Auferstehung per Mausklick

Der Computer machts möglich: Bald gibts neue Filme mit längst verstorbenen Leinwandstars.

Von Peter Hossli

Fürs Kino haben Computer schon Ungeheuerliches zustande gebracht. Digitale Dinosaurier fras- sen in «Jurassic Park» Wissenschaftler. Ausserirdische zerstörten in «Independence Day» das Weisse Haus und den Rest der Welt. Und computergenerierte Wirbelstürme verwüsteten in «Twister» ganze Landstriche im Weizengürtel Amerikas.

Nun aber beabsichtigt Hollywood wirkliche Monster zu kreieren: Bald schon sollen längst verstorbene Leinwandlegenden wie James Dean, Humphrey Bogart oder Marilyn Monroe im Kino auferstehen, dank gewaltiger Rechnerleistung teurer Mikrochips aus Silizium.

Gleich mehrere amerikanische Spezialeffektfirmen, berichtet das Branchenblatt «Variety», wollen die Genesis um eine Dimension erweitern. Vier Hightechunternehmen aus Kalifornien arbeiten zur Zeit daran, Lauren Bacall mit Brad Pitt oder Michell Pfeiffer mit James Dean in Spielfilmen zu vereinen. Aufwendige Computerprogramme sollen lebende Schauspieler dazu bringen, sich auf der Leinwand mit Toten zu paaren oder zu streiten. Gleichzeitig soll die neue Technik schlappe Muskeln oder allzu füllig gewordene Körper noch lebender Schauspieler aufpeppen und fürs Kinopublikum wieder jung und frisch erscheinen lassen.

Was nach futuristischen Hirngespinsten oder abstrusen Geschichten von Sciencefictionfilmen aus den fünfziger Jahren klingt, ist schon weit fortgeschrittene Realität. Eine Bezeichnung für die untoten Toten gibt es bereits, die ersten Projekte befinden sich in der Vorbereitung: Die kalifornische Spezialeffektefirma Kleiser-Walczak Constructions Co. liess den Begriff «Synthespian» unlängst als Umschreibung synthetisch geschaffener Akteure rechtlich schützen. Filme mit dem 1973 verstorbenen Karate- und Kung-Fu-Meister Bruce Lee oder mit George Burns, dem Grand Old Man des US-Kinos, befinden sich in Planung. Und für den aus den Formen geratenen Schauspieler Marlon Brando, der zwar noch lebt, aber in den Augen vieler Hollywood-Produzenten für Filmauftritte nicht mehr geeignet scheint, wird bereits eine digitale Schlankversion entwickelt.

Neu ist das Wiederbeleben von Toten im Kino nicht. In «Forrest Gump» schüttelte Tom Hanks vor zwei Jahren die Hand von US-Präsident John F. Kennedy. In «Zelig» reiste Woody Allen 1983 durch das frühe 20. Jahrhundert und traf auf Präsident Woodrow Wilson.

Zusammengestellt wurden diese Begegnungen dritter Art allerdings stets aus bestehendem Archivmaterial und neugedrehten Sequenzen. In der nun entwickelten nächsten Generation virtueller Charaktere geschieht alles im Computer. Programmierer, nicht Schnittmeister sollen Schöpfer und Regisseur in einem sein.

Noch ist der kreative Prozess aufwendig und kostenintensiv. Will man den toten James Dean beleben, müssen alte Dean-Fotografien zuerst von Computern eingelesen und dann in dreidimensionale digitale Figuren verwandelt werden. Per Mausklick lassen sich die so geformten Modelle aber beliebig bewegen und mit digital fabrizierten Dialogen zu einem echt wirkenden Schauspieler formen.

Um beispielsweise den schönsten Mann der Gegenwart, Brad Pitt, mit dem schönsten Mann der fünfziger Jahre, James Dean, zu vereinen, muss der lebende Pitt bloss noch auf die künstlichen Dialoge des auferstandenen Toten eingehen.

Ob eine Nachfrage nach Filmen mit Dean-Zombies tatsächlich existiert, ist umstritten. Den grössten Markt für Synthespians sieht James Lima, Effektspezialist bei Warner Brothers, nicht im Kino, sondern in der Werbung. Noch sei die Technik teuer, die Werber aber investierten pro abgedrehte Filmsekunde sehr viel mehr Geld als die Spielfilmproduzenten, sagt Lima.

Joseph Beard, Hochschulprofessor mit Spezialgebiet synthetische Schauspieler, glaubt, dass die Leute vornehmlich ehemalige Kultstars sehen möchten. Geschickt vermarktete Kurzauftritte der Legenden Dean, Bogart oder Monroe, ist Beard überzeugt, würden selbst jene Leute ins Kino locken, die lange nach der gloriosen Zeit Hollywoods zur Welt kamen. «Marilyn Monroe und James Dean werden immer einen Markt haben.»

Einige Produzenten wollen jedoch auf Altstars verzichten. Sie sehen in der Synthespian-Technik viel eher die Möglichkeit, neue Stars zu kreieren. Es sollen Schauspieler fabriziert werden, die keine Gage beziehen, nie gegen Regisseure aufbegehren und die stets jung und schön bleiben.

Die von solchen Szenarien aufgeschreckte Vereinigung amerikanischer Leinwandakteure äussert schwere Bedenken gegen die Bestrebungen, möglichst bald digitale Ersatzmimen zu fertigen. Vornehmlich Nebendarsteller und Statisten fürchten um ihre Existenz. Während der legendäre US-Regisseur Cecil B. De Mille in seinen biblischen Epen selbst für kurze Szenen noch mehrere tausend Leute in römische Uniformen stecken liess, könnten die Statisten bald per Mausklick fabriziert werden.

Eher gelassen gibt sich Richard Masur. Der Präsident der Screen Actors Guild warnt vor falschen Hoffnungen: «Synthetische Wesen werden nie die Qualität von richtigen Schauspielern erreichen.»

Billiger zu stehen kommen Synthespians kaum. Um einen Altstar realitätsgetreu nachzubilden, müssen die hoch bezahlten Computerspezialisten hinter den Bildschirmen jedes einzelne Bild aufwendig bearbeiten. Für eine Sekunde Film braucht es 24 Bilder.

Die rechtlichen Fragen bleiben ungeklärt. Wer im US-Bundesstaat Kalifornien Bilder und Töne von Verstorbenen für kommerzielle Zwecke verwenden will, muss bis fünfzig Jahren nach deren Tod die Einwilligung der Nachfahren einholen. Sonderlich beeindrucken lassen sich die Anwälte der grossen Filmstudios dadurch nicht. Bereits suchen sie nach Gesetzeslücken. Ihr Argument ist das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieser Verfassungszusatz erlaube es den Regisseuren, synthetisch fabrizierte Wesen in ihren Filmen auftreten zu lassen – selbst wenn sie aussehen wie ehemalige Stars.

In Zukunft werden Produzenten von ihren Schauspielern zudem vertraglich verlangen, dass sie sich vor Drehbeginn vollumfänglich digital erfassen lassen. Dadurch, so die Überlegung, könnte bei einem tödlichen Unfall jeder Film problemlos zu Ende gedreht werden.

Gelingt es tatsächlich, kostengünstig Kunstschauspieler zu fertigen, wird sich die Arbeit der noch lebenden Leinwandmimen ändern, grundsätzlich. Knallhart kalkulierende Produzenten werden dann unliebsame, egomanische oder den Drehplan verzögernde Schauspieler kurzerhand feuern und durch problemlos zu führende synthetische Wesen ersetzen.