Die grösste Pleite der Filmgeschichte

Nach dem 100-Millionen-Dollar-Flop «Cutthroat Island» von Produzent Mario Kassar prophezeien Insider das Ende der aufwendigen Actionfilme.

Von Peter Hossli

Am Festival von Cannes logierte Mario Kassar jeweils auf millionenteuren Jachten. Mit Stars wie Madonna, Sharon Stone oder Sylvester Stallone feierte der Filmproduzent rauschende Feste. Bezahlt hat er immer bar. Er konnte es sich leisten.

Mario Kassar war ein Maverick, der letzte Mogul der jüngeren Filmgeschichte.

Während den achtziger und frühen neunziger Jahren erzielte er Milliardenumsätze. Die 23 Filme, die er produzierte, spielten 2,6 Milliarden Dollar ein, rund 113 Millionen Dollar pro Film. Erfolgreicher arbeitete in jenen Jahren kein anderer Produzent.

Nun ist Mario Kassar bankrott. Seine Gigantomanie und ein Piratenfilm, dessen Kosten aus den Fugen geraten, brachen ihm das Genick. Das unabhängige Kino, das Unterhaltungsgiganten wie Disney, Time Warner oder Viacom kommerziell die Stirn bieten konnte, ist Geschichte. Kassars Firma Carolco gibt es nicht mehr.

Dabei galt er jahrelang als Garant für kommerziellen Erfolg. Unter Kassar entstanden Meilensteine der amerikanischen Populärkultur. Der Produzent mit Weitsicht wusste stets, was das Publikum im Kino sehen wollte. So liess er Sylvester Stallone in drei «Rambo»-Filmen kassenträchtig als berserkerhafter Veteran für ganz Amerika den Vietnamkrieg nachträglich gewinnen und in Afghanistan den Kommunismus besiegen. Arnold Schwarzenegger räumte 1991 in «Terminator 2: Judgment Day» genau wie die amerikanische Armee am Persischen Golf mit enormer Waffengewalt das Böse weg. Und Sharon Stone gebar 1992 in «Basic Instinct» die unterkühlte Femme fatale der neunziger Jahre.

Der letzte Film, den Carolco produzierte, wurde zum grössten Flop der Unterhaltungsindustrie. «Cutthroat Island», ein kolossal teures Piratenspektakel, verschlang 115 Millionen Dollar, spielte in den USA aber bloss 8 Millionen ein. Seit einer Woche läuft «Cutthroat Island» nun auch in der Schweiz. Erfolgsaussichten prophezeit dem Film aber auch in Europa niemand. «Cutthroat Island» sei «zu schmutzig für Kinder, zu kindlich für Erwachsene», schrieb Janet Maslin, Filmkritikerin der «New York Times».

Die wirre, von Explosionen und säbelrasselnden Haudegen bestimmte Handlung ist das Resultat einer verworrenen Entstehungsgeschichte. Fehlplanung, abspringende Hauptdarsteller, ein unfertiges Drehbuch sowie die Geltungssucht des Ehepaars Renny Harlin und Geena Davis, er der Regisseur und sie der Star des Films, trieben die Kosten in astronomische Höhen. Der künstlerische Wert aber fiel in ungeahnte Tiefen.

Um teure Filme an der Kinokasse zu verkaufen, braucht es Stars, richtige Stars. Neben Stallone und Schwarzenegger können zurzeit nur noch Michael Douglas, Tom Cruise und Mel Gibson aufwendige Actionfilme allein mit ihrem Namen verkaufen. Bei Carolco war man erleichtert, als Michael Douglas Anfang 1994 zusagte, die Hauptrolle in «Cutthroat Island» zu übernehmen. Douglas sollte für 13 Millionen Dollar einen durchtriebenen Seefahrer und Überlebenskünstler verkörpern. Als Regisseur gewann Mario Kassar Renny Harlin, ein Finne in Hollywood, der mit Kassenschlagern wie «Cliffhanger» oder «Die Hard II» in der Actionbranche als sicherer Wert gilt.

Harlin hatte neben 5,5 Millionen Dollar Gage nur noch einen Wunsch: Seine Frau Geena Davis müsse neben Douglas die weibliche Hauptrolle bekommen. Davis, die seit «Thelma & Louise» auf einen Hit wartet, dachte der rührige Ehemann, könne mit «Cutthroat Island» endlich den Durchbruch schaffen.

Als alle Verträge unterschrieben waren, bewog das Ehepaar Harlin-Davis Kassar, das ursprüngliche Drehbuch noch einmal überarbeiten zu lassen. Die weibliche Hauptrolle von «Cutthroat Island» erschien ihnen als zu wenig interessant. Dieses Gegengeschäft sollte der Anfang von Kassars Ende werden.

Eine Handvoll Drehbuchautoren begann, auf Harlins Geheiss das Script mehrmals umzuschreiben. Bei jeder Überarbeitung wurde der Part von Geena Davis grösser, jener von Michael Douglas kleiner.

Auf Malta, dem ersten Drehort der Aussenaufnahmen, begann im Juni 1994 eine 90köpfige Crew ohne fertiges Drehbuch eine Phantasiewelt aufzubauen. 2000 Kostüme, 300 mittelalterliche Schusswaffen, 620 Schwerter, 250 Dolche und 70 Äxte warteten darauf, von Schauspielern bedient zu werden. Doch diese kamen nicht.

Im Juli zog sich Hauptdarsteller Michael Douglas von seinem Vertrag zurück. Vergeblich suchte der Star in der letzten Drehbuchversion jene Rolle, der er seine Zusage gegeben hatte. Er fand fast nur noch Geena Davis’ Part. ««Cutthroat Island» wurde zum Film von Renny für seine Geena», sagt ein ehemaliger Carolco-Produzent. Douglas wollte dabei nicht zusehen. Er verliess das sinkende Schiff.

Mario Kassar geriet in Zeitnot. Auf Malta sassen 90 gutbezahlte Frauen und Männer in den Kneipen von La Valletta. Statt zu drehen, tranken sie maltesischen Kaffee. In Hollywood war es zur selben Zeit schwierig, einen valablen Ersatz für Douglas zu finden. Liam Neeson, Ralph Finnes oder Keanu Reeves hatten keine Zeit – oder keine Lust.

Eine Zusage erhielt der Produzent schliesslich von Matthew Modine, einem talentierten Schauspieler. 100 Meilen von Atlantik und Pazifik landeinwärts kennt ihn in den USA aber kaum jemand. Actionkino ist seine Sache nicht.

Nachdem Kassars Personalprobleme vor der Kamera halbwegs gelöst schienen, liefen ihm die Leute hinter der Kamera davon. Einer der Produzenten und Chefkameramann Nicola Pecorini verliessen den Set. Die darauf folgenden Anstellungsverfahren kosteten Nerven und weitere Dollars. Das sich ursprünglich auf 65 Millionen Dollar belaufende Budget hatte sechs Wochen vor Drehbeginn bereits 85 Millionen erreicht. Regisseur Harlin, der auf Malta die Entstehung des Sets überwachen und seine Crew in Bewegung bringen sollte, reiste nach Los Angeles zurück, um Vorstellungsgespräche zu führen.

Als er im August endlich wieder auf Malta erschien, traf er auf ein mittleres Chaos und eine demotivierte Crew. Ein Kameramann empfing ihn mit einem gebrochenen Bein. Die Wasserleitungen des Tanks, in denen die Schauspieler schwimmen sollten, waren gebrochen. Die Spesenrechnung der wartenden Crew stieg ins Unermessliche.

Teuer zu stehen kamen auch die Pferde, mit denen Regisseur Harlin auf Malta Verfolgungsszenen inszenieren wollte. Fünfzig Rosse und fünfzig Reiter sollten einander hinterherjagen. Es war geplant, die Pferde in Italien zu verschiffen und auf dem Seeweg nach Malta zu bringen. Kurzfristig mussten die Produktionsleiter allerdings umdenken: Ein EU-Gesetz verbietet den Transport von lebenden Tieren auf Schiffen. Die fünfzig Pferde mussten zusammen mit ungarischen Stallburschen eingeflogen werden, was die Transportkosten verdoppelte.

Nach Abschluss der Dreharbeiten auf Malta dislozierte die gesamte Crew nach Thailand. Dort entstanden die Szenen auf hoher See. Kostengünstiger als in Malta waren die Dreharbeiten im Billiglohnland jedoch nicht. Aus Mangel an erfahrenen Filmequipen mussten Fachkräfte aus der ganzen Welt eingeflogen und wegen des Blitzeinsatzes hoch bezahlt werden. Stuntleute aus Polen, Zimmerleute aus Italien und England sowie Techniker aus Frankreich trieben die Kosten von «Cutthroat Island» auf über 115 Millionen Dollar.

Die letzte Klappe fiel Ende März 1995. Wegen der Probleme bei den Dreharbeiten verzögerte sich auch das Datum des Kinostartes. «Cutthroat Island» hätte im Juli 1995 in die Kinos gelangen sollen; im Sommer rentieren Actionfilme am besten. Fertig wurde der Film aber erst auf den Herbst. Freie Leinwände gab es dann keine mehr – die Verträge zwischen Kinobesitzern und Produzenten waren längst unterzeichnet. Die Verleihfirma Metro-Goldwyn-Mayer entschied sich, den Film auf Weihnachten in die Kinos zu bringen. Dieser Entscheid erwies sich als strategischer Missgriff. Gleichzeitig wurden in den USA nämlich zwei Dutzend andere Filme lanciert, meist Komödien oder besinnliche Dramen – Filme, die das amerikanische Publikum zur Weihnachtszeit lauten Actionspektakeln vorzieht.

«Waterworld», der angebliche «Flop des Jahres», kostete mit 200 Millionen Dollar zwar fast doppelt soviel wie «Cutthroat Island». Bis anhin hat Kevin Costners apokalyptische Wasserschlacht an der Kinokasse aber bereits 255 Millionen eingespielt. Sogar ohne Video- und Fernsehgeschäft gelangte «Waterworld» in die Gewinnzone.

Kassars Waterloo «Cutthroat Island» aber wurde nach nur drei Wochen Laufzeit bereits von amerikanischen Leinwänden entfernt. Eingespielt hat er weniger als 10 Millionen. Da «Cutthroat Island» beim amerikanischen Publikum und der Presse völlig durchfiel, wird ihm an den Kinokassen in Europa und Asien ebenfalls ein kurzes Gastspiel prophezeit.

Erfolg verspricht weder das Video- noch das Pay-TV-Geschäft. Der Piratenfilm liegt seit dem 16. April in amerikanischen Videotheken. Kaufen will die Kassette kaum jemand. ««Cutthroat» ist auch auf Video ein Flop», sagt ein Manager von Blockbuster Video, der grössten Videokette der USA.

«Cutthroat Island» trägt nicht die alleinige Verantwortung für Carolcos Bankrott. Im Frühling 1994 entschied der finanziell bereits angeschlagene Kassar, «Crusade», einen Actionfilm mit Arnold Schwarzenegger, nicht zu drehen. Obwohl noch kein einziger Meter Film belichtet war, verlor Carolco 13 Millionen Dollar. Mario Kassar, dessen Firma in zwei Jahren 500 Millionen Dollar verloren hatte, entschied sich zur Flucht nach vorne.

«Es war eine klassische Notlage», sagt ein ehemaliger Produzent bei Carolco. «Wir waren schon fast geschlagen und warfen alle Soldaten in die Schlacht.» Seither hinterfragte bei Carolco niemand mehr die Entscheidung, mit einem Budget von 85 Millionen Dollar auf Malta und in Thailand einen Piratenfilm ohne kassenträchtigen Star und ohne Drehbuch zu drehen. Verdrängt wurde, dass in den vergangenen Jahren Piratenfilme wie Steven Spielbergs «Hook» oder Roman Polanskis «Pirates» stets Flops waren. Statt dessen vertraute man auf die Formel, dass teure Actionspektakel mit Explosionen und schnellen Schnitten weltweit Millionen einspielen werden.

Das Debakel erteilte der Filmindustrie eine Lektion. Nach «Cutthroat Island» ist Hollywood nicht mehr das, was es noch in den goldenen Achtzigern war. Damals liess sich jeder Film verkaufen, bei dem die Rauchmaschine kräftig gerührt wurde, das Ketchup-Blut floss, Helikopter spektakuläre Bilder einfingen und die Stars sich durch die Lüfte schwangen. «Hollywood muss umdenken», schrieb Peter Bart, Chefredaktor des Branchenblatts «Variety». Der Publikum verlange weltweit nach Komödien und Beziehungsdramen. Actionfilme seien passé.

Vergangenheit ist auch Carolco. Deren Filmbestand kaufte das französische Medienunternehmen Canal Plus auf. Der Firmenjet und das Gebäude am Sunset Boulevard gingen an anonyme Käufer.

Ex-Besitzer Mario Kassar aber bleibt der Filmindustrie erhalten. Trotz dem «Cutthroat»-Fiasko hat er bereits wieder einen Job. Viacom, der drittgrösste Medienkonzern, nahm ihn unter Vertrag. Sumner Redstone, der 72jährige Präsident von Viacom, erhofft sich von Kassars Weitsicht eine Belebung seines Studios Paramount.

Um alte Beziehungen aufzufrischen, schickte Redstone Kassar auch dieses Jahr ans Filmfestival von Cannes. Auf einer Jacht logiert Kassar allerdings nicht mehr. Redstones Sekretärin buchte ihm ein schlichtes Einzelzimmer.