Brot für weisse Brüder

Die Stiftung Montecinemaverità rühmt sich, das Filmschaffen in der Dritten Welt zu fördern. In Tat und Wahrheit profitiert die westliche Filmindustrie.

Von Peter Hossli

Sie sassen da wie weise Männer, die über die Welt Bescheid wissen. Am Filmfestival Locarno hatten sechs Mitglieder der Stiftung Montecinemaverità letzten Samstag den Journalisten erklärt, was authentisches Kino aus der Dritten Welt ist und was sie alles dafür tun würden, damit es authentisch bleibt.

Hernach erhob sich Ambros Eichenberger, Dominikanerpater und altgedienter Kenner des Kinos aus dem Süden. Er schaute nach links und orderte mit einer Handbewegung einen Schwarzen zu sich. Mama Keïta, Regisseur aus Guinea, solle doch bitte erzählen, wie er sich als Dritt-Welt-Filmer so fühle und wie er dank der Stiftung seinen in Locarno uraufgeführten Zweitling zu Ende drehen konnte.

Nach einer knappen Dankesrede Keïtas griff wieder Eichenberger zum Mikrofon: “Wir dürfen stolz auf uns sein.”

Worauf die Herren stolz sind, ist unklar. Zwar hat die 1992 vom Locarneser Festivaldirektor Marco Müller ins Leben gerufene und verwaltete Stiftung Montecinemaverità 22 Filme aus Afrika, Asien und Lateinamerika mit durchschnittlich 50 000 Franken unterstützt. Einen Einblick in das Leben im Süden vermitteln diese Filme aber nur bedingt. Bei der Produktion federführend sind nämlich mehrheitlich französische oder schweizerische Produzenten. Sie und nicht die Regisseure bestimmen Form und Inhalt.

Finanziell getragen von Geldern der staatlichen Entwicklungshilfeorganisation Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und von der italienischen Kleiderfabrik Benetton, legt eine Expertengruppe der Stiftung alljährlich fest, was der Norden über die südliche Halbkugel erfahren soll. Als oberste Maxime gilt die “Authentizität”, wie Toni Linder, gleichzeitig Stiftungsmitglied und stellvertretender Informationschef der Deza, sagt. Es soll bereits in den zur Beurteilung eingereichten Drehbüchern eine wahrheitsgetreue Darstellung der Länder im Süden erkennbar sein.

Diese Wahrheit muss gefasst werden von den Gesuchstellern in Deutsch, Englisch, Französisch oder Italienisch. Nur dann werden die Drehbücher bewertet. “Arabisch kann in der Expertengruppe niemand lesen”, sagt Linder, “leider.” Was authentisch ist, wissen die Fachleute dennoch. Aus dem Süden sitzt niemand in dieser Gruppe von Journalisten, Kirchenvertretern und Beamten.

Meistens lassen französische Produzenten die Drehbücher übersetzen und den Sehgewohnheiten des Nordens anpassen. Trotzdem konnte die Stiftung Montecinemaverità ihrem Anspruch, “qualitativ hochwertige Filme” aus dem Süden zu unterstützen und zu vertreiben, bis anhin nicht gerecht werden. Ein Grossteil der geförderten Produktionen findet beim Publikum wenig oder überhaupt keinen Anklang. In Locarno verliessen die Zuschauer scharenweise Vorstellungen solcher Werke.

Dennoch nennt Marco Cameroni, Informationschef der Deza, die vom Bund 1996 mit 795 000 Franken mitgeförderten Filme “Stimmen des Südens”, die Unterstützung verdienten. Es sind Stimmen allerdings, die niemand hören mag. Oft verschwinden die Filme nach wenigen Vorführungen an Festivals in Archiven.

Fernsehanstalten bekunden selten Interesse. Verleiher gehen das Risiko nur sporadisch ein, kostspielige Werbekampagnen für Filme zu bezahlen, die niemand sehen will. Die Presse urteilt oft vernichtend. “El Dirigible”, eine uruguayische Produktion von 1994, sei “ein prätentiöses Chaos”, schrieb das Branchenblatt “Variety”. Und “Haramuya”, ein 1995 von französischen Produzenten in Burkina Faso gedrehter Film, sei schlicht “langweilig”.

Den Förderern aus dem Norden geht es nicht um das Schaffen von Kunst oder die Förderung einer heimischen Filmindustrie. Es geht um Geld, und es geht um Politik. Die Produktion von Filmen im Süden ist für die Produzenten im Norden lukrativ und risikoarm. Dank gesetzlich verankerter Förderung aus den Entwicklungshilfe-Fonds ist die Finanzierung garantiert, selbst dann, wenn die Filme keinen Anklang finden.

Frankreich setzt mit solchen Werken seine Kolonialpolitik fort. Jedes Projekt, das gefördert wird, muss der französische Kulturminister absegnen. So dient das mit Geldern der Stiftung Montecinemaverità getragene afrikanische Kino oft einer verklärenden Darstellung der ehemaligen Kolonien der Grande Nation.

Wieder andere Ziele verfolgt Festivaldirektor Marco Müller. Als Montecinemaverità-Direktor profiliert er sich als Kämpfer gegen das US-Kinos. Und als Festivaldirektor kann er die von seiner Stiftung geförderten Projekte uraufführen.

Der Süden selbst hat wenig von solchen Filmen. Da es in ganz Westafrika kein einziges funktionsfähiges Labor gibt, wird jeder westafrikanische Film in Paris oder in der Schweiz entwickelt, geschnitten und vertont – von französischen oder Schweizer Technikern.

Überhaupt arbeiten die Produzenten im Norden ungern mit Afrikanern zusammen. Sie seien unzuverlässig und faul, heisst es. So stamme meist fast das gesamte technische Personal aus dem Norden. “Afrikaner”, sagt ein in Afrika und Asien tätiger Schweizer Produzent, “können kaum gerade durch den Sucher einer Kamera schauen.” Wackelfreie Bilder sind aber Voraussetzung für eine Kinoauswertung im Norden. Die ist den Produzenten wichtig, denn Verträge mit TV-Anstalten in Europa sind einträglicher als eine Auswertung im Süden.

“Sie müssen verstehen”, sagt Silvia Voser, Schweizer Produzentin von afrikanischen Filmen und als Mitglied der Stiftung Montecinemaverità Förderin ihrer eigenen Projekte, “es ist sehr schwierig, dort unten Filme zu verkaufen.” Die Länder Afrikas seien viel zu korrupt, das Geld versickere in den Staatsapparaten. Billette oder eine offizielle Abrechnung hätten “die dort” nicht. Wolle man nicht betrogen werden, sagt Voser, müsse man selbst an der Kinokasse sitzen und die Einnahmen umgehend in die Schweiz schaffen.

Fast jeder Franken, der von Stiftungen oder von der öffentlichen Hand in die Förderung von Filmen im Süden gesteckt wird, bleibt auch dort, woher er gekommen ist. Aus den Ländern, in denen gedreht wird, stammen häufig nur Schauspieler und Regisseure – die oft längst in Paris, England oder in der Schweiz leben. Nur die mickrigen Löhne der Handlanger werden im Süden ausbezahlt.