«Eine Frau muss stark sein»

Nur wenige Frauen werden im Filmbusiness ernst genommen. Die US-Regisseurin Allison Anders gehört dazu.

Von Peter Hossli

Die 41-jährige Allison Anders ist seit ihrem Erstling «Gas Food Lodging» (1990) eine wichtige Kraft des unabhängigen amerikanischen Kinos. Darin erzählt sie von einer allein erziehenden Mutter, die im Niemandsland von Texas zwei Töchter grosszieht. Verarbeitet hat Anders mit diesem Film ihre verkorkste Jugend. Im Alter von sechs Jahren verliess Allisons Vater die Familie, mit zwölf wurde sie vergewaltigt, mit 15 hatte sie den ersten Nervenzusammenbruch. Mit 17 ging sie nach Los Angeles und begann, ihr Leben zu ordnen. Ihren ersten Job im Filmgeschäft erhielt Anders von Wim Wenders. Sie arbeitete 1984 als Assistentin bei «Paris, Texas». Ihre Filme thematisieren stets vermeintlich schwache Frauen, die selbstständig werden.

Frau Anders, hat Sie der Ausgang der Wahlen in den Vereinigten Staaten gefreut?
Allison Anders: Bedingt. Gefreut hat mich die Legalisierung von Marihuana in Kalifornien. Aber die Abschaffung der Unterstützung von Benachteiligten war ein Zeichen für die konservative Tendenz in den USA. Das hat mich getroffen.

Und die Wiederwahl Clintons?
Anders: Das war eine Erleichterung.

Die Filmindustrie unterstützt jeweils die demokratischen Kandidaten. Denkt Hollywood derzeit auch noch so?
Anders: Ich glaube schon, obwohl viele Leute meinen, Clinton sei ziemlich vulgär. Ich mag es nicht sonderlich, dass der Präsident mit Rockstars musiziert oder mit Schauspielern isst.

Würden Sie einer Einladung ins Weisse Haus nicht auch Folge leisten?
Anders: Natürlich. Allerdings gefällt mir Vizepräsident Al Gore besser, er ist wenigstens sexy. Schlimmer als Clintons Starneurose ist aber jene des Dalai Lama. Er zeigt sich dauernd mit Richard Gere und lässt sich mit Naomi Campbell ablichten. Das ist doch pervers. Nicht mal der Papst tut das.

Sie sorgen sich um die zunehmend konservative Tendenz. Ist das der Grund, warum Sie in ihrem neusten Film «Grace of My Heart» nostalgisch in die toleranten Sixties blicken?
Anders: Warum nostalgisch? Es gab damals eine Haltung, die mich nach wie vor fasziniert. Privilegierte halfen tatsächlich Unterpriviligierten. Man konnte andere Rassen unterstützen, ohne gleich als rassistisch zu gelten – heute würde ich als heuchlerisch abgestempelt. Die Schwarzen sagen: «Wir brauchen euch Weisse nicht mehr.» Die Frauen sagen dasselbe über die Männer. In den Sechzigern war das anders. Man half einander.

Das ist doch ein Mythos. Waren es nicht Männer, die Männern halfen?
Anders: Es gab viele Aktivistinnen, die oft im Hintergrund gute Arbeit leisteten.

Eben, im Hintergrund. Hat die Frauenbewegung der sechziger Jahre denn tatsächlich etwas gebracht?
Anders: Wir haben zwar mehr berufliche Möglichkeiten, noch aber verdienen wir viel weniger.

Auch im Showgeschäft?
Anders: O ja. Nehmen Sie die bekannte TV-Serie «Akte X». Die Hauptdarsteller, ein Mann und eine Frau, sind beide gleich bekannt, beide haben dieselbe Bildschirmzeit. Dennoch bekommt er doppelt soviel wie sie. Und ich als Frau bekomme bei jedem Film nur halb so viel wie der Regisseur.

Einen Platz in der Öffentlichkeit haben sich die Frauen aber erkämpft.
Anders: Das Gegenteil ist derzeit der Fall. Die Frauen gehen zurück ins Haus, zu den Kindern und an den Herd. Wir sprechen bereits von den Yuppie-Hausfrauen, die sagen: «Ich hatte meine Karriere, jetzt gehe ich wieder nach Hause.»

Denise Weaverly, die Hauptfigur in «Grace of my Heart», erinnert an die Songwriterin Carole King. Zufall?
Anders: Nein, aber Carole King war nicht das einzige Vorbild. Denise hat viel mit meinem Leben gemein.

Die Musikindustrie als Metapher für die Filmindustrie?
Anders: Die Frauen, die in den sechziger Jahren begannen, Lieder zu texten, mussten stark gegen die Vormacht der Männer ankämpfen. Mir geht es im Filmgeschäft noch immer so.

Sie sind die einzige Frau, die in Hollywood ernst genommen wird.
Anders: Jane Campion wird auch ernst genommen, aber sie ist Neuseeländerin. Zudem gibt es viele Regisseurinnen, die romantische Komödien drehen dürfen. Nur selten werden sie unterstützt, mit einem ernsthaften Film ihre Stimme zu erheben. Eine Frau muss stark sein, um im Geschäft bestehen zu können.

Und Sie sind stark genug?
Anders: Es gibt wenige Leute, die mich bisher beeindruckt haben. Ausser im Gespräch mit den Weinstein-Brüdern …

… den New Yorker Produzenten und Verleihern von «Pulp Fiction» …
Anders: … habe ich mich noch nie ungemütlich gefühlt; sie sind auf noch wilderen Strassen aufgewachsen als ich. Ansonsten sind Hollywoodproduzenten Menschen, die teure Anzüge tragen und nicht sonderlich smart sind.

Sie gelten als eine der wichtigsten Personen des unabhängigen US-Kinos. Gibt es das überhaupt noch?
Anders: Nein. Das unabhängige amerikanische Kino ist tot. Zumindest derzeit. Es ist kaum mehr möglich, ausserhalb des Hollywood-Systems Filme zu finanzieren.

Warum?
Anders: Die Geldquellen von früher sind versiegt. «Sex, Lies and Videotape» oder «Gas Food Lodging» würden heute nicht mehr gedreht. Dasselbe gilt für Filme von Jim Jarmusch. Die wurden von deutschen Fernsehanstalten gefördert. Seit der Wende zahlen sie nichts mehr.

Wo stehen Sie?
Anders: Zwischen der Industrie und dem Niemandsland. «Grace of My Heart» hat den Leuten in Hollywood erstmals gezeigt, dass ich Schauspieler führen und ein grossen Publikum ansprechen kann.

Was ändert sich für Sie?
Anders: Ich habe einen neuen Agenten und beginne, für Hollywood geschriebene Drehbücher zu lesen. Dabei sage ich mir: «Wäre doch schön, einen Hollywoodfilm mit grossem Budget und richtigen Stars zu drehen. Ich bin es müde, ums Geld zu kämpfen, möchte endlich reich werden. Und so weiter.» Dann lese ich ein Hollywooddrehbuch und frage mich: Was? Ist das alles? Wo bleibt der Rest? Dann stelle ich das Buch auf den Kopf und hoffe, die Story falle unten raus. Leider ist dem nie so.

In die Kinos strömen die Leute nicht wegen Storys, sondern wegen Stars.
Anders: Genau das überrascht mich. Die meisten Stars können zwar einen Film verkaufen, aber sie tragen ihn nicht. Es irritiert mich, wie seicht sie in diesen Filmen wirken. Viele haben doch komplexe Leben, lassen sich ihre Brüste verkleinern oder vergrössern, heiraten, lassen sich scheiden, nehmen Drogen. Das ist ziemlich komplex. Auf der Leinwand sieht man davon aber nichts. Nehmen Sie Demi Moore. Die hat ein extrem kompliziertes Leben. Als Schauspielerin ist sie die pure Langeweile.

Wegen des Geldes?
Anders: Vor allem wegen des Einflusses. Heute wählen die Stars die Regisseure und ihre Ko-Stars. Sie kontrollieren alles, sogar die Arbeit am Schneidetisch.

Sie könnten demnach nie mit Tom Cruise arbeiten?
Anders: Mit ihm schon. Tom Cruise arbeitet für sein Geld. Er ist geldgierig und tut enorm viel dafür.

Sie sollen einen Liebhaber im Internet getroffen haben.
Anders: Das ist bekannt? Ich hatte eine Affäre mit einem Typen, den ich per E-Mail traf.

Sie leben auch im Cyberspace?
Anders: Das Medium fasziniert mich. Es könnte das unabhängige Filmschaffen neu beleben. Sind die Leitungen einmal genug leistungsfähig, werden ganze Filme auf dem Internet platziert werden. Für die alternative Musik gilt dasselbe. Das Internet wird retten, was der Musiksender MTV zerstört hat.

Aber MTV ist doch die Stimme der Jugend.
Anders: Ach wo! MTV ist Schuld, dass die Jugend keine Stimme mehr hat. Die kaufen doch alles auf, was noch unverbraucht ist.

In «Gas Food Lodging» und «Mi Vida Loca» thematisierten Sie Frauenleben der Gegenwart. Warum nun der Blick zurück?
Anders: Ich drehe Filme über Frauen, die Macht erhalten. In den Sechzigern gab es etliche Songschreiberinnen, die dank der Musik mächtig wurden.

Janet Maslin, Chef-Kritikerin der «New York Times», warf Ihnen aber vor, Songwriterin Weaverly sei ein Opfer und keinesfalls eine eigenständige Frau.
Anders: Das wird mir von Frauen oft vorgeworfen. Sie verstehen meine Filme und die Frauen nicht. Das letzte Bild meiner Filme zeigt stets eine Frau ohne Mann. Zudem sind Frauen auch ohne Waffen stark. Ich mag Jodie-Foster-Typen nicht.

Das Opferdasein ist eines Ihrer Themen. Autobiografisch?
Anders: Meine Arbeit entspringt meinem Leben. Ich kenne die Opferrolle, aber, glauben Sie mir, mir geht es heute besser als den Tätern. Ich habe immer zurückgeschlagen.

Denken Sie an Frauen, wenn Sie Filme drehen?
Anders: Ich denke fast nur daran. Kritikerinnen aber sind mir egal, die sehen meine Filme, ohne Eintritt zu zahlen.

Was tun Sie denn fürs Publikum?
Anders: Ich wähle Schauspielerinnen gezielt aus. Uma Thurman etwa könnte ich nie engagieren. Sie ist pure Männerfantasie. Frauen hassen sie, ihre Probleme interessieren keine Frau der Welt.

Und Madonna? Sie haben sie für «Four Rooms» engagiert. Madonna ist doch auch eine Männerfantasie.
Anders: Vielleicht. Aber jede Frau hat eine Beziehung zu ihr. Sie wird geliebt, gehasst, geliebt, gehasst. Zudem verkörpert Madonna jeden Archetyp mit Bravour. Jetzt gerade gibt sie den Mutter-Archetyp. Madonna ist das derzeit interessanteste Phänomen der Popkultur.

Ist sie ein Sexobjekt?
Anders: Uma Thurman ist ein Sexobjekt. Madonna aber ist die Person, die Madonna zum Objekt macht, wann sie will. Madonna hat die totale Kontrolle.

Interessiert Sie das männliche Publikum?
Anders: Zufrieden werde ich erst sein, wenn die Männer in meinen Filmen weinen.

Dann müssen Sie wohl einen Film über Männer drehen.
Anders: Ich arbeite daran. In meinem nächsten Film steht ein angesehener Journalist im Mittelpunkt, der in seiner Jugend eine Frau vergewaltigte und es während Jahrzehnten verdrängt hat.

Was? Jetzt agieren Sie auch noch als Therapeutin für Vergewaltiger?
Anders: Ich höre die Kritikerinnen jetzt schon aufschreien. Aber Sache ist: Ich kenne viele Frauen, die vergewaltigt wurden und sich fragen, wie die Täter damit zurecht kommen. Wir wissen, was eine Vergewaltigung einer Frau antun kann. Über die Männer aber wissen wir nichts. Glauben Sie mir, die Männer haben zu kämpfen, die bezahlen einen hohen Preis.

Ein Leben der Musik

Im Film «Grace of My Heart» emanzipiert sich eine Frau mit ihren Liedern.

Die sechziger Jahre bleiben einzigartig. «Vor allem der Musik wegen. In keiner Dekade wechselten die Stilrichtungen häufiger, waren mehr unterschiedliche Einflüsse vorhanden als während der Sixties», sagt Allison Anders, die in ihrem neuen Film «Grace of My Heart» dem Leben der fiktiven Sängerin Edna Buxton folgt. Als diese zu Beginn der sechziger Jahre in der Songschreiberfabrik im Brill Building am New Yorker Broadway ihren ersten Job bekommt, wechselt sie den Namen. Als Denise Weaverly schreibt sie von nun an für einen jüdischen Musikproduzenten Erfolgssong um Erfolgssong.

Obwohl «Grace of My Heart» kein Biografiefilm über Carole King sein möchte, basiert der Film mehr als lose auf dem Leben der bekanntesten Songschreiberin des Brill Building. Neben seiner Genauigkeit besticht er durch einen nostalgischen, aber erträglichen Blick zurück sowie durch die Akteure. Illeana Douglas gibt Denise als eigenständige Frau, die dank der Musik Ordnung in ihr Leben bringt. John Turturro verkörpert einen Produzenten, der seine Liebenswürdigkeit findet, nachdem er längst Pleite ist.

Den Titelsong zu «Grace of My Heart» stammt aus einer Zusammenarbeit zwischen Elvis Costello und Komponist Burt Bacharach, der im Zug der Easy-listening-Welle zu neuer Popularität gefunden hat.