and Valentino», «Jefferson in Paris», «The Pallbearer» und «Sidney». Seit «Emma», in den USA ein Überraschungserfolg, gilt sie als «bankable Star», als Frau, deren Name allein schon Filme verkaufen kann.

Hat sie keine Angst, dass ihr dasselbe Schicksal wie Julia Roberts widerfährt, die seit «Pretty Woman» einem Erfolg hinterhereilt? «Nein. Julia Roberts hat nach «Pretty Woman» eine Zeit lang nur kommerzielle, sehr teure Filme gedreht. Der Erfolgsdruck war enorm.» Paltrow möchte als Schauspielerin und Person wachsen und ihr noch nicht ausgereiftes Können entwickeln. Wie denn? «Nach jedem grossen Film werde ich für einen unabhängigen Regisseur arbeiten, der mit seinem Film mehr will als Geld verdienen.»

Eine junge Frau bringt ihr ein weiteres Gläschen Honig, das Paltrow öffnet und zusammen mit dem übriggebliebenen Kamillentee auf die restlichen Zitronenschnitze träufelt. «Wird in Hollywood ein Film gedreht, sind politische und ökonomische Entscheide wichtiger als eine gut erzählte Geschichte», sagt sie und schiebt sich eine Zitronenscheibe in den Mund. «Raucherentwöhnung», fügt Paltrow ungefragt an. Bis vor kurzem habe sie mehrere Päckchen Camel pro Tag geraucht. «Eine schlechte Angewohnheit.» Heute esse sie viel Honig und trinke Tee.

Nach Ende des Gesprächs reicht sie artig die Hand zum Abschiedsgruss, greift ins Haar und wendet sich der Assistentin zu. «Bringen Sie mir noch etwas Tee und Zitronen.» Honig hat es noch.

Dorfklatsch mit Liebe zum Detail
«Emma», Regie: Douglas McGrath, mit Gwyneth Paltrow.
Kuppelei ist ausgefeilter Klatsch. Das gilt heute und das galt im England des frühen 19. Jahrhunderts, wo Jane Austen ihren 1816 erschienenen Roman «Emma» ansiedelt. Douglas McGrath, Drehbuchautor von Woody Allens «Bullets Over Broadway», hat daraus einen köstlichen Film über die bizarren Folgen schlecht platzierter Indiskretionen gemacht. Wird über vermeintlich Banales getuschelt, verfolgt Emma Woodhouse (Gwyneth Paltrow) stets denselben Zweck: Sie will zwei einsame Seelen zusammenführen, also Schicksal spielen. Da kommt es schon einmal vor, dass sie mit gezielten Falschmeldungen Herzen bricht oder zusammenführt. Nur sie selbst will am Liebesspiel nicht teilnehmen. Schliesslich ist der Vater krank. Beim Kuppelversuch geschieht es dann doch: Emma trifft den Mann ihrer Träume und verfällt unsterblich dem Urleiden der Menschheit. Von McGrath mit viel Liebe fürs Detail inszeniert, lebt «Emma» neben frechen Dialogzeilen vornehmlich vom genüsslich zu beobachtenden Spiel der Akteure. Bis in die kleinen Nebenrollen agieren hochkarätige Leinwandmimen. Und Paltrow? Dank ihres unsicheren Charmes ist sie die eleganteste Schauspielerin ihrer Generation.