Korrupt in Hollywood

Am 25. März gewinnt nur einen Oscar, wer dem Glück mit kostspieligen PR-Kampagnen nachhilft.

Von Peter Hossli

Es tue ihm leid, sagte Massimo Troisi am letzten Drehtag zu Regisseur Michael Radford. Wegen Herzschwäche habe er als Hauptdarsteller von «Il Postino» nicht sein Bestes geben können. «Bei den nächsten fünf Filmen, die wir zusammen drehen, bin ich aber bestimmt wieder fit.» Mit Tränen in den Augen nahm Radford Troisi in die Arme. Am selben Abend bestellte der Mime seiner Familie, «Il Postino» werde bestimmt ein grossartiger Film. «Der Regisseur ist ein feinfühliger Mensch. Er musste heute weinen.»

Massimo Troisi, 41, starb am nächsten Morgen.

Unsterblich werden könnte er am 25. März. Dann zeichnet die Academy of Motion Pictures Arts and Sciences in Los Angeles zum 68. Mal das vermeintlich Feinste auf Zelluloid mit Oscars aus. Massimo Troisi wurde post mortem als bester Darsteller nominiert. Er ist seit 1976 der erste Tote, der auf einen Oscar hoffen kann.

«Es ist ein Wunder», sagte «Il Postino»-Verleiher Harvey Weinstein am 14. Februar, einen Tag nach Bekanntgabe der Nominierungen.

Jedem Wunder kann nachgeholfen werden. Wer einen Oscar will, muss die Regeln der Verführungskunst kennen und sie genau beachten. Ohne Inseratenkampagne und gute Beziehungen gibt es keine einzige goldene Statue. Die derzeit 5043 Mitglieder der Academy, die unter den 225 wahlberechtigten Filmen zuerst die Nominierungen und dann die Oscars bestimmen, werden von den Studios während Monaten dauernd mit kleinen Geschenken beliefert, die die Freundschaft erhalten. Sie verteilen Geschenkschachteln, vollgepackt mit Büchern, Videokassetten, T-Shirts und CDs. Dies käme, sagt Academy-Präsident Arthur Hiller, «der aktiven Korruption gefährlich nahe».

Zwischen 6000 und 600 000 Dollar werfen die Studios für die Privatvorstellungen potentieller Oscar-Filme auf. Geladen sind alle Mitglieder der Academy. Wichtiger als das Gebotene auf der Leinwand ist jedoch meistens das Gedeckte auf dem Tisch; nach Vorstellungsschluss tafeln die Angehörigen der Academy jeweils ausgiebig mit Schauspielern, Regisseuren und Produzenten.

Dass Mel Gibsons Schlachtplatte «Braveheart», Ron Howards Spacedream «Apollo 13», Ang Lees Jane-Austen-Verfilmung «Sense and Sensibility» und Gail Noonans Schweinerei «Babe» gleich mehrfach nominiert würden, war absehbar. Hinter den fünf Nominierungen für «Il Postino» steht hingegen Kalkül.

Die rührende Geschichte eines Briefträgers, der dem chilenischen Dichter Pablo Neruda in seinem Exil auf einer der äolischen Inseln jeden Tag mit dem Fahrrad die Post bringt, ist der erste nicht-englischsprachige Film seit Ingmar Bergmans «Schreie und Flüstern» (1972), der in der Kategorie «Bester Film» nominiert wird. Nominierungen erhielten neben Troisi zudem Regisseur Radford sowie die Leistungen für Drehbuch und Filmmusik.

Hierfür hantierten umtriebig Harvey und Bob Weinstein umtriebig. Die beiden Gründer und Präsidenten von Miramax verleihen «Il Postino» weltweit. Seit der Film in den USA angelaufen ist, wurden über 30 000 «Il Postino»-Romane von Antonio Skarmeta und 25 000 Gedichtbände mit Pablo Nerudas Poesie verkauft. Die Werbekampagne für die gedruckten Worte organisierte und bezahlte Miramax. Mit solchen Strategien führte das Studio vor einem Jahr bereits «Pulp Fiction» und «The Piano» zu Oscar-Ehren.

Ende Jahr verschickten die Brüder Weinstein allen Mitgliedern der Academy of Motion Pictures ein geschnürtes Paket. Die Wahlberechtigten erhielten eine «Il Postino»-Videokassette und eine CD mit Pablo-Neruda-Gedichten, produziert von den Weinsteins, in Englisch rezitiert von Stars wie Madonna, Sting, Julia Roberts oder Samuel L. Jackson.

In einem netten Begleitbrief bestellte Harvey Weinstein den Academy-Members, dass «Il Postino» von Italiens Kulturministerium nicht für die Kategorie des besten ausländischen Films vorgeschlagen worden sei. «Wollen Sie «Il Postino» trotzdem honorieren», schrieb Weinstein, «können Sie ihn einfach als besten Film wählen.» Was sie, Nerudas Poesie in den Ohren, geflissentlich taten.

5,5 Millionen Dollar warf Miramax für seine «Postino»-PR-Kampagne auf; ein astronomischer Betrag für einen ausländischen Film, dessen US-Verleihrechte Miramax 300 000 Dollar kosteten. Eingespielt hat der Film bis anhin 13 Millionen.

Eamonn Bowles, Vizepräsident bei Miramax, spricht von einem «kalkulierbaren Risiko», das seine Firma mit der Kampagne eingehe. Jedes Inserat, das Miramax im Vorfeld der Oscar-Verleihung in den beiden Branchenblättern «Variety» und «The Hollywood Reporter» unter der Schlagzeile «For your Consideration – Il Postino», berücksichtigen Sie «Il Postino», an die Academy-Members richtete, zahle sich mehrfach aus.

Dank den fünf Nominierungen erhält Radfords Film weltweit Raum in den Feuilletons der Tages- und Wochenzeitungen. Radiostationen spielen die rührende Filmmusik, das Fernsehen zeigt den herzkranken Massimo Troisi als selbstlosen Pöstler.

Beflügelt werden soll damit die Lancierung der Videoausgabe von «Il Postino». 75 000 Stück «Postino»-Magnetbänder, schätzt «Variety», werden allein in den USA verkauft, ein Rekordergebnis für einen ausländischen Film.

Im Rest der Welt mausert sich «Il Postino» mit 27 Millionen an der Kinokasse eingespielten Dollar zu einem der erfolgreichsten nicht-amerikanischen Filme der letzten Jahre. Sollte Troisi den Darsteller-Oscar gewinnen, werden es wohl 40 Millionen werden.

Darüber freuen werden sich vor allem Bob und Harvey Weinstein, die auch die ausseramerikanischen Verleihrechte gekauft haben – für bescheidene 1,2 Millionen Dollar. Gut die Hälfte davon spielte Briefträger Troisi allein in Zürich ein.

Massimo Troisi wird mit dem Oscar dekoriert, daran zweifelt niemand. «Die meisten Academy-Members sind Greise», sagt Arthur Hiller. Küren sie Troisi nicht, können sie dem italienischen Mimen nicht mehr in die Augen schauen. «Treffen werden sie ihn wohl bald.»

Entsprungen ist die Oscar-Idee einer schweren Krise. 1927 erlebte das Kino einen Schock, der sich in diesem Ausmass bis heute nicht wiederholt hat: Der Tonfilm ersetzte den Stummfilm. Einher gingen ein markanter Rückgang der Publikumszahlen und der Qualität der Filme. Um das ramponierte Image und «die künstlerische Qualität» der Lichtbilder zu verbessern, gründeten 36 Studio-Chefs die Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Seither werden alljährlich die «künstlerisch wertvollsten Filme in verschiedenen technischen Kategorien» mit Oscars ausgezeichnet, wie die Statuten der Academy festhalten.

Ein Qualitätszeugnis ist der Oscar längst nicht mehr. Ausgezeichnet werden vornehmlich Leute, die sich im Laufe ihrer Karriere um die Filmindustrie verdient gemacht haben. Dass Mel Gibson für «Braveheart» – ein dreistündiges Epos über den schottischen Widerstand gegen England im 13. Jahrhundert – zehmal für einen Oscar nominiert wurde, sagt mehr über Gibsons Verdienste um die Industrie als über die Qualität des Films aus.

Wer wie Gibson mit fast allen seinen Filmen weit über 100 Millionen Dollar einspielt, dem gebühren einige Academy Awards. Ein mittelmässiger Monumentalfilm ohne Happy-End gelangt nur deshalb in die Gewinnzone, weil ein grosser Name auf dem Plakat steht. Da Hollywood die Stars jährlich wegsterben, werden Leute wie Mel Gibson in Zukunft wohl vermehrt ausgezeichnet.

Vorrangig geht es bei den Oscars ums Geld. Ein Film, der mehrfach nominiert und obendrein einige Oscars gewinnt, kann mit 50 bis 100 Millionen Dollar Mehreinnahmen rechnen. Während die ausgezeichneten Filme nach der Zeremonie im Dorothy Chandler Pavilion an amerikanischen Kinokassen oft nur noch ein Zubrot verdienen, ist der Fetisch der Licht-und-Schatten-Welt für das Geschäft in Europa, Lateinamerika und Asien eine wahre Goldmine.

Die Gewinner der vergangenen drei Jahre – «Forrest Gump», «Schindler’s List» und «Unforgiven» – erhöhten ihren Überseeumsatz um mehrere hundert Millionen Dollar. Die sieben Oscars, die «Forrest Gump» 1995 erhielt, waren allein in Japan zehn Millionen Dollar wert.

Von einem Oscar profitieren die Kreativen vor und hinter der Kamera. Nach einem Academy Award spricht kein weisser Schauspieler mehr für unter einer Million Dollar Gage einen Satz in ein Mikrofon. Prämierte Kameraleute, Musiker oder Ausstatter müssen sich bis ans Ende ihrer Tage kaum mehr um Aufträge bemühen.

Neben aufwendigen Inseratekampagnen und Geschenkpaketen bestimmt oft die geschriebene Presse über die Oscars. Entscheidend ist die Meinung der Filmkritiker der «Los Angeles Times»; die meisten Mitglieder der Academy leben in Südkalifornien und bekommen diese Zeitung jeden Morgen vom Postino in den Briefkasten gelegt.

Jessica Lange verdankt ihren letztjährigen Oscar als beste Schauspielerin vordringlich Peter Rainer, Filmkritiker der «Los Angeles Times». Über ihre Leistung in «Blue Sky», ein vom Publikum grösstenteils unbeachteter Film, fabulierte Rainer: «Jessica Langes Schauspiel in «Blue Sky» ist atemberaubend.» Die meisten Mitglieder der Academy lasen den Artikel, bestellten von «Blue Sky»-Produzentin Orion eine Videokassette und kürten Jessica Lange zur besten Schauspielerin des Jahres.

Am meisten profitieren wird dieses Jahr wahrscheinlich «Leaving Las Vegas», der Ende April in die Schweizer Kinos kommt. Bevor der Film des Briten Mike Figgis für vier Oscars nominiert wurde, spielte er in den USA bescheidene elf Millionen Dollar ein. Das Branchenblatt «Variety» prognostiziert eine Vervierfachung dieses Umsatzes, falls «Leaving Las Vegas» am 26. März mit Oscars dekoriert wird. Vorsichtshalber erhöhte die Verleihfirma die Anzahl der eingesetzten Filmkopien von 340 auf 1300.

Weit weniger Aussichten auf Erfolg kann trotz sieben Oscar-Nominierungen «Sense and Sensibility» hegen. Der Film wird sein US-Einspielergebnis kaum erhöhen. ««Leaving Las Vegas» enthält Sexszenen», sagt der Besitzer einer US-Kinokette, «einen solchen Film lanciere ich sogar im Mittleren Westen gewinnbringend.» Für eine anspruchsvolle Literaturverfilmung wie «Sense and Sensibility» halte er aber mehr als 100 Meilen landeinwärts keine Leinwand frei.

Nichtsdestotrotz unterhält Sony Pictures, die Produktionsfirma von «Sense and Sensibility», eine ganze PR-Abteilung, die sich nur um die Oscars kümmert. Bei Sony hofft man auf das Überseegeschäft. In grossen Teilen Europas läuft der Film erst dieser Tage an. «Bis zum Tag der Verleihung», sagt Sony-Marketing-Chef Sid Ganis, werde sich seine Abteilung «mit Leib und Seele» um die Academy Members «bemühen».

Allzu aufdringliches Hofieren allerdings vergrantelt die Academy. Im vergangenen Jahr bekamen das die Walt Disney Studios zu spüren. Der damals grösste Medienkonzern der Welt erhielt wegen des Versands Tausender Hochglanzbildbände mit «Lion-King»-Motiven nur zwei Eintrittskarten zur Oscar-Zeremonie im Dorothy Chandler Pavilion – in der hintersten Reihe.