Die Fiktion ist die Wahrheit

US-Regisseur Oliver Stone dreht vor der Küste Floridas sein neustes Politdrama «Clinton». Facts wohnte den Dreharbeiten bei. Eine Satire.

Von Peter Hossli

«Ready?» fragt der Kommandant über Funk. «Ready!» antworten fünf Piloten fast gleichzeitig. Per Knopfdruck starten sie ihre Maschinen. Innert weniger Minuten schwingt sich ein Geschwader F-16-Kampfjets in die Lüfte. Die Sonne brennt.

«Cut», ruft Oliver Stone seinem Kameramann Robert Richardson zu. Breitbeinig stellt sich der Regisseur und Vietnamveteran vor den Kontrollturm des Flugzeugträgers «U.S.S. Kitty Hawk». Wild gestikulierend kommandiert er eine 100köpfige Crew. Tontechniker, Kameraassistenten und Beleuchter bereiten die nächste Aufnahme vor. Militärische Berater weisen die Schauspieler an.

Neben Stone verfolgen fünf Journalisten den Start der Flugzeuge. Drei Amerikaner und zwei Europäer sind geladen, vor der Küste Floridas den Dreharbeiten zu Stones neustem Politdrama beizuwohnen.

Es heisst «Clinton» und handelt von der Gegenwart. Während zweier Wochen stellte die US-Navy der Produktionsfirma Warner Brothers im vergangenen Februar die «U.S.S. Kitty Hawk» zur Verfügung. «Sie wird derzeit nirgendwo anders gebraucht», erklärt Navy-Pressesprecher John Garrison. Auf dem schwimmenden Flughafen entsteht ein Grossteil der Aussenaufnahmen zu «Clinton».

Bereits abgedreht ist die Rahmenhandlung: Ein amerikanischer Präsident, Mitglied der Demokraten, möchte wiedergewählt werden. Da die Medien wegen der Vorwahlen fast ausschliesslich über die Republikaner berichten, raten ihm seine Berater zu einer aufsehenerregenden Tat. Er solle Kuba provozieren. Gelingt es, Fidel Castro als Aggressor zu denunzieren, würde der Kongress die Sanktionen gegen die Zuckerinsel umgehend verschärfen. Die Stimmen der einflussreichen Exilkubaner Floridas und der Rechten im Mittleren Westen seien ihm nach einer solchen Aktion sicher.

Ende April, bestätigt Warner-Pressesprecher Jed Leland, falle die letzte Klappe. Dann werde Stone den Film schneiden.

Politische Verschwörungen gehören zum Standardrepertoire des Regisseurs. Die Drahtzieher in «Clinton» sind erneut die Exilkubaner, die in Stones früheren Filmen bereits Kennedy erschossen, den Vietnamkrieg mitverantwortet und Richard Nixon aus dem Weissen Haus geworfen haben. Ihr Anführer heisst Alfonso (Al Pacino). Er ist der Kopf von «Brothers and Sisters for Cuba», einer von wohlhabenden Exilkubanern finanzierten paramilitärischen Organisation.

Im Vorführraum der «U.S.S. Kitty Hawk» zeigt Stone den Journalisten die bereits vor Monaten abgedrehte Schlüsselszene des Films: Der Präsident, mit beiläufigem Zynismus von Michael Douglas interpretiert, trifft sich auf einer Brücke ausserhalb Washingtons mit Alfonso. Die beiden handeln einen Deal aus. «Ihr schickt zwei Kleinflugzeuge in den kubanischen Flugraum. Castro wird sie abschiessen», sagt der Präsident. «Wenn ich wiedergewählt werde, helfe ich euch, den Diktator zu stürzen.» «Und wieviel bezahlt ihr?» fragt Alfonso. «Genug», antwortet Douglas. Er zieht die Pausbacken zusammen und überreicht Alfonso einen Lederkoffer.

Bis in die kleinsten Nebenrollen ist «Clinton» mit hochkarätigen Akteuren besetzt. Marlon Brando konnte für einen Kurzauftritt als Senator Jesse Helms gewonnen werden. In einer aufwühlenden Szene ruft dieser nach dem Abschuss der beiden Flugzeuge zur sofortigen Invasion Kubas auf. Robin Williams verliest als Moderator von Radio Martí Durchhalteparolen. Und Meryl Streep spielt Hillary Clinton. Mit Tränen in den Augen flösst sie ihrem zögernden Mann kurz vor dem Start der Privatflugzeuge ein, ihr Filz sei doch gravierender als seiner. «Um präsidiale Statur zu erhalten, hilft dir nur Härte.»

Wie so oft in Stones Werk, nimmt «Clinton» eine überraschende Wende. Nach erfolgreicher Wiederwahl besinnt sich der Präsident auf seine liberale Herkunft. Umgehend schickt er seinen Aussenminister nach Havanna. Dieser veranlasst ein Treffen zwischen dem Máximo Líder und dem Führer der westlichen Welt. Nach fotogenem Händedruck in Camp David lockert der Amerikaner das Embargo gegen Kuba.

Gleichentags erinnert sich Alfonso an sein Treffen mit Clinton und die nicht eingehaltene Abmachung. Mit Hilfe einflussreicher Geschäftsleute aus Miami plant und vollstreckt er ein Attentat auf den amerikanischen Präsidenten.

Basiert der Film auf wahren Begebenheiten? «Die Fiktion ist die Wahrheit», sagt Regisseur Stone und ruft «Action».�