Neoliberaler Wettbewerb

Locarno-Direktor Marco Müller sorgt mit einem hochdotierten Filmpreis für Zoff in der Festivalbranche.

Von Peter Hossli

Marco Müller wusste, was er wollte. Als der Direktor des Filmfestivals Locarno mit den Vertretern der Genfer Firma Action Light zusammenkam, versprach er diesen 150 000 Zuschauer und ein enormes Medienecho. Nur bei ihm, so Müller, mache es wirklich Sinn, einem Wettbewerb mit einem Action-Light-Preis in der Höhe von 80 000 Franken auf lange Sicht zu Popularität zu verhelfen. Müllers Argumente leuchteten ein.

Aus der Taufe gehoben waren die «Perspectives Suisse», ein Fenster für den Schweizer Film, vor allem aber ein neuer, für hiesige Verhältnisse extrem hoch dotierter Wettbewerb. Mit 80 000 Franken in Sachwerten und zweimal 10 000 Franken in bar soll alljährlich der «beste Schweizer Film» ausgezeichnet werden.

Eine Woche vor Beginn des wichtigsten Ereignisses der Schweizer Filmbranche sind die «Perspectives Suisse» jedoch zum Zankapfel geworden, regt sich Widerstand gegen Müllers Wettbewerb.

Diesmal, so beispielsweise die Meinung von Jean Perret, Direktor des Dokumentarfilm-Festivals von Nyon, ging Müller zu weit.

Das Reglement des Müllerschen Wettbewerbs hält nämlich fest, dass sich in Locarno nur jene Schweizer Filme um Preise duellieren dürfen, die vorher nirgendwo anders gezeigt worden sind.

Demnach, fürchten nun die Festivaldirektoren von Nyon und der Solothurner Filmtage, werde künftig kein helvetischer Film mehr auf andern Schweizer Festivals uraufgeführt. Ganz nach dem Motto «Wer zahlt, befiehlt» raffe Marco Müller die Schweizer Filme «mit neoliberalen Methoden» zusammen, sagt Perret.

Erreicht habe Müller ein Ziel, das er seit Jahren anstrebt: die Kontrolle der Schweizer Festivalszene. Er möchte bestimmen, welcher Film auf welchem Festival wann gezeigt wird. Ob Dokumentar- oder Spielfilm, ist ihm egal. Hauptsache, möglichst viele Premieren finden bei ihm in Locarno statt.

Von dieser trüben Aussicht aufgeschreckt, handelte Jean Perret prompt. Der Direktor des Dokumentarfilm-Festivals von Nyon schrieb an den Locarno-Präsidenten und Müller-Vorgesetzten Raimondo Rezzonico einen Brief. Kopie gingen an die Solothurner Filmtage und das Bundesamt für Kultur (BAK).

Beim Bund, der alle drei Festivals finanziell mitträgt, setzt man vorerst ein Fragezeichen hinter den neugeschaffenen Wettbewerb. Marc Wehrlin, Chef der Sektion Film im BAK, ist «nicht glücklich» über diese neue Form. Er hofft aber, dass die Festivals einen Konsens finden.

Davon hält Müller wenig. Einer Strafe gleichkommend, schliesst er alle Filme von seinem Wettbewerb aus, die bereits in Nyon oder Solothurn liefen. So darf etwa Stefan Schwieterts «A Tickle in the Heart» nicht am Wettbewerb in Locarno teilnehmen. «A Tickle in the Heart» feiert im Frühling in Nyon Premiere. Hätte Schwietert von Müllers Regelung gewusst, hätte er seinen Film vielleicht bis Locarno zurückbehalten.

Eine solches Verhalten ist angesichts der hohen Preissumme durchaus verständlich. Für Nyon und die Solothurner Filmtage bedeutet es aber eine künstlerische Ausdünnung.

Und dem Schweizer Film nützt es wohl weniger, als Müller verkündet. Mit der Einführung des CH-Wettbewerbs vermindert sich nämlich gleichzeitig die Anzahl Schweizer Filme in renommierteren internationalen Wettbewerben.