Der gute Pornokönig

Hustler heisst das berühmte Pornoheft von Larry Flynt. Jetzt gibt es das Leben des Verlegers als Film. Das sorgt in den Vereinigten Staaten für hochrote Köpfe.

Von Peter Hossli

Täglich schlief der heute impotente Larry Flynt mit einem halben Dutzend Frauen. Vor hohe Richter trat er jeweils mit dem Nuggi und in Windeln, gewickelt aus dem Sternenbanner. Sein multinationaler Konzern publiziert gegen dreissig Pornohefte. Einem angesehenen Fernsehprediger unterstellte er inzestuösen Sex mit der Mutter. Und dem FBI stahl Flynt geheime Videobänder mit politisch brisantem Inhalt. Kurz: Larry Flynt, 55, ist das Gegenteil des rechtschaffenen «All American Hero».

Er ist ein Schmuddelmann.

Jetzt ist Flynt plötzlich ein Held, respektiert von Amerikas Intelligenzija, gewürdigt als Musterbürger und Patriot, verehrt als Retter des höchsten Gutes amerikanischer Demokratie: des Rechts auf Meinungsfreiheit, festgehalten im «First Amendment», dem ersten Zusatz der US-Verfassung. Dafür steht der Pornokönig in Milos Formans umstrittenem Biografiefilm «The People vs. Larry Flynt».

Der Film, kurz vor Weihnachten in den USA angelaufen und ab nächster Woche in Schweizer Kinos zu sehen, löste in amerikanischen Leitartikeln und Fernseh-Talkshows gleichermassen Begeisterungsstürme und Entsetzen aus. Die Kritik kürte Formans lakonischen Blick auf das Amerika zwischen den Zentren fast einheitlich zur künstlerischen Tour de force und intelligenten Beitrag zur Demokratiediskussion. Gleichzeitig verurteilten Rechtskonservative und prominente Feministinnen den nun herbeigeführten Imagewandel Flynts vom schmierigen Pornozaren und anarchistischen Multimillionär zum Hüter des «First Amendment». Freie Meinungsäusserung, tönten sie einhellig, ende bei der Pornografie.

Diese unheimliche Allianz führte dem viel gepriesenen Film schweren Schaden an den US-Kinokassen zu. Zusätzlich könnte sie ihn den erwarteten Oscar-Segen kosten. Bekämpfen Feministinnen, religiöse Fanatiker und Flynts Konkurrenz geeint einen Film, lenke das die prüden Oscar-Juroren von objektiver Qualitätsbeurteilung ab, fürchtet die Produktionsfirma Columbia.

Larry Flynts Leben erzählt die amerikanische Urgeschichte, angesiedelt im Rotlichtdistrikt. Geboren in einer Holzhütte im Osten Kentuckys, arbeitet sich Flynt erst mit Alkoholschmuggel, dann mit düsteren Nachtklubs und schliesslich mit Pornomagazinen zum Multimillionär empor.

Er lebt bizarr und promiskuitiv, steht auf schmierigen Luxus, Elfenbeinmöbel, Rüschenhemden und schwere Ami-Schlitten. 1975 heiratet Flynt die 17-jährige, drogensüchtige und bisexuelle Stripperin Althea. Sie erkrankt an Aids, lange bevor die Welt weiss, welches Ausmass die Immunschwächekrankheit dereinst haben würde.

Ein Leben lang strebt Flynt nach Anerkennung. Er bemüht sich um das Amt des US-Präsidenten und lässt sich vorübergehend von Jimmy Carters Schwester Ruth zum Evangelismus bekehren.

Die Erleuchtung erfolgt in Flynts Privatjet. Am Tag danach ändert er die Ausrichtung seines einträglichen Pornoheftes, des «Hustler»: Ab sofort lässt er Sex mit Religion paaren. Die Auflage bricht ein. Vorübergehend.

Dabei ist der «Hustler» Flynts Husarenstück. 1973 als Programmheft für dessen acht Nachtklubs erstmals verlegt, sollte er die Antithese zum teuren Hochglanzmagazin «Playboy» werden – eine Art Sexheftli der Arbeiterklasse. Während «Playboy»-Herausgeber Hugh Hefner vornehmlich halbnackte, durch den Weichzeichner abgelichtete Frauen sowie Anzeigen für Martini Bianco und teure Stereoanlagen druckt, glaubt Flynt eine Formel für Pornografie gefunden zu haben, die auch einfacheren Leuten gefällt: Frauen, wie Gott sie schuf, ungeschminkten Sex, kopulierende Paare, Oral- und Analverkehr, Schenkelklopfhumor.

«Hustler» schlägt ein. 20 Millionen Dollar setzt der «Hustler» bereits Mitte der siebziger Jahre um – Geld, das Flynt bald dringend benötigt. Moralhüter wollen sein Heft verbieten und reichen in mehreren Bundesstaaten Klage ein. Vor Gericht obsiegt Flynt meistens. Sein Anwalt Alan Isaacman, der Pornografie verabscheut, argumentiert mit Flynts Anspruch auf Meinungsfreiheit, ein Recht, das US-Gesetzeshütern heilig ist.

Gelegentlich bekennt sich Flynt gar einer Schuld: des schlechten Geschmacks. «Doch der ist nicht strafbar. Das Problem dieses Landes ist», gibt er vor Gericht zu Protokoll, «dass Sex als schlecht und schmutzig gilt. Wer Vaginas nicht mag, soll sich beim Hersteller beschweren.»

Flynt meint Gott.

Als er 1978 ein Gerichtsgebäude siegreich verlässt, schiesst ihm ein unbekannter Attentäter ein faustdickes Loch in Bauch und Wirbelsäule. Flynt überlebt, bleibt aber querschnittgelähmt – und impotent. Mit Ehefrau Althea schliesst er sich während Jahren in einer Villa in Beverly Hills ein, wird schwer drogenabhängig und versinkt in der Obskurität.

Erst 1983 – die Moralisten im Lande sind nach Präsident Reagans Amtsantritt nach rechts abgedriftet – taucht Flynt wieder auf, drogenfrei, an den Rollstuhl gefesselt und entschlossen, es der Welt noch einmal zu zeigen. Im November 1983 druckt er im «Hustler» in einer gefälschten Campari-Anzeige ein Interview mit dem Fernsehpfarrer Jerry Falwell.

Darin gibt Falwell zu Protokoll, er habe sein erstes sexuelles Erlebnis mit seiner Mutter gehabt, in einem Plumpsklo bei einem Glas Campari. «Ich habe nie erwartet, dass ich es dereinst mit Mutter machen würde», sagt Falwell im imitierten Gespräch, «aber nachdem sie es mit allen anderen Jungs der Stadt getrieben hatte, dachte ich mir: «Wen kümmerts?»!»

Falwell gerät in Rage und verklagt Flynt auf 40 Millionen Dollar Schadenersatz. Recht vom Supreme Court, dem höchsten US-Gericht, bekommt im Februar 1988 allerdings Larry Flynt. Da Falwell ein Mann von öffentlichem Interesse sei, begründet das Gericht das Abschmettern der Klage, trage eine Satire zur öffentlichen Diskussion bei und falle daher unter den Meinungsfreiheits-Artikel. Seither gilt der Urteilsspruch «Falwell vs. Flynt» als geschichtsträchtiges Verdikt für die Redefreiheit. «Wenn die Verfassung Abschaum wie mich schützt», sagt Film-Flynt Woody Harrelson nach dem Prozess, «dann wird er auch euch schützen. Denn ich bin der Schlimmste.»

Flynts Selbsteinschätzung teilen jetzt zahlreiche amerikanische Frauenorganisationen. Sie stören sich an der nun erfolgten Preisung Flynts als Retter der US-Verfassung und Vorreiter ungezwungener Sexualität. «Hustler» habe keineswegs für die gloriosen Tage der sexuellen Revolution gestanden, sondern für brutalen Sexismus. Als Beispiel nennen sie das zu Berühmtheit gelangte «Hustler»-Cover einer nackten Frau, die durch den Fleischwolf gedreht wird. Flynt beute Frauen in verachtenden Bildern in grässlicher Weise aus. Auf Fotos festgehaltene Vergewaltigungen oder mit Exkrementen beschmierte Blondinen stünden nicht für sexuelle Befreiung.

Gloria Steinem, Gründerin und erste Chefredaktorin des populären Frauenmagazins «Ms.», bezichtigte Forman und die gesamte Filmindustrie in einem viel beachteten Leitartikel der «New York Times» des Zynismus. Ein Pornokönig sei genauso wenig ein Held wie ein Nazi im Internet oder der Herausgeber von Klu-Klux-Klan-Propaganda. Über solche Gestalten drehe Hollywood keine Filme, obwohl ihre Meinungen ebenfalls verfassungsmässig geschützt seien. Nackte Frauen, schrieb sie, verkauften sich an der Kinokasse besser. Steinem, die nach ihren Angriffen auf Flynt in einem im «Hustler» abgedruckten Fotoroman als Opfer sexueller Verstümmelung dargestellt wurde, ist Flynt «nicht dankbar, dass er meine Rechte schützt».

Zusätzlich schaltete sich Flynts Tochter Tonya, 31, ein. Sie beschuldigte ihren Vater, sie sexuell ausgebeutet zu haben, und protestierte zusammen mit mehreren hundert Frauen gegen die Aufführung des Films. In einem TV-Gespräch mit CNN-Mann Larry King bezeichnete Flynt seine Tochter als «Verrückte», die er nur 30 Tage in ihrem Leben gesehen haben will.

Zum vorläufigen Höhepunkt geriet die Pornodebatte, als sich Flynts Konkurrent, der «Penthouse»-Verleger Bob Guccione, in die Diskussion einschaltete. Guccione publizierte in der Februar-Ausgabe von «Penthouse» ein Interview mit Bill Rider, einem ehemaligen Schwager Flynts. Der Pornoverleger, gab Rider zu Protokoll, habe auf seine eigene Frau Althea geschossen und seine Tochter Theresa vergewaltigt, als sie 13-jährig war.

Diese Vorwürfe spart die Leinwandversion aus. «Bewusst», schreiben die Autoren Scott Alexander und Larry Karaszewski im Vorwort ihres publizierten Drehbuchs: «Das Leben Flynts zu dramatisieren war ein Trapezakt. Hätten wir zu viele Details über ihn veröffentlicht, das Publikum hätte sich gelangweilt.»

Mit dieser Erklärung nicht zufrieden gibt sich «Ms.»-Gründerin Steinem. An einer Pressekonferenz wiederholte sie den Vorwurf, Formans Film sei massiv sexistisch: «Hätte Flynt dieselben brutalen Bilder von Tieren publiziert», sagt sie, «der Film wäre nie gedreht worden.»

«The People vs. Larry Flynt»

Larry Flynt richtet selber über Larry Flynt

Das Gezänk um Milos Formans «The People vs. Larry Flynt» begann, lange bevor jemand den Film gesehen hatte. Jack Valenti, oberster Zensor der Filmindustrie, verbot das offizielle Filmplakat, das Woody Harrelson in der Rolle des Pornokönigs Larry Flynt gekreuzigt über einer Frauenscham zeigt. Ansonsten besticht der brillant inszenierte Biografiefilm durch die Wahl der Akteure und deren Spiel. Harrelson war noch nie so luzid wie als verkokster Pornoverleger. Courtney Love, Rocksängerin und Witwe von Kurt Cobain, gibt Flynts Ehefrau Althea in einer Parforce-Leistung.
Für Insider besetzte Forman die Rolle eines reaktionären Anwaltes mit James Carville, einem ehemaligen Berater des heutigen US-Präsidenten Bill Clinton. Der richtige Flynt kommt ebenfalls zum Filmdebüt. Er gibt einen fetten Richter, der den ungehaltenen Flynt des Saales verweist.