Die Erfolge der Gekneteten

Die witzigen Plastilinfiguren Wallace & Gromit aus dem englischen Bristol erobern als Filmstars die Welt.

Von Peter Hossli

Steven Spielberg war sichtlich begeistert, als er den Projektionsraum verliess. Ihm habe die Stimme von Wallace besonders gut gefallen, bestellte er seinem Gast aus Britannien nach der Privatvorstellung. Spielbergs Freund und Geschäftspartner Jeffrey Katzenberg schwärmte für die akrobatischen Flugaufnahmen und die raffinierte Animationstechnik.

Gesehen hatten die beiden Filmmoguln und Gründer des Hollywoodstudios DreamWorks soeben «A Close Shave», den neusten Animationsfilm des Briten Nick Park, zweifacher Oscar-Gewinner und derzeit der begehrteste Trickfilmer überhaupt.

In seinem halbstündigen, ausschliesslich mit Knetfiguren gestalteten Meisterwerk vereint Park zum drittenmal den smarten Plastilinhund Gromit und seinen Meister Wallace. Spielberg und Katzenberg wollten sich «A Close Shave» unbedingt zusammen mit Park anschauen und danach mit ihm speisen. Kurzerhand flogen sie den schüchternen Briten aus Bristol mit dem DreamWorks-Privatjet ein. Am Flughafen in Los Angeles wartete ein Chauffeur mit einer schwarzen Limousine. Der fuhr Park direkt nach Burbank, dem Sitz von DreamWorks. «Der Jet und die Limousine haben mich ziemlich beeindruckt», sagt Park.

Sollten sie auch. Mit dem gemeinsamen Dinner hatten die Amerikaner nämlich weit mehr im Sinn als Nahrungsaufnahme. Sie hoffen, den ersten Langfilm von Aardman, dem in Bristol ansässigen Animationsfilmstudio, koproduzieren zu können. Regie führen soll Nick Park.

Spiel- und Katzenberg sind jedoch nicht die einzigen, die das wollen. Neben DreamWorks buhlen die amerikanischen Unterhaltungsgiganten Disney und Warner Brothers um den Briten Park und dessen Animationsteam. «Park is the hottest name in Tinseltown», schrieb das Branchenblatt «Variety». Und Aardman ist das begehrteste Studio.

In der Schweiz gelangt «A Close Shave» zusammen mit 13 anderen animierten Kurzfilmen am 8. März in die Kinos. Äusserst beliebt sind die Filme aus Bristol hierzulande seit eineinhalb Jahren. Damals veranschaulichte eine erste Kollektion mit Aardman-Trickfilmen einem breiten Kinopublikum, dass der Animationsfilm kein Kinderkram ist, sondern zuweilen höchst amüsante Kopfsprünge zulässt.

Seit Wallace & Gromit in ganz Europa die Kinokassen füllen und die Leute in Scharen vor die Fernsehschirme locken, entdecken auch immer mehr Bedarfslenker die Plastilinfiguren für ihre Zwecke. So werben in der Schweiz die Zigarettenfirma Parisienne, der Möbelhändler Hermann Zürcher oder die Migros-Klubschule mit Knetmasse. Im Kino und auf Fernsehschirmen läuft seit Monaten mit grossem Erfolg ein mit Plastilinfiguren animierter Levi’s-Werbespot.

Höhepunkt der neuen Aardman-Rolle ist «A Close Shave». Im dritten und vorerst letzten Film mit Wallace und Gromit sind die beiden im Fensterputzgeschäft. Gromit wird verdächtigt, Schafe zu stehlen, und landet im Gefängnis. Und Wallace, noch immer voller erfinderischer Ideen, verliebt sich. Wendolene, «Wallace mit Perücke», wie Park sie beschreibt, zieht den Junggesellen in ihren Bann.

Mit atemberaubenden Flugszenen erweist Park dem amerikanischen Kino die Ehre, ohne allerdings seine Vorliebe fürs Britische zu verbergen. So zitiert er «Indiana Jones», Spielbergs «Duel» und «Close Encounters» oder die «Terminator»-Filme. Sein Dekor – die mit Hundeknochen und Stricknadeln verzierten Tapeten oder die englischen Städten nachempfundenen Kulissen -, die rührend-verhaltene Annäherung zwischen Wendolene und Wallace oder der nach wie vor furztrockene Humor erinnern an das steife, aber herzliche britische Kino der vierziger und fünfziger Jahre.

«Wallace & Gromit» ist längst ein eingetragenes Warenzeichen, mit dem viele britische Pfund, deutsche Mark, Schweizer Franken und amerikanische Dollar umgesetzt werden. Die Premiere von «A Close Shave» auf dem englischen TV-Sender BBC 2 verfolgten am Weihnachtstag 10,62 Millionen Zuschauer, die höchste Einschaltquote in der britischen Fernsehgeschichte. Von den beiden Vorgängerfilmen wurden bis anhin weltweit über zwei Millionen Videokopien ver-kauft. «A Close Shave» soll dies noch überbieten. Angepeilt wird nun im grossen Stil der amerikanische Markt.

Lukrativ ist auch das Geschäft mit Nebenprodukten. Weltweit schloss Aardman bereits 35 Merchandisingverträge ab. Wallace und Gromit gibt es als Puppen, auf Uhren, T-Shirts, Kühlschrankmagneten, Boxershorts, Anstecknadeln – und natürlich auf Video. Das Hund-Mensch-Duo flimmert an der Elfenbeinküste, in Kroatien und in Zürcher In-Bars über die Bildschirme. BBC 2 beauftragte Park, das Senderlogo zu gestalten, natürlich mit Wallace und Gromit in den Hauptrollen. Eine ehrenvolle Aufgabe; Park ist der erste nicht bei BBC beschäftigte Künstler, der es kreieren durfte.

Parallel zum Fernsehstart von «A Close Shave» entstand ein Werbefilm für den Sportschuhkonzern Reebok. Wallace und Gromit üben sich darin im Fussballspielen. Seit Anfang Jahr publiziert die grosse Londoner Tageszeitung «Daily Telegraph» in ihrer Wochenendausgabe einen «Wallace & Gromit»-Cartoon. Verdrängt haben die beiden die «Peanuts» – mitsamt Charlie Brown.

Auslöser der Erfolgswelle war Nick Parks Oscar-gekrönte Sozialsatire «Creature Comforts» (1990), in der Park Zootiere über ihr tristes Dasein fabulieren lässt. Die daraus entstandene Werbefilmserie für den britischen Stromkonzern Heat Electric wurde wegen der bissigen Kommentare der vermenschlichten Tiere zu einer der beliebtesten Kampagnen der britischen Werbegeschichte. Sie bedeutete gleichzeitig den kommerziellen Durchbruch der Aardman Studios.

Gegründet wurde das Studio 1972 von den beiden trickfilmenden Schülern David Sproxton und Peter Lord. Während Jahren drehten sie animierte Serien für das Kinderprogramm der BBC. 1976 zogen sie nach Bristol. 1985 stiess Nick Park hinzu. Seit 1991 logiert das Studio an der Gas Ferry Road in einem ehemaligen Lagerhaus, in dem früher Bananen aufs Reifen und dann auf Käufer warteten.

Heute beschäftigt Aardman in einem modernen Studio in der Creative-art-Abteilung, der Werkstatt, den Schneideräumen, am Tricktisch und in der engen Empfangshalle rund 120 Fest- und Teilzeitangestellte. Deren Löhne bezahlen jedoch nicht Nick Parks oder Peter Lords Autorenfilme, Aardman lebt von der Werbung. Jährlich entstehen etwa 15 Werbefilme für Waschmittel, Farbkopierer oder Schokoriegel. Auf der Kundenliste von Aardman finden sich Unternehmen wie Jelmoli, Chevron, Mito Copiers, Weetabix, Lurpak oder Crunchie.

Ein zahlungskräftiger Auftraggeber ist zudem die Musikindustrie, die bei Aardman Videoclips für Popsongs kreieren lässt. Am berühmtesten war der Clip zu Peter Gabriels Song «Sledgehammer», der als bester und stilbildendster Promotionsfilm der Popgeschichte gilt. Zu Nina Simones «My Baby Just Cares for Me» liess Studiogründer Lord ebenfalls die Knetpuppen tanzen.

Die Geburtsstätte dieser animierten Glanzstücke ist Bristol. Die südwestenglische Küstenstadt hat eine Million Einwohnerinnen und Einwohner und ist ausgesprochen britisch. Monotone Backsteinhäuserreihen, nette Polizisten, Porridge zum Frühstück und natürlich rote Telefonkabinen. Umzäunt ist die Stadt von Hunderten von Fussballplätzen.

Keine Kunstform ist arbeitsintensiver und verlangt exakteres Hantieren als der Animationsfilm. Damit verdient ein beachtlicher Teil von Bristols Bevölkerung auch seinen Lebensunterhalt; vor der Stadt leisten nämlich zwei Grosskonzerne ebenfalls Präzisionsarbeit. Rolls-Royce baut Motoren und Edelkarossen, British Airways konstruiert den etwas in die Jahre gekommenen Überschalljet Concorde. Bristol biete geradezu ein «ideales Umfeld», meint Park, um einen Trickfilm zu drehen, in dem Schafe, Porridge, Erfindergeist und technische Apparate den Lauf der Dinge bestimmen.

«The Wrong Trousers», Parks bis anhin erfolgreichster Film, entstand 1992 und 1993 während 13 Drehmonaten. Am Tricktisch standen nur Park und Steve Box, sein engster Mitarbeiter. Im Vergleich dazu waren die Dreharbeiten von «A Close Shave» ein bis ins letzte Detail geplantes Mammutunternehmen, das zehn Monaten lang über 50 Leute beschäftigte und 1,4 Millionen Pfund Sterling verschlang – das teuerste halbstündige Stück Unterhaltung, das jemals in Grossbritannien hergestellt worden ist.

Nach dem weltweiten Erfolg von «The Wrong Trousers» sollte schnellstmöglich ein weiterer «Wallace & Gromit»-Film hergestellt werden. BBC war aber nur bereit, das Projekt finanziell mitzutragen, wenn «A Close Shave» zu Weihnachten 1995 fertig sein würde.

Zusammen mit Bob Baker entwickelte Park ein Drehbuch. Binnen 18 Monaten zeichnete er dann ein Storyboard, baute und bemalte liebevoll die Kulissen, nahm die Stimmen von Wallace und Wendolene auf und drehte den Film mit einer schlichten 35-Millimeter-Mitchell-Kamera Bild für Bild ab. Den Soundtrack spielte ein 65köpfiges Orchester ein.

Unter dieser Eile litt der Trickfilmer. Park konnte den breiten Mund von Wallace oder die Augenbrauen von Gromit nicht mehr wie früher selbst bewegen, sondern musste als Regisseur bis zu fünf Teams koordinieren. Diese setzten gleichzeitig auf fünf verschiedenen Sets eine Herde Schafe, Wallace beim Liebeswerben um Wendolene, Gromit als Kamikazepilot und den hundsgemeinen Preston hinter dem Steuer eines Lastwagens in Bewegung.

Für Park war das eine «schmerzhafte Erfahrung». Wallace und Gromit seien «seine Babys», die er vor zehn Jahren geboren und seither zur mittleren Reife gebracht habe. Nun durfte Park nur eine Szene selbst animieren, «als Belohnung für den Verzicht», wie er sagt. Morgens um vier, lange bevor der Rest der Crew kam, schlich er jeweils ins Studio und arbeitete an der Gefängnisszene, in der Gromit vor seiner spektakulären Flucht «Crime and Punishment» von einem gewissen Fido Dogstoyevsky liest.

Ansonsten kontrollierte Park die Bewegungen der Modelle aus Knetmasse. Die feinfühlig inszenierten Posen der einzelnen Figuren müssen pro Sekunde 24mal um den Bruchteil eines Millimeters verschoben werden. 43 200 Einzelbilder sind daher nötig, um einen Trickfilm von 30 Minuten Länge zu erhalten. 43 200mal öffnet und schliesst sich die Linse der Kamera, 43 200mal ruft der Regisseur «Action!»

Platzt eine Glühbirne, muss eine ganze Sequenz noch einmal gedreht werden; die kleinste Veränderung des Lichtes wäre auf der Leinwand zu erkennen. Verschiebt ein Trickfilmer mit einem Husten- oder Niesanfall die puppengrossen Figuren, kann die Arbeit eines ganzes Tages verlorengehen. Rund vier Sekunden Filmzeit schafft die «Close Shave»-Crew pro Arbeitstag – «wenn alles ideal läuft», schränkt Park ein.

Zusätzlich erschwert wurden die Dreharbeiten im vergangenen Sommer von der «Jahrhunderthitze», die ganz England zum Schwitzen und Wallace und Wendolene unter dem schwarzen Studiodach fast zum Schmelzen brachte.

Trotz seiner beiden Oscars, die er in der Vitrine der Aardman-Küche aufgestellt hat, dem enormen Presserummel um seine Person und den verdienten Millionen ist der blonde Mann mit den entwaffnend blauen Augen bescheiden geblieben. Dass er nach der erneuten Oscar-Nominierung für «A Close Shave» der einzige Regisseur der Filmgeschichte ist, dessen sämtliche Filme alle für einen Academy Award nominiert wurden, erzählt er niemandem. Er weiss es einfach.

Noch immer wohnt Park in einer schlichten Mietwohnung in der Nähe des Studios. Ein grosses Auto fährt er nicht. Seine «alte Kiste», die er seit Jahren besitzt, genüge ihm. In seiner Freizeit beobachtet er Vögel.

Aufgewachsen ist Park als eines von fünf Kindern in Preston im nordenglischen County Lancashire. Sein Vater, ein Fotograf, und seine Mutter, eine Schneiderin, kauften den Kindern keine Spielzeuge; sie sollten sie selber basteln. Ein Fernsehapparat aber stand bei den Parks stets in der Stube. An regnerischen Sonntagnachmittagen – und davon gab es in Preston viele – schaute sich Nick animierte Serien an. Alsbald begeisterte er sich für die schwarzweissen englischen Vor- und Nachkriegsdramen, bei denen Charakterstudien und nicht Actionszenen die Handlung vorantrieben. Entzückt war der pubertierende Nick auch von den Abenteuerfilmen, die aus dem fernen Amerika kamen. Und die Spannungsbildung von Alfred Hitchcock, einem Briten in Hollywood, gefiel ihm besonders.

Mit einer kleinen 8-Millimeter-Kamera, die eine Einzelbildschaltung hatte, begann er mit 13 Jahren, selbst animierte Filme zu drehen. Im Alter von 15 Jahren hatte er in seinem eigenen Trickfilmstudio, das er sich im Estrich einrichtete, bereits sechs Animationsfilme fertiggestellt.

Park verfeinerte seine Technik an der Londoner National Film and Television School und schuf die Plastilinfiguren Wallace und Gromit. Wallace ist ein erfinderischer, aber etwas trotteliger Junggeselle und Gromit sein Hund. Das Mondflugabenteuer «A Grand Day Out», an der Filmschule begonnen und sechs Jahre später in den Aardman Studios beendet, war der erste öffentliche Auftritt von Wallace und Gromit.

Über den ungebrochenen Erfolg freuen sich in Bristol jedoch längst nicht alle. Aardman werde immer mehr zu einem «administrativen Koloss», sagt Richard Goleszwoski. Er ist neben Nick Park, Peter Lord und David Sproxton der bekannteste und mit seiner «Rex the Runt»-Serie der skurrilste Aardman-Künstler. Zu viele Leute ausserhalb der Trickfilmszene würden sich einmischen, meint Goleszwoski. Das Business habe längst Überhand genommen.

Goleszwoski spricht eine Unsicherheit an, die im Studio zu spüren ist. In der Kantine lunchen Modellbauer, Kameraleute und Animationsfilmer. Einige sprechen über ihre Ängste vor den Giganten aus den USA. «Was passiert», fragt sich eine Modellbauerin, «wenn die Amerikaner kommen und unsere Filme produzieren?» Dies würde, fürchtet sie, bedeuten, dass es im Studio auch kaum mehr Platz für kleinere Filme hätte. Springt sie ab? «Wahrscheinlich schon.» Alternativen zu Aardman, wenn auch weniger renommierte, gäbe es in Grossbritannien genug. Nirgendwo sonst erlebt der Animationsfilm einen ähnlichen Boom wie auf den britischen Inseln. Sogar das amerikanische Trickfilmschaffen, geprägt von Leuten wie Walt Disney, Max Fleischer oder Chuck Jones, stellen die Briten in den Schatten. Seit 1990 ging der Oscar für den besten Animationsfilm mit einer Ausnahme jeweils an eine Produktion aus Grossbritannien. Den Cartoon d’Or, der europäische Preis für den besten Trickfilm, haben seit seiner Gründung 1990 nur britische Werke gewonnen.

Seit Mitte der achtziger Jahre fördern die englischen Fernsehanstalten Channel4 und BBC2 sowie S4C aus Wales das Trickfilmschaffen. Dank der grossen Nachfrage aus der Werbeindustrie können die Studios permanent eine beachtliche Anzahl Animatoren beschäftigen. Während in den siebziger Jahren noch an drei Kunstschulen und Universitäten Kurse in Animationsfilm belegt werden konnten, gibt es heute in Grossbritannien rund 50 verschiedene und hervorragende Ausbildungsstätten für Trickfilm.

Die technischen und finanziellen Anforderungen des Mediums selbst sind relativ bescheiden. Wer eine Einzelbildkamera und gute Ideen hat, vor allem aber viel Geduld aufbringt, kann auf jedem Küchentisch einen Trickfilm herstellen.

Filme mit Knetfiguren gibt es seit der Frühzeit des Kinos. Einen wahren Boom erlebt das Genre aber erst seit den Erfolgen von Nick Park. Seither wird Aardman überall kopiert. Die walisische Firma, die für Levi’s-Jeans einen populären Spot drehte, gab sich den Namen AAAA-Production – um im Branchenverzeichnis vor Aardman zu erscheinen.

Die Zürcher Werbeagentur Dubach wandte sich direkt an Aardman, als sie nach der Pensionierung ihres Kunden Hermann Zürcher einen Bildschirmersatz suchte. Mit Polaroidbildern des 76jährigen Möbelhändlers reisten zwei Werber nach Bristol. Dort fertigten die Modellbauer einen Plastilin-Zürcher an. «Das Preis-Leistungs-Verhältnis», sagt Wolfgang Bollack von Dubach, sei bei Aardman «am besten» gewesen. Das einzige Studio, das sowohl Autoren- als auch Werbefilme herstellt, lasse die Konkurrenz punkto Qualität weit hinter sich.

Wallace und Gromit wird es in Zukunft trotzdem nur noch auf Uhren, als Puppen oder auf Papier gedruckt geben. «Ich habe nun zehn Jahre meines Lebens mit den beiden verbracht», sagt Park, «das reicht.» Er arbeitet an einer Drehbuchidee für seinen ersten abendfüllenden Trickfilm, allerdings mit völlig neuen Charakteren. Welches US-Studio den Film finanzieren wird, wissen weder der Regisseur noch die Aardman-Produzenten. Eines steht aber fest: Park und Aardman möchten ihre Autonomie selbst in der Hollywoodschen Zukunft wahren.

Erreichen soll das Jake Eberts, der den Oscar-preisgekrönten Erfolgsfilm «Dances with Wolves» produzierte. Eberts koordiniert die Verhandlungen mit den Amerikanern. Zudem drängt er darauf, dass der neue Film an der englischen und nicht an der kalifornischen Westküste entsteht. Bristol soll weiterhin das kreative Zentrum des Trickfilms bleiben. Vorsichtshalber hat Aardman das Land gekauft, welches das Studio umgrenzt – ein Parkplatz und eine Schrotthalde.

Nick Park, das sagt er offen, hätte am liebsten Spielberg als Partner. Seine Unabhängigkeit will er aber nicht preis- geben. Auf Spielbergs Frage, ob der neue Film in der Art der Disney-Trickfilme vor allem von Gesangseinlagen lebe, antwortete der ansonsten zurückhaltende Park kühn: «Nein, bestimmt nicht.»

Erwachsen geworden

Figuren-Animator Steve Box über seine Arbeit.

Steve Box, Sie waren bei «The Wrong Trousers» und bei «A Close Shave» als wichtigster Animator dabei. Was hat sich verändert?
Steve Box: Bei «The Wrong Trousers» waren wir eine kleine Crew, nur Nick Park und ich animierten die Figuren. In den 14 Monaten haben wir oft mehr als 100 Stunden pro Woche gearbeitet, haben im Studio gelebt, dort gegessen und geschlafen.

Und diesmal?
Box: Bei «The Wrong Trousers» war es sehr intim. Bei «A Close Shave» war Nick nur noch Regisseur. Er verbrachte die ganze Zeit mit Besprechungen, ging von Set zu Set.

Welche Szene war am anspruchsvollsten?
Box: Die Liebesszenen zwischen Wallace und Wendolene. Wenn man versucht, Romantik zwischen zwei Plastilinfiguren mit grossen Mäulern entstehen zu lassen, kann das sehr peinlich wirken. Die romantische Szene unterstreicht aber auch die Fortschritte, die wir gemacht haben. Die zwar atemberaubende, aber simplifizierende Ebene der Verfolgungsjagd haben wir verlassen. «A Close Shave» ist ein «erwachsener» Film geworden. Man sieht auch keine Fingerabdrücke mehr auf dem Plastilin.

War der Computer wichtig?
Box: Der führte nur die Kamera.

Interessiert Sie die Computeranimation?
Box: Nein. Ich verstehe meine Arbeit als Performance. Alles passiert durch meine Hände. Erst dadurch werden die Modelle zu Schauspielern. Insofern sind wir Skulpteure und Schauspieler. Wenn ich die Modelle nicht berühren könnte, würde ich keine Trickfilme machen.

Warum sind Knetfilme so populär?
Box: Es ist ein ziemlich bizarres Medium. Es ist dreidimensional und trotzdem nicht real. Die Faszination geht aber auf Nick Park zurück. Erst seit «Creature Comforts» erkennen Unterhaltungs- industrie und Werbung die Möglichkeiten dieser Technik.

Wann gehen Sie nach Hollywood?
Box: Wahrscheinlich nie. Verschiedene Studios haben mir schon Jobs angeboten.

Warum haben Sie diese ausgeschlagen?
Box: Los Angeles ist eine grässliche Stadt.

Alles ist Handarbeit

Ein Blick in die Werkstatt der begnadeten Trickfilmer im englischen Bristol.

«Wallace hat seinen Kopf verloren», ruft Nick Park einem der Modellbauer beim Vorbeigehen zu. «Macht nichts», antwortet dieser, nimmt Wallace aus der Kartonbox und verschwindet in der Werkstatt, dem «wichtigsten Raum der Aardman Studios», wie Park mehrmals betont. Mit ein paar geschickten Handgriffen setzt er dem enthaupteten Filmstar Kopf und Helm auf und streicht ihm mit einem Stift den grossen Mund blank.

Neben ihm brodeln die Töpfe. Auf kleinen Campingkochern erhitzen die Modellbauer die Knetmasse. Das Plastilin muss weich und formbar sein, damit es über die Metallgestelle gezogen werden kann und daraus Figuren entstehen.

Alle Plastilingeschöpfe, seien es Pinguine, Wallace und Gromit oder der steife Radiomann aus «Early Bird», werden hier geboren. Die Animatoren kommen mit ihren zu Papier gebrachten Vorstellung zu den Modellbauern. Gemeinsam wählen sie die Farben des Plastilins aus. Oft dauert es mehrere Tage, bis eine neue, etwa 20 Zentimeter grosse Figur fertiggestellt ist. Die Regisseure der einzelnen Filme kontrollieren die Endprodukte oder, wie im Fall von Nick Park, legen oft selbst Hand an.

Die meiste Zeit verbringen die Modellbauer allerdings mit dem Restaurieren kaputter Knetmännchen. Sind die Figuren fertig, entstehen in der Aardman-Werkstatt die Kulissen, in denen sie sich bewegen sollen: eine Küche als Hintergrund einer Abwaschmittelwerbung, ein Radiostudio für «Early Bird» oder eine ganze Stadt, in der sich Wallace und Gromit wohl fühlen sollen.

Sind Figuren und Schauplätze drehbereit, beginnt ein Team von drei bis fünfzig Leuten anhand eines gezeichneten Storyboards mit der Arbeit auf dem Set. So entstehen aus lebloser Knetmasse lebendige Kreaturen.