Die Farbe des Erfolgs

Der amerikanische Film hat wieder einen schwarzen Star. Nur bei Sexszenen muss Denzel Washington passen.

Von Peter Hossli

Die meisten Menschen, die in amerikanischen Filmen auftreten, lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Seit den Urzeiten der bewegten Bilder gibt es Schauspieler und schwarze Schauspieler.

Schauspieler verkörpern alle erdenklichen Charaktere. Sie treten in romantischen Komödien, Actionfilmen oder in Western auf. Limitiert wird die Vielfalt nur durch Begabung.

Hautfarbe und historisch gewachsene, negative Stereotypen bestimmen die Rollen schwarzer Schauspieler: Afroamerikaner spielen augenrollende Clowns, Vergewaltiger, Kriminelle oder tragische Mulatten. Hauptrollen gab es in Hollywood für Schwarze lange Zeit keine.

Standen Afroamerikaner im Mittelpunkt, personifizierten sie Klischees. Sidney Poitier mimte in den fünfziger und sechziger Jahren den integrationswilligen Musterbürger. In den siebziger Jahren gab Richard Pryor, in den Achtzigern Eddie Murphy den Guignol des US- Kinos. Über derart eindimensionale Formeln wuchsen die Charaktere schwarzer Schauspieler selten hinaus.

Bei Denzel Washington verhält sich dies anders. Der 41jährige Schauspieler aus New York gehört zusammen mit Leuten wie Al Pacino, Robert De Niro oder Tom Cruise zur A-Liste amerikanischer Leinwandmimen. Er kann alles spielen. Sagt Washington einem Part zu, wird gedreht. Für seine Rollen kassiert der geschmeidige Mann zehn oder mehr Millionen Dollar. Washington ist der einzige Schwarze mit Star-Appeal.

«Hollywood wird heute von Stars regiert», sagt Regisseur Carl Franklin. «Denzel ist ein Star. Er besitzt die Macht, Projekte zu realisieren.» Franklin inszenierte Washington in «Devil in a Blue Dress», einem Neo-Film-noir, der nächste Woche in den Kinos anläuft.

Washington agiert darin als Easy Rawlins, ein arbeitsloser Weltkrieg-II-Veteran, der sich als Privatdetektiv versucht. Den ersten Job bekommt Easy seiner Hautfarbe und seiner erotischen Ausstrahlung wegen. Eine weisse Frau, die angeblich lieber mit schwarzen als mit weissen Männer schläft, ist in Los Angeles untergetaucht. Easy soll sie finden.

Zuvor hat Washington schwarze Bürgerrechtskämpfer verkörpert, aber auch Figuren, die nicht explizit schwarze Attribute trugen. Neben dem muslimischen Schwarzenführer in «Malcolm X» oder dem Anti-Apartheid-Aktivisten Steve Biko in «Cry Freedom» spielte er in «Philadelphia» einen homophoben Anwalt, im Thriller «The Pelican Brief» einen Journalisten. Für jeden politisch engagierten Spike-Lee-Joint agiert Washington in kostspieligen Actionfilmen wie «Crimson Tide» oder «Virtuosity».

Im Unterschied zu anderen schwarzen Akteuren gilt Washington in den Köpfen der Produzenten gleichermassen als Garant für Qualität und kommerziellen Erfolg. Kassenträchtige weisse Leinwandpartner benötigt er nicht. «Denzel kann Filme allein mit seinem Namen verkaufen», sagte Franklin. Bei Morgan Freeman braucht es, denken die Produzenten, einen Brad Pitt auf dem Filmplakat, bei Samuel L. Jackson einen Bruce Willis.

Mitunter ziehen Produzenten und Regisseure Denzel Washington weissen Schauspielern sogar vor, auch bei Rollen, die nicht explizit für Schwarze geschrieben wurden. Für den Part des smarten U-Boot-Offiziers in «Crimson Tide» sprachen Stars wie Brad Pitt, Al Pacino oder Val Kilmer vor. Die Rolle bekam Washington. Erst bei der Überarbeitung des Drehbuchs fügte Quentin Tarantino ein paar Dialogstellen ein, die die schwarze Hautfarbe des Charakters markieren.

Bewusst wird sich Washington seines Teints jedoch bei nachträglichen Drehbuchänderungen, vornehmlich bei weggelassenen Liebesszenen. Sex hat der als Sexsymbol geltende Schauspieler im Kino nämlich kaum. In «The Pelican Brief» agierte Washington an der Seite von Julia Roberts, Amerikas Inbegriff reiner Weiblichkeit. Eine Liebesszene zwischen Washington und Roberts drehte Regisseur Alan Pakula nicht – obwohl sich zwischen den beiden eine Romanze abzeichnet. In John Grishams Romanvorlage sind die weissen Protagonisten am Schluss ein glückliches Paar. Beim gemischtrassigen Leinwandpaar fehlt gar der Wangenkuss.

Ähnliches widerfuhr Washington in «Devil in a Blue Dress». Eine weisse Frau, mit der Easy in Walter Mosleys Roman eine Affäre hat, kam im Filmdrehbuch nicht unter. «Es hätte die dramaturgische Entwicklung des Films behindert», sagt Washington.

Aufgewachsen ist Washington in der Suburbia von Mount Vernon, New York. Filme sah er in seiner Jugend wenige. Sein Vater war Priester der Pfingstgemeinde, seine Mutter führte einen Coiffeurladen. «Geld fürs Kino bekamen wir bloss, wenn «The 10 Commandments» lief». Das Theatralische fand Washington an realen Orten. «Mein Vater», sagt er, «inszenierte seine Messe als grossartige Show.» Im Salon der Mutter beobachtete er afroamerikanische Eigenheiten.

Zur Geltung kamen diese Erfahrungen auf der Bühne in New York City. An der afroamerikanischen Fordham University in der Bronx erlangte Washington den Ruf, ein fauler Journalismusstudent, aber ein grandioser Schauspieler zu sein. «Ich musste seinen Arsch in den Vorlesungssaal zerren», sagt einer von Washingtons Professoren.

Nach Abschluss des Studiums ging Washington nach Kalifornien. Dort liess er sich am Conservatory Theater in San Francisco zum Theaterschauspieler ausbilden. Er spielte auf New Yorker Bühnen und wirkte 1981 in «A Soldier’s Play» mit. Die berühmt gewordene Produktion des Negro Ensemble Theater lenkte die Aufmerksamkeit verschiedener Regisseure auf Washington. Er ging nach Hollywood und trat erstmals in kleinen Filmen und Fernsehserien auf.

Bevor sich Denzel Washington gänzlich vom Theater löste, besuchte er Sidney Poitier. Der erste schwarze Schauspieler, der in den fünfziger Jahren in Hollywood Hauptrollen bekam, riet ihm, bei der Wahl der Filme vorsichtig zu sein. Finanziell lukrative Angebote, Zuhälter oder Drogendealer zu spielen, wies Washington bis anhin denn auch zurück.

Er sei ein Schauspieler, kein Politiker. «Ich repräsentiere keine Rasse oder politische Gruppe, ich repräsentiere die Charaktere, die ich spiele.» In seinen Filmen sind es sarkastische Einschübe, in denen er sich zurückhaltend, aber präzise politisch äussert. In «The Pelican Brief» verpasst er einem vorbeifahrenden Taxi einen Tritt; der Fahrer wollte nicht stoppen. Der Anhalter war schwarz. Und in «Devil in a Blue Dress» betont Easy im Gespräch mit seinen Nachbarn, er miete nicht, sondern er besitze sein Haus. Easy ist der einzige schwarze Hausherr des Quartiers.

Washington benennt den Rassismus, den er auf der Strasse spürt. Es sei selbst für ihn fast unmöglich, in New York City ein Taxi zu bekommen.

«Devil in a Blue Dress»

Farbengrenzen

Renaissance des Film noir: Nach «The Usual Suspects», «Heat» und «Seven» gelangt nun ein weiterer Film des Krimigenres ins Kino. Aus der Sicht der schwarzen Gemeinschaft erzählt «Devil in a Blue Dress» von gestrandeten Männern und zwielichtigen Frauen. Easy Rawlins (Denzel Washington) muss die Geliebte des Bürgermeisters finden. Er landet im Dschungel von Korruption, sexueller Ausbeutung und Rassismus.

Carl Franklin siedelt seinen in gelben Farben gehaltenen Film im Los Angeles nach dem Zweiten Weltkrieg an. Subtil berührt er eines der wichtigsten Themen der schwarzen Gemeinschaft: Die Bevorzugung von Schwarzen mit heller Hautfarbe. Die Vorlage stammt vom schwarzen Autor Walter Mosley, der bereits zwei weitere Easy-Rawlins-Krimis veröffentlicht hat.